Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Geht's auch ein bisschen leiser?

Wenn Kinder die ersten Sendungen im Fernsehen schauen dürfen, treffen Eltern auf alte Bekannte. Allerdings stellt sich schnell heraus: Biene Maja, Willi und Grashüpfer Flip haben sich irgendwie sehr verändert.

Katja Schnitzler

Es war an einem Tag im November mitten im schönsten Erkältungswetter, als die Mutter einknickte. Ihre beiden Kinder hatten sich wochenlang gegenseitig die Viren zugeschleudert und waren emsig dabei, das kindliche Immunsystem zu stärken und das Nervenkostüm der Eltern zu zerstören. Denn Vorschulkinder, ach was, alle Kinder im krankheitsbedingten Hausarrest, treiben Mütter und Väter in den Wahnsinn, sobald sie das Schlimmste überstanden haben. Ihre Kräfte reichen nur dafür, um penetrant ihre Langeweile kundzutun. Um sich selbst zu beschäftigen, sind sie noch zu schwach.

Ein Brettspiel? "Langweilig!" Malen? "Langweilig!" Eine CD anhören? "Laaaaangweilig!" Dabei waren es noch zehn Stunden bis zur Gute-Nacht-Geschichte. In diesem Moment gab die Mutter ihren Widerstand auf und griff zur TV-Zeitschrift. Bislang hatte sie ihren Kindern bewusst das Fernsehen vorenthalten, wusste sie doch aus eigener Erfahrung, was für ein hypnotischer Freizeitvernichter das ist. Ihre Kinder sollten spielen, toben, gerne auch mit anderen. Aber während der Krankheit konnten sie das nicht, miteinander wollten sie nicht. Wenn doch, dann nur mit Mama. Doch nach zwei Wochen reichte es, den Kindern und ihr auch.

Mit zwiespältigen Gefühlen blätterte die Mutter im Programmheft. Dann schaltete sie ihr schlechtes Gewissen ab: Was für ein Glück, sie konnte es kaum fassen, lief doch gerade Biene Maja, die gute alte Biene Maja, die sie selbst als Kind so gerne gesehen hatte.

Die konnte ja auch ihrem Nachwuchs nicht schaden. Obwohl ihre Mutter immer geklagt hatte, dass diese Maja für eine Biene ungewöhnlich, ja ohrenbetäubend laut sei. "Gar nicht", hatte sie damals knapp geantwortet, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Schließlich drohte sich Maja gerade im Netz der garstigen (sowie schief und laut geigenden) Spinne Thekla zu verfangen.

Also nun wieder Biene Maja, drei Jahrzehnte später: "Wollt ihr vielleicht, aber nur ausnahmsweise, weil ihr krank seid, fernsehen?", fragte die Mutter etwas scheinheilig, denn die Antwort war klar. Schon oft hatten die Kleinen geklagt, wie viele Kinder im mehr als minderjährigen Bekanntenkreis Fernsehen schauen durften, nur sie durften nicht, sie ganz allein nicht. Daher schrien sie begeistert: "Jaaaaa!" "Aber wirklich nur ausnahmsweise", rief die Mutter ihnen hinterher. Da sie das Durchsaugen auch an diesem Tag wieder nicht geschafft hatte, wirbelten die armen, kranken Patienten eine Staubwolke auf, so schnell rannten sie zur Couch.

Aus reiner Nostalgie setzte sich die Mutter dazu. Bei der Titelmelodie summte sie sogar mit, schließlich hatte sie früher dieses von Karel Gott gesungene Lied so faszinierend gefunden, was vor allem an der etwas ungewöhnlichen Aussprache lag. Nur sangen jetzt Frauen, akzentfrei. Die Geschichte begann, alle drei lehnten sich gespannt vor. Nur die Mutter schreckte gleich wieder zurück. Denn Willi schmetterte mit seiner, nun ja, sehr eigenen, trötenden Stimme, als würde sich der Sprecher die Nase zuhalten, was er vielleicht auch tat: "MAJA! MAJAAA! MAAAJAAAAA!"

Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, die "Laaangweilig"-Seufzer der eigenen Kinder gegen die "MAAAAJA"-Schreie der tumben Drohne einzutauschen. Überhaupt, konnte in dieser Serie keiner normal sprechen? Von der Spinne Thekla war doch weit und breit noch nichts zu sehen? "WO STECKST DU DENN, ICH SUCH DICH SCHON DIE GANZE ZEIT!" Willi hatte Maja gefunden, leiser sprach er deswegen nicht. Da kam auch noch Flip (DOING, DOING, DOING): "MAJAAA!"

Die Mutter versuchte, es herunterzuschlucken, den Mund zu halten, es nicht zu sagen, doch es drängte heraus, unaufhaltsam: "Müssen die eigentlich die ganze Zeit so schreien?" Die Kinder blickten sie nur kurz, aber verwundert an: "Die schreien doch gar nicht."

Die Mutter beschloss, ihren Nachwuchs den kreischenden Insekten zu überlassen und floh ins Nebenzimmer, verfolgt von den wändedurchdringenden Stimmen von Willi und Flip. Acht Minuten später, ein Schrei. Eindeutig nicht von Willi oder Flip.

"Aus Herbig und Mittermeier ist auch was geworden"

Das Kind, das jüngere: "Mamaaaaa, da ist eine böse Spinne, die will die Maja fressen, Mamaaa, komm, du musst dableiben!" Die Mutter zwängte sich wieder zwischen ihre Kinder. Auftritt Thekla, die Spinne. War ja klar. Sie geigte so falsch wie früher, nur irgendwie ... lauter, viel lauter. Die Mutter drehte den Ton leiser, die Kinder beschwerten sich, sie drehte wieder lauter und war genervt. Dieses eine Mal und dann nie wieder, schwor sie sich. Lieber zwang sie die Kinder zu "Mensch ärgere dich nicht", krank hin oder her.

Die Kinder sahen das anders. Die Dämme waren gebrochen und durch TV-Abstinenz nicht mehr zu reparieren. Schon eine Stunde nach dem Ende der (sehr lauten) Biene-Maja-Folge fragten sie: "Wieder Fernsehen?" Nein. "Jetzt Fernsehen?" Nein. "Wann dürfen wir fernsehen?" Mal schauen. "Aber wann denn?" In einer Stunde. "Ist jetzt eine Stunde um?" Neihein. "Uns ist langweilig." So ging es an diesem Tag. Am nächsten Tag. Und am übernächsten Tag.

In der Nacht hatte die Mutter einen Albtraum: Laut kreischende Bienen mit breiten Monitor-Köpfen trieben sie auf ein Spinnennetz zu, in dessen Mitte Thekla fröhlich fiedelte. Doch keine Geigentöne erklangen, sondern Karel Gott schmetterte: "MAJAAAAAA.!" Das Netz kam näher und näher, der Lärm wurde lauter und lauter, näher, lauter, näher, lauter ... Die Mutter schreckte hoch.

Sie schaltete das Licht an, rüttelte den Vater wach und rief: "Wir müssen den Kindern das Fernsehen verbieten! Was soll aus ihnen werden! Sie wollen nur noch vor dem Bildschirm sitzen. Und die Bienen, diese Bienen!" Der Vater sah auf die Uhr, es war kurz nach drei. Dann blickte er auf seine Frau, die war kurz vor dem Durchdrehen. Oder schon kurz danach. Anscheinend war es trotz der Uhrzeit angebracht, etwas Beschwichtigendes zu sagen: "Wenn die Kinder fernsehen wollen, schadet das doch nicht. Aus Bully Herbig ist auch was geworden. Und aus diesem anderen, diesem ... dings ... Mittermeier. Der saß seine ganze Kindheit vor der Glotze."

Die Mutter war nun hellwach und empört: "Hast du schon mal seinen Blick gesehen, diesen wilden Blick auf der Bühne? Da kannst du ja wohl nicht im Ernst behaupten, Fernsehen schadet nicht. Und überhaupt ..."

"Wenn es dir so wichtig ist", unterbrach sie der Vater und drehte sich auf die Seite, "dann verbiete es den Kindern eben wieder. Du hast es ihnen schließlich auch erlaubt." Wütend starrte ihn die Mutter an. Wie er da so im Bett lag, rund und dick unter der Decke, schon wieder leise schnarchend, erinnerte er sie an jemanden. Nur an wen? Der Vater grunzte ein wenig, flüsterte etwas. Die Mutter beugte sich vor und lauschte, es war schwer zu verstehen. Hielt er sich etwa die Nase zu?

"Maja", brummte der Vater ins Kopfkissen, "Maaaajaaaa!"

Wie lange dürfen Kinder vor dem Fernseher sitzen, ab welchem Alter und wie lange müssen die Eltern dabeibleiben? Medienexperte Thomas Feibel über Bildschirmzeiten und veränderte Sichtweisen in den Expertentipps zur Erziehung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: