Japan: Kinder im Katastrophengebiet:Ein kleines bisschen Normalität

"Man zittert, wenn man das sieht. Und es bricht einem das Herz": Die Lage im japanischen Katastrophengebiet entspannt sich kaum. Die Hilfe konzentriert sich auf die schwächsten der Opfer: die Kinder.

Ulrike Bretz

Zwölf Tage nach dem heftigen Erdbeben und verheerenden Tsunami ist die Lage im Nordosten Japans noch immer außer Kontrolle. Nachbeben, Schneestürme, eisige Temperaturen und Störfälle in mehreren Atomkraftwerken behindern die Versorgung der Menschen.

Japan - Lebensfreude trotz aller Katastrophen

Lebensfreude trotz aller Katastrophen: In einem Schutzzentrum für die Opfer des Erdbebens und Tsunamis in der japanischen Präfektur Iwate können Kinder spielen und über ihre Ängste sprechen.

(Foto: dpa)

Die Zahl der Toten steigt stetig. Bislang seien mehr als 9000 Tote registiert, teilte die japanische Polizei am Dienstag mit. Mehr als 10.000 Japaner werden noch vermisst. Fast 500.000 Menschen wurden obdachlos, darunter etwa 100.000 Kinder.

Auf sie konzentriert sich die Arbeit vieler japanischer und internationaler Helfer. Die Kinderrechtsorganisation "Save the Children" hat 40 Mitarbeiter in die Katastrophenregion im Nordosten Japans geschickt.

Einer von ihnen ist Ian Woolverton. Er ist am Tag nach dem großen Beben in Sendai eingetroffen und baut vor Ort Schutzräume für Kinder auf. Dort betreuen Traumaexperten die Mädchen und Jungen, die bei der Naturkatastrophe ihr Zuhause verloren haben. "Wir versuchen, den Kindern ein kleines bisschen Normalität zu geben", berichtet Woolverton im Gespräch mit sueddeutsche.de.

In den Schutzzentren gibt es Decken, Essen, Spielzeug - und vor allem die Möglichkeit, über das Erlebte zu sprechen. Viele Kinder beschäftige die Gefahr, die von den zerstörten Atomreaktoren ausgeht. "Sie haben alle große Angst - doch hier trösten sie sich gegenseitig", sagt Woolverton.

Mitsuko Sobata, die für das Hilfswerk "World Vision" arbeitet und gerade aus dem betroffenen Präfektur Miyagi nach Tokio zurückgekehrt ist, berichtet von desolaten Zuständen. "Der Tsunami hat alles weggespült - Menschen, Häuser, Bäume, Autos - die ganze Stadt. So etwas habe ich in meinem Leben noch nie gesehen."

Vor allem für die Kinder sei das eine sehr schlimme Erfahrung. "Ihre Eltern wurden einfach weggespült", sagt Sobata, "sie haben alles verloren." Sie und die anderen Helfer verteilen Wasser, Babynahrung und Hygieneartikel an die Bedürftigen. Andere fahren in Leichenwagen durch die Stadt und transportieren die Toten ab.

"Es bricht einem das Herz"

Auch die internationale Kinderhilfsorganisation "Plan" hat Experten in die betroffenen Küstengebiete Japans entstandt, darunter den Arzt Unni Krishnan. Der Traumaspezialist hat jahrelange Erfahrung - er hat Kinder nach dem Erdbeben in Haiti, nach der Flut in Pakistan und dem Tsunami in Thailand betreut.

Trotzdem: Eine solche Zerstörung wie in Japan hat er noch nie gesehen: "Was dort passiert ist, ist unvergleichbar mit anderen Katastrophen. Man zittert, wenn man das sieht. Und es bricht einem das Herz", sagt er zu sueddeutsche.de.

Immer wieder wird seine Arbeit durch heftige Nachbeben schüttert. "Dabei stehen wir vor einem Dilemma: Eigentlich sollte man bei einem Beben das Gebäude verlassen - aber draußen ist die Strahlung. Man muss abwägen, welches das kleinere Risiko ist", sagt Krishnan.

In überfüllten Notunterkünften, bei Minusgraden und Schneestürmen, spricht er mit den Kindern und ihren Eltern über ihre Ängste. Mit ihnen erarbeitet er Strategien, wie das Erlebte verarbeitet werden kann. Er staunt, wie viele Ideen die Kinder selbst haben - sie schlagen vor, ihre Erlebnisse in Comicform festzuhalten.

Welchen Ausdruck die Gefühle auch immer finden: "Es ist ganz wichtig, dass die Kinder ihre Gefühle überhaupt mitteilen können", sagt er. "Das Gehirn funktioniert wie ein Ballon: Man muss ein bisschen vom Inhalt rauslassen, sonst platzt man."

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