Jahrgang 1967:Generation gugl

Wichtig wird sein, den Humor nicht zu verlieren: Was uns droht, wenn Bedenkenträger auf Datenträger treffen. Ein Ausblick in die Zukunft.

Hilmar Klute

Im Sommer 2000 wurde ein Kollege, der damals Anfang dreißig war, gebeten, auf seinem PC google einzugeben - damals war die Suchmaschine zwei Jahre alt, und das Wort google war noch nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen.

Generation 1967

Die Generation 1967: Da stehen sie dann im Jahr 2050, oder sie sitzen in satellitengesteuerten Rollstühlen und rekapitulieren, wie die Welt sich verändert hat.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Der Kollege - die Geschichte soll hier stehen, weil sie den großen Kulturbruch im Leben der heute über Vierzigjährigen illustriert -, er tippte in die Eingabeleiste den Begriff gugl ein, drückte auf die Entertaste und fand innerhalb einer Sekunde eine Seite mit einer Galerie genormter Sandkuchen vor.

Mit dieser Art heiterer Unbeholfenheit werden die Vertreter derjenigen Generation, die gegenwärtig mit ihrem Leistungsvermögen und den entsprechenden immensen steuerlichen Abgaben das Land so gerade noch am Laufen halten, durch die nächsten Jahrzehnte gehen.

Die Repräsentanten des letzten geburtenstarken Jahrgangs - 1967 - werden in vierzig Jahren ein Drittel der Weltbevölkerung stellen. Diese Frauen und Männer werden in Heimen wohnen, zu Hause allein oder betreut, das hängt davon ab, für welche Versicherungsmodelle sie sich am Ende des 20. oder zu Beginn des 21. Jahrhunderts entschieden haben.

Es wird für die Gebrechlichen unter ihnen Hilfestellungen geben, die man heute für vulgärutopische Spielereien ansehen mag - Pflegeroboter und programmierbare Handreichungsmaschinen zur Nahrungsaufnahme. Für die in mancherlei Hinsicht Robusten unter ihnen werden Freizeitangebote erarbeitet, die sich zum größten Teil in der digitalen Welt abspielen, wenngleich es sicher auch den einen oder anderen Analog-Nachmittag geben dürfte, bei dem spielerisch an Kulturtechniken aus der alten Zeit erinnert wird, zum Beispiel das Briefeschreiben mit Kugelschreiber, mit der Hand Karten spielen oder Disketten in Laufwerke schieben.

Wird das eine angenehme Zeit werden für die Leute von heute?

Es ist möglich, dass sie einigermaßen glücklich aufgehen in ihrem Greisentum. Jedenfalls werden sie entschieden gelassener mit dem Alter leben als ihre Eltern damals in den frühen 2000ern, die nach der Pensionierung glaubten, sie kämen nur dann ungeschoren durch die letzte Lebensphase, wenn sie mit Skistöcken durch den Park liefen.

Die Geburtenstarken aus den 1960ern müssen übrigens auch gar nicht trainieren. Dass sie ein hohes Alter erreichen, ist eine Zwangsläufigkeit, denn es wird auf alles, was ungesund macht, eine Steuer erhoben. Fett, Nikotin und Alkohol werden so geächtet sein wie heutzutage promisker Sex in Thailand ohne Kondom. Auf dieser Seite ihres Lebens wird es also sonnig sein.

Mau wird es aussehen, was ihr Verhältnis zu denen betrifft, die fünfzehn oder zwanzig Jahre nach ihnen geboren - oder sagen wir: in die Welt gegoogelt worden sind. Für die werden sie verschrobene Dire-Straits-Hörer und Bob-Dylan-Zitierer sein, die grundsätzlich mit allem fremdeln, was nicht mit ihrer analogen Weltsicht übereinstimmt.

Wenn man mit ihnen redet, erzählen sie Rätselhaftes über erodierende Werte und Identitätsverlust, weil sie nicht mehr begreifen wollen, dass man die Welt lässig formen und uminterpretieren kann, wie man halt mag; sie hängen an Idealen, die schon in wenigen Jahren keine Sau mehr interessieren und die in fünfzig Jahren Gegenstand von Kulturwissenschaft sein werden: klar konturierte Berufsbilder zum Beispiel, unbegrenzte Arbeitsverträge oder die altmodische Eigenart, jede Mail mit freundlichen Grüßen statt mit LOL oder tanzenden Smileys zu unterzeichnen.

Datenträger und Bedenkenträger

Zwei Generationen werden aneinander vorbeileben: Datenträger neben Bedenkenträgern. Die einen werden immer im Jetzt leben, die anderen können ihre Erinnerungen an das Einst nie so recht mit dem Jetzt versöhnen.

Diese Anderen sind die Freunde vom Jahrgang 1967. Im Jahr 2050 werden sie über achtzig Jahre alt sein und unter ständigem Kopfschütteln auf Zeiten zurückblicken, in denen Schritt für Schritt alles baden ging, was sie für unabdingbare gesellschaftliche Konstanten hielten, weil sie es ja so gelernt hatten.

Jene Empfindung, welche der Essayist Alain de Botton Statusangst genannt hat, dürfte sich allerdings, was uns angeht, ein für allemal erledigt haben, denn Unternehmen werden sich künftig lediglich über ihre Marktwirtschaftlichkeit definieren und nicht mehr als Bühnen individuellen Gestaltungswillens. Etwaige kreative Kaspereien können also gleich wieder eingesteckt werden.

Ja, da stehen sie dann im Jahr 2050, oder sie sitzen in satellitengesteuerten Rollstühlen und rekapitulieren, wie die Welt sich verändert hat, allerdings nicht durch Atomkriege und Waldsterben, wie sie es Anfang der Achtziger, oh ja, eingetrichtert bekommen hatten.

Nein, es geschah durch Kommunikationstechniken, mit deren Hilfe man nicht einfach direkten Kontakt zu jemandem aufnimmt, so wie sie es noch vom Telefonieren kannten, sondern in denen man sich mit seiner ganzen Existenz einrichten, ja, in welcher man sich eine komplett neue Existenz aufbauen konnte.

Als die Leute vom geburtenstarken Jahrgang das einigermaßen kapiert hatten, waren sie aber doch zu alt geworden für myspace, flickr und StudiVZ - sie hätten dort ausgesehen wie die fremdelnden Seniorenstudenten in den Soziologie-Seminaren damals, die jeden Beitrag mit der ängstlichen Formulierung begannnen: "Könnte man nicht eventuell sagen, also jetzt alles in Parenthese natürlich, dass . . . ?"

Im Frühjahr 2009, so werden sie sich einmal erinnern, hatten die Händler in den deutschen Buchhandlungen Pappgerüste aufgestellt, auf denen das erste E-Book lag wie eine Reliquie.

Die sensationelle Art, wie die neue digitale Errungenschaft präsentiert wurde, hatte etwas rührend Altbackenes und erinnerte an die Installation des ersten Aquariums anlässlich der Weltausstellung 1851 in London - damals war die Bevölkerung ähnlich hin- und hergerissen, ob sie die Neuerung nun feiern oder als unwürdiges Spektakel abtun sollte, das ja immerhin geeignet war, die Hoheit der Menschheitskultur in Frage zu stellen - Fische galten als Nahrung, nicht als autonome Lebensform.

Natürlich haben die vom geburtenstarken Jahrgang alle später das E-Book benutzt, aber immer mit der Einschränkung, dass es uns lediglich als ästhetisches Prüfinstrument dienen sollte: Wir laden uns ein Buch herunter, schauen uns die ersten fünfzig Seiten digital an und wenn es uns gefällt, bestellen wir das analoge Pendant bei Amazon oder ZVAB - Halbleinen oder Leder, je nach Autor, je nach Laune.

Kaum etwas ist komischer als die verschrobene Vorsicht, mit der sie von Anfang an die neuen Medien benutzten. Im Grunde richteten sie sich nach ähnlichen Prinzipien, mit denen sie als Kind das Fernsehen erlernten: erst die Sendung in der Programmzeitschrift ankreuzen, dann auswählen und schauen. Das größte Problem ihres Jahrgangs war, dass sie seit jeher mit dem Standbein in der alten Bundesrepublik standen und lediglich mit dem Spielbein im digitalen Meer rührten.

Die "neuen Medien" nannten sie übrigens noch so, als diese bereits ein halbes Jahrhundert alt waren. Weil sie mit dem Zeug nicht richtig warm wurden, haben die ganz Erleuchteten unter ihnen zur Twitterkultur - und das ist wirklich das Trotteligste überhaupt - auch noch eine ironische Haltung eingenommen.

In Wahrheit, so unkten sie gartenlaubenhaft, ist die ganze junge digitale Community auch nur auf der Suche nach Nähe und Vieraugengesprächen - sozialen Privilegien also, die ausschließlich diejenigen noch kennen, die sich früher in den Kellerräumen der katholischen Jugendgruppen getroffen haben und sich noch an Telefone erinnern, die schellen - die tollen Zeitzeugen.

Dementsprechend adenauerhaft klingt der Sound in digitalkritischen Büchern wie "Das große Rauschen" von Astrid Herbold, Jahrgang 1973, die vom medienkonservativen Feldherrnhügel aus spöttisch die Lippen schürzt: "Da müssten wir uns schon sehr irren, wenn aus diesen einsamen Stubenhockern nicht noch hochkommunikative und hochproduktive Mitglieder der Gesellschaft werden."

Nun ja, so bellten früher böse alte Rentner, die auf Kissen im Fenster lagen, Fußball spielende Kinder an. Es ist schwer zu glauben, dass diese Attitüde sogar noch von Leuten gepflegt wird, die sogar fünf, sechs Jahre jünger sind als jene vom Jahrgang 1967. Das sind Menschen, die ihre Homepage "Heimatseite" nennen, um auf diese Weise mit Trotz zu zeigen, dass sie noch solide Wurzeln in der altbewährten deutschen Sprache und Kultur haben.

Die Still-online-Kultur

Und trotzdem: Diese Jungen mit der Still-online-Kultur - wo waren die denn bloß so plötzlich hergekommen? Sah es nicht anfangs noch so aus, als seien die in den Sechzigern Geborenen die letzte Generation überhaupt gewesen? Als käme nichts Nennenswertes nach ihnen mehr? So hatten sie es doch gelernt, oder?

Mitte der neunziger Jahre saßen sie in den Oberseminaren der philologischen Insitute und waren sich einig, dass sie im posthistoire leben wie auf einer sytemtheoretischen Ferieninsel. Sämtliche ideologischen Schlachten waren lange vor unserer Zeit geschlagen, und sie verwalteten gewissermaßen nur noch das Kulturgut von gestern, so wie der Dichter Nicolas Born schrieb: "Große Erzählerschlachten sind in unsere Wände geritzt" - sie mussten sie nur noch deuten, mehr nicht.

Ihre Zukunft, so dachten sie, würden sie auf der langen ruhigen Endmoräne der späten Moderne verbringen und das Erlernte und Erfahrene im privaten Leben umsetzen. Jedenfalls galt das für die eine Hälfte von ihnen. Übrigens ist diese Hälfte - trotz oder wegen ihrer digitalen Tollpatschigkeit - die eindeutig glücklichere. In Jean Paul Sartres Roman "Zeit der Reife" grübelt der Philosoph Mathieu Delarue: "Was ist denn schon die Bohème? Vor hundert Jahren war das alles ganz hübsch, jetzt ist es eine Handvoll Verückter, die keinem gefährlich werden und den Zug verpasst haben."

Die Kunst bestand für sie nun erstens darin, sich einzugestehen, dass der Zug abgefahren ist und zweitens selbstbewusst zu verkünden, dass man zwar weitgehend von Gestern ist, aber dafür Gott sei Dank nicht die halbe Nacht im Chatroom 'rumhängen muss.

Schlechter ging es der anderen Hälfte, jenen, die zwischenzeitlich nach Berlin umzogen, um in einer irgendwie neuen Art von Großstadtidee aufzugehen. Sie trugen hautenge Jacken zu ihren Krähenfüßen und cremten sich das schütter gewordene Haupthaar mit Gel struppig, von hinten nach vorne oder von einer Seite auf die andere. In ihre Dreitagebärte hatten sich schon graue Stoppeln gemischt, und wenn sie im Internet-Café tapsig mit 25-jährigen Studentinnen Kontakt suchten, wusste man: es waren Männer, die nicht erwachsen werden wollten und sich einem kindischen Begriff von Freiheit verpflichtet hatten, der sie nirgendwo hinführte.

Die Erfahrungen der alten Bundesrepublik vermochten sie genau so wenig abzuspalten wie sie sich die sorglose Chatter-, Twitter- und Bloggerkultur der Jüngeren aneignen konnten.

Im Jahr 2050 werden sie von ihren eigenen Pflegerobotern aus Verachtung ständig eine reingesemmelt kriegen. Wie würdelos ist das denn?

Macht es sich da nicht besser, mit dieser partiellen Unbeholfenheit durch die Jahre zu gehen und sein Selbstbewusstsein aus der Wahrheit zu ziehen, dass man prinzipiell leider nirgendwo mehr richtig mitkommt, aber alles wahnsinnig interessant findet, was die Jüngeren in ihren furchtbar gefühlskalten Communities da so aushecken?

Zaungäste sollen sie sein, sich am Ende in wirbelsäulenfreundlichen Gel-Sesseln zurücklehnen und die Jahre rekapitulieren, in denen sie von einer Krise in die andere gegangen, aber keineswegs untergegangen sind - ein bisschen wie der junge Adelige Orlando in Virginia Woolfs Roman. Der rutscht ja auch durch die Jahrhunderte wie Butter, wechselt zwischenzeitlich sogar sein Geschlecht, aber eine ganz wichtige Sache führt er, nein: sie immer mit sich: Das Manuskript ihres Gedichts "Die Eiche", das lange Zeit keiner so richtig haben will und erst zum Romanende, da ist es bereits 1928, mit einem Preis ausgezeichnet wird.

Die "Eiche" des Jahrgangs 1967 - um gegen Ende noch mal kulturkonservativ aufzuheulen - könnte sie nicht für das stehen, was diese Mädchen und Jungen vor dem digitalen Zeitalter an Bildung und politischer Erfahrung aufgenommen haben? All das kulturelle Gepäck aus der vordigitalen Zeit - können sie damit im Jahr 2050 noch einen Blumentopf gewinnen? Oder wäre es besser, wenn sie sich damit endgültig, jetzt natürlich nur ins Unreine und in Parenthese gesagt: zum Teufel scheren?

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