Kaffee in Deutschland:Latte-Macchiatisierung der Gesellschaft

Beißend, harzig oder aschig: Die Deutschen interessieren sich immer mehr für die Qualität ihres Lieblingsgetränks. Dabei üben sie sich nicht nur in Heimröstung und "Latte Art".

Antje Weber

Beißend, harzig oder aschig: Die Deutschen interessieren sich immer mehr für die Qualität ihres Lieblingsgetränks. Dabei üben sie sich nicht nur in Heimröstung und "Latte Art".

Tasse Kaffee Kaffeebohnen Löffel

Kaffee: Der Trend geht in Richtung ausgesuchte Qualität - mit individueller Note.

(Foto: dpa)

Lesen Sie einen Auszug aus dem Artikel "Hochgekocht" in der SZ am Wochenende vom 22./23. Januar 2011.

Eine Umdrehung, noch eine. Die Kaffeebohnen knacken laut, während sie langsam in einer Stahltrommel kreisen. Röstmeister Jörn Gozolla laufen Schweißperlen über das Gesicht; wieder und wieder prüft er die Farbe, kontrolliert die Temperatur, bis er die fertigen Bohnen schließlich in einen Blecheimer rasseln lässt.

"Drei Dinge gehören zu einem guten Kaffee: erstens Kaffee, zweitens Kaffee, und drittens nochmals Kaffee", soll der Schriftsteller Alexandre Dumas gesagt haben. Doch so einfach ist die Sache längst nicht mehr. Wenn die Besucher der "Speicherstadt Kaffeerösterei" in Hamburg heute beim Rösten zusehen und gleichzeitig ein Tässchen Kaffee genießen, handelt es sich dabei nicht um eine beliebige schwarze Brühe. Hier kredenzt man nur die allerbesten Sorten: den "Lake Tana Monastery Island Coffee" aus Äthiopien, den "Katzenkaffee Java Kopi Luwak" aus Indonesien oder "El Cafetal" von den ecuadorianischen Galapagosinseln.

Seit der arabische Muntermacher im 17. Jahrhundert in Europa dauerhaft in Mode gekommen ist, hat sich manches verändert. Im Kaffeeland Deutschland heißt das Lieblingsgetränk schon lange nicht mehr Filterkaffee, stundenlang auf der Wärmeplatte im Büro abgestanden. Dass ein Cappuccino, wunderbar duftend unter der Milchschaumhaube, in der Steh-Bar um die Ecke Lebensgenuss pur bedeutet, haben inzwischen auch Kostverächter begriffen; die Latte-Macchiatisierung der Gesellschaft ist fast abgeschlossen.

Die neue Lust am Kaffee macht vor der heimischen Küche nicht halt - immer häufiger stehen darin teure Kaffeemühlen und Espressomaschinen, die mit solcher Kennermiene angeworfen werden, dass es der Vorführung des neuesten BMW-Modells gleicht.

Die Folge all dieser Entwicklungen ist ein steigender Trend zur ausgesuchten Qualität - mit individueller Note. Der Kenner kauft keinen vakuumverpackten Backstein im Supermarkt, sondern einen Hochlandkaffee mit nussig-schokoladigem Aroma direkt beim Röster - wenn er die Rohbohnen nicht gleich selbst zu Hause röstet und für jede Tasse frisch mahlt. Für einen guten Kaffee gibt der Kenner mindestens 20 Euro pro Kilo aus, nach oben keine Grenzen. Und manchmal - allerdings noch viel zu selten - interessiert er sich sogar dafür, unter welchen Bedingungen die Bohnen im Herkunftsland wachsen.

An diesem langsam wachsenden Bewusstsein haben Kaffeeimporteure und -röster wie Thimo Drews und Andreas Felsen aus Hamburg einen großen Anteil. Drews, Mitinhaber der von Besuchern überrannten "Speicherstadt Kaffeerösterei", bezieht seinen Kaffee nur von ausgewählten Qualitätsimporteuren oder importiert selbst, zum Beispiel von einer Frauenkooperative in Honduras. Doch das gute Gewissen ist für ihn nicht der einzige Maßstab - das Wichtigste bleibt der Geschmack: "Es gibt Kaffees, da ist man ein ganz guter Mensch, wenn man sie trinkt, aber man muss leiden."

Das Konsumentenbewusstsein steigt

Mit dem quasi-religiösen Ansatz und bitteren Geschmack vieler Fairtrade-Kaffees hat ein Erfolgsunternehmen wie das von Drews nichts mehr zu tun. Tue Gutes, aber verleugne nicht deine Ansprüche an Qualität - so könnte man sein Motto eher umschreiben. Radikaler noch ist Andreas Felsen, der schon für "Café Libertad" Bohnen von den Zapatisten in Mexiko importierte und auch bei seinem neuesten Projekt "Quijote Kaffee" auf Direktimport setzt. Einem wie ihm geht es um Gerechtigkeit und Transparenz. Ob das die Käufer interessiert? "Noch ist das Konsumentenbewusstsein in Deutschland nicht groß genug", sagt Felsen, "doch es steigt schnell - die Leute wollen immer mehr wissen."

Daher reist ein idealistischer Kaffeeimporteur neuer Prägung durch die Welt und schaut genau hin, wo er seinen Kaffee einkauft. Drei Monate zuvor, in einem abgelegenen Bergtal in Ecuador, steht Andreas Felsen in den Räumen der Kooperative "Río Intag" und ist begeistert: "Die arbeiten hier sehr sauber, übererfüllen alle Normen."

Auch beim Besuch einer Finca ist er zufrieden: Die Pflanzen wachsen im Schatten zwischen Bananenstauden, Bauer Franklin Montenegro verwendet biologischen Dünger und trocknet die Bohnen nicht auf dem Boden, sondern auf Holzgestellen. Immer wieder hebt Montenegro beim Rundgang einzelne Zweige der Kaffeesträucher hoch, um den Reifegrad der Kirschen zu prüfen. Wenn sie wie im Intag auf durchschnittlich 1500 Meter Höhe besonders langsam wachsen, verspricht das noch mehr Verwöhnaroma.

"Hilfe, ich bin Rohkaffeebohnensammelsüchtig!"

Kaffee in Deutschland: Drei Dinge gehören zu einem guten Kaffee: erstens Kaffee, zweitens Kaffee, und drittens nochmals Kaffee.

Drei Dinge gehören zu einem guten Kaffee: erstens Kaffee, zweitens Kaffee, und drittens nochmals Kaffee.

(Foto: AP)

Die Intag-Kooperative besitzt eigene Röstmaschinen, doch die letzte Feinheit der Röstung - die Kaffeeimporteure wie Drews und Felsen sowieso lieber selbst in Deutschland beaufsichtigen - ist der Kooperative nicht das Wichtigste: Ihr geht es darum, das Einkommen von 400 Bauern zu verbessern. Damit möglichst viele vom Koffeinrausch profitieren, sortieren Arbeiter statt Maschinen die schlechten Bohnen aus, und eine Gruppe von Weberinnen stellt überflüssige Jutesäckchen her, die den Verpackungen übergestülpt werden: "Wenn wir nur Geld verdienen wollten", sagt Präsident Edmundo Varela, "müssten wir anders vorgehen."

Welche Alltagsschwierigkeiten eine Kooperative in einem Entwicklungsland zu lösen hat, ist für einen Kaffeejunkie aus Deutschland ohnehin schwer vorstellbar. Ja, der Drogenhandel sei ein Problem, erzählt Varela beiläufig, in einer anderen Kooperative hätten sie schon mal Drogen unter den Kaffee gemischt. Oder die Geldwäsche, beliebt bei Aufkäufern aus dem nahen Kolumbien. Doch im Kampf gegen Widrigkeiten sind die Menschen aus dem Intag geübt; seit Jahren wehren sie sich mit internationaler Hilfe erfolgreich gegen Bergbaupläne in ihrem Tal.

Wenn die Produzenten der sogenannten Dritten Welt wüssten, was die Konsumenten in der sogenannten Ersten Welt so alles beim Thema Kaffee umtreibt, würde ihnen vermutlich die Tasse mit Instantkaffee aus der Hand fallen - in Ecuador serviert man immer noch häufig Dosenpulver, aus Bohnenschälabfällen zusammengepresst. "Wir haben keine Kaffeekultur", sagt Kooperativen-Präsident Varela, und Drews erinnert sich mit Schaudern an eigene Café-Besuche in Ecuador: "Man müsste das Bewusstsein auch dort im Land viel mehr weiterentwickeln."

In Deutschland hingegen fragt man sich bisweilen, ob zu viel Bewusstsein nicht auch von Nachteil sein kann. Hier wird bei Barista-Meisterschaften in "Latte Art" der kreativste Milchschäumer gekürt. Professionelle Kaffeeverkoster lassen gerne Begriffe wie "Zungengefühl" und "retronasal" fallen. Werbeslogans und nostalgische Tanzorchester setzen neuerdings auf "Coffeetainment", und in Hamburg kann man in einem Aufbaustudiengang das "Coffeemanagement" lernen. Nicht zu vergessen Internet-Netzwerke wie www.kaffee-netz.de mit Tausenden Nutzern, die unter Namen wie "espressoaddict", "Kunstmilch" oder "cappufan" über schlimme Symptome von Abhängigkeit diskutieren: "Hilfe, ich bin Rohkaffeebohnensammelsüchtig!"

(...)

Toaster, Pfanne oder Backrohr - wie die Deutschen ihren Kaffee selbst rösten, und wonach wirklich schlechter Kaffee schmeckt, lesen Sie in dem vollständigen Artikel in der SZ am Wochenende vom 22./23. Januar 2011.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: