Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Bitte recht freundlich

Tipps für die Erziehung von Babys, Kleinkindern, Kindergartenkindern, Schulkindern und Jugendlichen

Bis sich zwei Stiefgeschwister so gut verstehen, müssen einige Hürden genommen werden.

(Foto: J. Hosse)

Am Anfang einer Patchwork-Familie steht das Kennenlernen. Während die frisch verliebten Elternteile das Gefühl haben, füreinander bestimmt zu sein, treffen Töchter und Söhne auf Fremde mit deren Kindern - zum Bedauern der Erwachsenen völlig voreingenommen.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Am Sonntag sollte es so weit sein. Am Sonntag würde die Mutter den Kindern ihren neuen Freund Jürgen vorstellen. Und sie würde dessen neunjährigen Sohn Mark kennenlernen. Allein beim Gedanken daran zog sich ihr Magen zusammen. Sie war nervös, aufgeregter noch als vor vielen ersten Dates. Oder der Führerscheinprüfung. So viel hing davon ab. Denn beide, die Mutter und Jürgen, waren sich einig: Wenn es auf lange Sicht mit den Kindern nicht funktionierte, hatten auch sie als Paar keine Zukunft. Und da soll man sich entspannt kennenlernen. In ungezwungener Atmosphäre.

Jürgen hatte den Zoo vorgeschlagen. Das war für ihre halbrebellische, weil dreizehnjährige Tochter Anna zwar grenzwertig. Aber sie war tierlieb, da würde das gerade noch durchgehen. Zumindest beim Ausflugsziel wären sie sich also einig. Der Rest könnte schwieriger werden. Anna hatte sich keine Mühe gegeben, ihre bissigen Kommentare zu unterdrücken, wenn sich die Mutter mit Jürgen traf - an den wenigen Abenden, an denen beide einen Babysitter hatten. Annas achtjähriger Bruder Philipp war da weitaus weniger kritisch, ließ die Mutter aber auch nicht gerne gehen. Seit der Trennung von ihrem Mann buhlte Philipp stets um die Aufmerksamkeit der Mutter. Die Verlustangst.

Sonntag, elf Uhr vor dem Affenhaus. "Ein passender Platz", hatte Anna in einem Anfall von schlechter Laune gesagt. Die Mutter und ihr Anhang kamen zu spät, sie hatte ausdiskutieren müssen, warum ein zu kurzer Rock mit zu dünner Strumpfhose nicht die geeignete Kleidung für einen Zoobesuch war. Und auch nicht für das erste Kennenlernen, aber das hatte die Mutter nicht laut gesagt. Mutter und Tochter einigten sich schließlich auf eine zu enge Jeans und zogen verstimmt los. Nur Philipp, der kleine Bruder, hatte noch gute Laune. Bis zum Affenhaus.

Dort wartete ein großer blonder Mann, der schon von Weitem aufgeregt winkte. Neben ihm stand ein dunkelhaariger Junge, der mürrisch gegen den Affenhauszaun trat, wieder und wieder. "Der hat so gar nichts von ihm", dachte die Mutter. "Oje", dachte Jürgen, als er die Miene der Tochter sah. "Was will Mama denn von so einem?", dachte Anna. "Das ist der Schläger von der Nachbarschule", dachte Philipp und umklammerte die Hand der Mutter. "Was ist denn das für ein Baby", dachte Mark und starrte Philipp feindselig an. Die zwei halben Familien standen sich gegenüber. Niemand sagte etwas.

Bevor das Schweigen noch unangenehmer wurde, machte Jürgen einen entschlossenen Schritt nach vorne, sagte "Hallo, Schatz" und wollte die Mutter mit den gewohnten Kuss begrüßen. Drei Kinder atmeten hörbar ein. Die Mutter drehte schnell den Kopf, der Kuss landete auf der Wange. "Oh Mann", dachte Jürgen. Philipp drängte sich zwischen ihn und seine Mutter. "Schauen wir uns jetzt die Affen an?", fragte er. "Tun wir doch schon", sagte Anna. Mark trat ihr gegen das Schienbein. "Anna!", rief die Mutter. "Mark!", rief der Vater. "Gehen wir?", fragte Philipp.

Nach einer kurzen Vorstellung ("Meine Tochter Anna, mein Sohn Philipp." "Und mein Sohn Mark." Schweigen.) gingen sie in den Innenhof des Affenhauses. Die Mutter flüsterte auf Anna ein, deren Miene sich tatsächlich noch weiter verdüstern konnte. Der Vater zischte Mark ein paar Worte zu, der daraufhin im Vorbeigehen gegen den Mülleimer trat. Philipp achtete darauf, dass entweder ausreichend Abstand oder seine Mutter zwischen ihm und Mark war. Im Innenhof gab es den Orang-Utan-Käfig, das Schimpansengehege, die Kletterbäume der Totenkopfäffchen und einen Kiosk.

"Wer mag ein Eis?", fragte die Mutter betont fröhlich. "Eltern, die ihren Kindern ständig Süßes geben, sind Verbrecher", meldete sich Mark erstmals zu Wort. "Sagt meine Mama." "Immerhin kann er sprechen", dachte die Mutter grimmig. "Na, dafür isst du dann daheim einen extra Bio-Apfel, der gleicht das Eis wieder aus", sagte Jürgen und warf der Mutter einen entschuldigenden Blick zu. "Dafür ist der Giftzwerg aber ganz schön dick", dachte die Tochter, sagte aber ausnahmsweise nichts. Sie suchten sich ein Eis aus. Sogar Mark.

Es hätte schlimmer kommen können. Oder?

Dann setzten sie sich auf eine Bank vor dem Schimpansengehege: ganz links Anna, die aus Versehen lächelte, als eine Affendame sanft ihr winziges Baby schaukelte. Neben ihr warfen sich die Mutter und Jürgen über den Kopf von Philipp beredte Blicke zu. Mark hatte sich nicht dazugesetzt. "Er hat noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass seine Mama und ich wieder zusammenkommen", hatte Jürgen der Mutter am Vorabend erklärt. Dann hatten sie gemeinsam tief geseufzt.

Unbemerkt von den Erwachsenen, schlüpfte Mark unter dem Geländer durch und trat ganz nah ans Gitter, um dem Affenbaby ein paar Grimassen beizubringen. "So ein Depp", dachte Anna und verfolgte gespannt, was dann geschah.

Mark grimassierte nach links, von rechts oben näherten sich zwei pubertäre Schimpansen. Offensichtlich hatten sie es auf das Eis abgesehen, aber auch die knallrote Kappe hatte es ihnen angetan. Sie überfielen Mark gleichzeitig. Der eine klammerte sich durch das Gitter hindurch an den Arm und versuchte, an das Eis zu kommen. Der andere zerrte an der Kappe - vergeblich, weil er auch eine Handvoll Haare erwischt hatte. Die Affen kreischten. Mark schrie. Jürgen und die Mutter sprangen auf und über die Absperrung. Die Mutter zog an Marks Arm, Jürgen versuchte schimpfend, die starken Affenfinger von Kappe und Haaren zu lösen.

Anna und Philipp starrten auf die kreischenden Menschen und Affen. Sie wechselten kurz einen Blick, rannten zum Gitter und drückten jedem Affen ein Eis ins Gesicht. Die ergriffen die Flucht, verfolgt von einer kreischenden Affenbande. Mark schluchzte, Jürgen hob ihn hoch. "Wir warten draußen auf euch", sagte er erschöpft.

Die Mutter zog ihre Kinder vom Gitter weg und nahm sie in den Arm. Sie zitterte ein wenig. "Irgendwie habe ich mir das ganz anders vorgestellt", sagte sie leise. Anna und Philipp sahen sich an."Ach was, es hätte schlimmer kommen können", sagte Anna tröstend. "Ja", sagte Philipp, "immerhin regnet es nicht." Die Mutter musste lächeln.

"Kaufen wir erst mal ein neues Eis", meinte Anna und hakte sich bei ihr unter, "für alle."

Wenn sich ein Elternteil nach der Trennung verliebt, hofft er, dass auch sein Kind den neuen Partner akzeptiert. Wie das gelingen kann, erklärt Mediatorin Monika Czernin im Interview.

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