Karlsruhe:Im Kindergarten ist das Kopftuch erlaubt

Muslimischer Kindergarten

Auch Erzieherinnen dürfen nun im Normalfall mit dem islamischen Kopftuch zur Arbeit gehen.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • Das Bundesverfassungsgericht hat erlaubt, als Erzieherin in einem öffentlichen Kindergarten ein Kopftuch zu tragen.
  • Es sei denn, es gibt konkrete Gefahren für den Schulfrieden.
  • Auslöser war das baden-württembergische Verbot religiöser "äußerer Bekundungen" in Kinderbetreuungsstätten, gegen das eine in der Türkei geborene deutsche Erzieherin geklagt hatte.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wahrscheinlich haben sich die Karlsruher Verfassungsrichter das nicht so vorgestellt, damals im September 2003, als sie ihr erstes Kopftuch-Urteil verkündeten. Aber für die Gerichte funktioniert das Thema Kopftuch wie ein Pingpong-Ball, den man gegen die Wand spielt. Er springt immer wieder zurück. 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht den Streit um das Kopftuch der Lehrerin ohne wirkliche Entscheidung an Gesetzgeber und Gesellschaft zurücküberwiesen, zur weiteren Debatte und möglichst einvernehmlicher Erledigung. Das hat nicht geklappt, weshalb Karlsruhe im vergangenen Jahr Farbe bekennen musste: Die Lehrerin darf aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, es sei denn, es gibt konkrete Gefahren für den Schulfrieden. Nun haben die Richter das Urteil als Blaupause für die Kitas hergenommen: Auch Erzieherinnen dürfen im Normalfall mit dem islamischen Kopftuch zur Arbeit gehen.

Auslöser war das baden-württembergische Verbot religiöser "äußerer Bekundungen" in Kinderbetreuungsstätten, gegen das eine in der Türkei geborene deutsche Erzieherin geklagt hatte - sie arbeitet in einer kommunalen Kita. Die Begründung des Karlsruher Beschlusses, den das Gericht nicht einmal einer Pressemitteilung für würdig befunden hat, wiederholt die Argumente aus dem Schulkontext. Zur Religionsfreiheit gehört das Recht, den Glauben durch die Befolgung religiöser Bekleidungsvorschriften zu bekunden. Ob sich aus dem Koran wirklich eine strikte Kopftuch-Pflicht ableiten lässt, spielt keine Rolle; es genügt, dass ein solches Glaubensgebot plausibel ist - und dass eine Muslimin es für sich als verbindlich empfindet.

Die Richter orientieren sich also am Prinzip einer offenen Religionsfreiheit, der Glaube darf nicht auf das stille Kämmerlein oder den Gebetsraum beschränkt werden. Es ist ein Bekenntnis zum pluralen Miteinander, das keine religiöse Neutralisierung des öffentlichen Raums kennt: "Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben." Solange die Erzieherinnen im Kita-Alltag nicht missionieren, wird dem Gericht zufolge die Glaubensfreiheit der Kinder allein durch das Tragen des Tuchs nicht beeinträchtigt. "Insofern spiegelt sich auch in Kindertagesstätten die religiös-pluralistische Gesellschaft wider." Dass die Kinder noch klein und damit beeinflussbar sind, ändert aus Sicht der Richter nichts. Eher sei es für die Eltern sogar leichter als in der Schule, das Kind dem Einfluss des Kopftuchs zu entziehen - weil es zwar Schul-, aber keine Kita-Pflicht gibt (Az: 1 BvR 354/11).

Die Rechtsprechung des Gerichts zum Kopftuch steht also: Kopftuch-Verbote sind verfassungswidrig, jedenfalls im Regelfall; sollten sich am Kopftuch heftige Konflikte entzünden, mag im Einzelfall ein Verbot zulässig sein. Ob sich diese Karlsruher Linie allerdings ohne Weiteres auf andere Verbote übertragen lässt, ist offen.

Neueste Etappe im ewigen Streit um das bedeckte Haupt: der Gerichtssaal

Das gilt zum Beispiel für die neueste Etappe im ewigen Streit um das bedeckte Haupt - das Kopftuch im Gerichtssaal. Bayerns Justizministerium wartet noch auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, nachdem das Verwaltungsgericht Augsburg einer Referendarin das Kopftuch erlaubt hatte. Und Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) hat kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ob er sich damit in der grün-schwarzen Koalition politisch durchsetzen kann, ist derzeit noch offen, der Koalitionsausschuss hat sich erst einmal vertagt. Wie die Chancen des Projekts sind, vor dem Bundesverfassungsgericht zu bestehen - diese Frage ist komplizierter zu beantworten, als es die klare Karlsruher Linie zu Kopftuch der Lehrerin und Erzieherin vermuten lässt.

Zwar geht es auch hier um die Religionsfreiheit der Richterin - ihr das Kopftuch zu verbieten, wäre in der Diktion des Gerichts jedenfalls ein "schwerwiegender Eingriff". Ob er zu rechtfertigen wäre, hängt davon ab, wozu das Verbot dienen soll. In Wolfs Gesetzentwurf steht: "Das Gesetz dient der Sicherung des Vertrauens der Verfahrensbeteiligten und der Allgemeinheit in die Neutralität der Justiz." Ein abstrakter Grundsatz also - soll der größeres Gewicht haben als die konkrete Beeinflussbarkeit der Kinder?

Die Antwort, die Wolf kürzlich bei einer Veranstaltung in Karlsruhe gab, lautet: In der Schule gehe es um die Einübung von Toleranz - im Gerichtssaal dagegen gelte nicht Pluralität, sondern Neutralität. "Die Justiz hat andere Aufgaben", sagte der Minister. Sichtbar wird dies an einem anderen Stück Stoff - an der Robe. Wenn die Richterin oder der Richter die Robe überstreift, dann verschwindet die Person hinter dem Amt. Der schwarze Stoff symbolisiert Neutralität und Distanz, das Tuch auf dem Haupt der Richterin signalisiert dagegen eine Facette ihrer Individualität.

Das heißt aber auch: Der Entwurf aus Stuttgart will allein die Fassade der richterlichen Neutralität wahren. Ob eine Richterin einem Angeklagten innerlich voreingenommen gegenübersteht, daran ändert das Tuch ja nichts. Ob das wirklich für ein Verbot reicht, wird man sehen. Jedenfalls wäre es mal wieder ein neues Kopftuch-Rätsel, das Karlsruhe zu lösen hätte.

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