Italiener und Zigaretten:L'amore è finito: Italien macht Schluss mit Rauchen

Rauch in der Morgensonne

Rauchen - immer und überall: Das ist vorbei in Italien.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Niemand rauchte einst so leidenschaftlich wie die Italiener. Heute ist ihre Liebe zur Zigarette erkaltet. Wie konnte das nur passieren?

Von Thomas Steinfeld

Einer der berühmtesten italienischen Filme der Sechzigerjahre beginnt mit einer langen Autofahrt durch menschenleere Straßen. Der Ort ist Rom. Die Zeit ist Mitte August, genauer: Ferragosto, der heißeste Feiertag des Jahres. Der Mann in seinem offenen Cabriolet ist auf der Suche nach Zigaretten. Doch die Geschäfte sind geschlossen, die Bars verriegelt, in den tabacchi sind die Rollladen heruntergelassen. Ein jüngerer Mann (gespielt von Jean-Louis Trintignant) gesellt sich zu ihm. Er ist Nichtraucher, aber er begleitet Bruno Cortona (gespielt von Vittorio Gassman), auf seiner Fahndung.

Ein Drittel der Spielzeit von "Il Sorpasso" ("Verliebt in scharfe Kurven", 1962) ist schon vergangen, als Bruno endlich Zigaretten in Händen hält. Sie sind das Glück - und selbstverständlich keine "Nazionali", nicht die schwarzen Krautstengel des italienischen Arbeiters, sondern "Chesterfield", feine amerikanische Zigaretten, wie sie von Humphrey Bogart geraucht worden waren.

Über dem 20. Jahrhundert lag eine Wolke aus Tabakqualm. Kaum, dass man sich dann erinnerte, aber es wurde überall geraucht, nicht nur in Restaurants, in Fernsehstudios und in Wartesälen, sondern auch in den Zügen, in den Konferenzsälen und in den Betten, in den Fluren der Krankenhäuser und in den Toiletten der Schulen sowieso.

Über Italien muss diese Wolke dichter als über anderen Ländern gewesen sein. Dort gab es Romane, an deren Anfang Sätze stehen, die vermutlich schon in mittlerer Zukunft unverständlich sein werden: "Zwar weiß ich nicht, wie ich beginnen soll. Alle Zigaretten, die ich je geraucht habe, mögen mir beistehen. Sie glichen alle der einen, die ich hier in der Hand halte." Inmitten der grauen Schwaden vollzog sich, an und mit den kleinen glühenden Rollen, eine Choreografie der Selbstzuwendung und Selbstvergewisserung, der Annäherung und der Zurückweisung, der Konzentration und der Entspannung, von der man nicht zu sagen wüsste, was an ihre Stelle getreten wäre.

Um gar nicht erst anzufangen mit dem Trost und dem Beistand, die eine Zigarette gewährt - und mit jenem Roman, der angeblich aus dem (vergeblichen) Versuch des Erzählers entstand, sich das Rauchen abzugewöhnen: Es ist Italo Svevos "Zeno Cosini", erschienen im Jahr 1923 und eines der großen Bücher der klassischen Moderne.

Italien fand spät zu den Zigaretten. Gewiss, es gab auch dort Wohlhabende und Weltläufige. Sie waren mit von der Partie, als man um das Jahr 1890 begann, fein geschnittenen Tabak in dünne Blätter Papier zu rollen und unter klingenden Namen wie "Macedonia" oder "Giubek" zu verkaufen. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung, und das heißt: das Landvolk, rauchte nicht. Den Bauern fehlte das Geld, und wenn sie es dennoch taten, dann saugten sie an Zigarren, an nikotinreichen, meist halbierten "Toscani", wie sie in den Fünfzigerjahren noch Don Camillo rauchte, in sorgfältig abgemessenen und jeweils mehrere Tage auseinanderliegenden Rationen.

Mit dem Wohlstand kam die Leidenschaft für Zigaretten

Die Hinwendung zum Rauchen, die Industrialisierung und der langsam wachsende Wohlstand gehören zusammen: Erst um 1950 wurde in Italien so viel gequalmt, wie 250 Jahre zuvor in Großbritannien oder in den Niederlanden (knapp ein Kilogramm Tabak pro Kopf und Jahr) geraucht worden war. Aber als dann die Leidenschaft für Zigaretten das Land ergriff, nach dem Zweiten Weltkrieg, geriet sie heftiger als in jedem anderen europäischen Land. Mit solcher Inbrunst wurde geraucht, dass die Kampagnen wider das Rauchen in diesem Land, verglichen etwa mit Deutschland oder erst recht mit den Vereinigten Staaten, erst mit einer Verspätung von zwanzig oder dreißig Jahren zu fruchten begannen - in den Neunzigern.

Der amerikanische Historiker Carl Ipsen, ein Fachmann für die Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, veröffentlichte vor Kurzem ein Buch über diese mediterrane Variante des Rauchens: "Fumo" heißt es es, "Rauch" oder "ich rauche" ("Italy's Love Affair with the Cigarette", Stanford University Press, 2016). Es entstand aus einem ungewöhnlichen Grund: Im Auftrag einer Anwaltskanzlei sollte er ein Gutachten in einem Gerichtsverfahren erstellen, das die Nachkommen eines italienischen Einwanderers angestrengt hatten, nachdem dieser an Lungenkrebs gestorben war. In Italien, so ihr Argument, habe es im Interesse der Tabakkonzerne an Aufklärung über die Risiken des Rauchens gefehlt.

Ipsen wies nach, dass es nicht an Informationen fehlte. Er zeigte indessen auch, dass sich die schlechten Nachrichten in diesem Land lange Zeit nicht gegen einen allgegenwärtigen Kult des Rauchens behaupten konnten. Wie das geschah, mit welchen Mitteln und in welchen Marken, nach welchen Vorbildern und gemäß welchen wirtschaftlichen Interessen: Davon handelt dieses Buch. Die Nachkommen jenes Rauchers verloren das Verfahren.

Geraucht wurde immer und überall

Der Schauspieler Marcello Mastroianni rauchte unentwegt, im Film wie im Leben. Die Publizistin Oriana Fallaci verglich die Versuche, das Rauchen in der Öffentlichkeit zu verbieten, mit der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten (sie starb an Lungenkrebs). Der Fernsehmoderator Gianfranco Funari ließ sich im Jahr 2008 (obwohl er das Rauchen aufgegeben hatte) mit drei Packungen Zigaretten und einem Feuerzeug begraben. Für den Schriftsteller Umberto Eco war das Schreiben so sehr mit dem Rauchen verbunden, dass er seine Zeitungskolumnen "La Bustina di Minerva" (auf Deutsch: "Streichholzbriefe") nannte, nach den Streichholzbriefchen der Marke "Minerva", deren weiße Innenklappe man für eine Notiz benutzen konnte.

Und Mina, bis heute eine der erfolgreichsten italienischen Sängerinnen überhaupt, verwandelte im Jahr 1966 einen amerikanischen Schlager in eine Hymne auf das Rauchen. "Fumoblu" heißt das Lied: "Blauer Rauch, blauer Rauch / Eine Wolke und darin du / Und dann, und dann, wenn ein Mann nach Rauch riecht / Aber ja, aber ja, dann ist er wirklich ein Mann / Und ich werde dich lieben, solange du willst / Weil du bist, wie du bist." Wo anders als in Italien (mit Ausnahme von Frankreich: Jean Gabin, Jean-Paul Sartre, Léo Ferré und "La Gitane") hätte eine so nutzlose, so flüchtige Tätigkeit eine solche kulturelle Kraft entfaltet?

Symbol für Modernisierung

Warum aber gewann das Rauchen in diesem Land eine solche Bedeutung? Die Liebe zur Zigarette muss, so lautet die nächstliegende Antwort, ein Fall von nachholender Modernisierung gewesen sein, einer Bewegung, die außerdem so disparate Dinge hervorbrachte wie den italienischen Jazz, die Serienfertigung ebenso teurer wie eleganter Kleidung (als Lieferanten für amerikanische Warenhäuser überflügelten die italienischen Schneider schon in den Fünfzigern ihre französischen Konkurrenten), den Neorealismus im Film und den caffè americano. Das Bewusstsein, eine entscheidende Entwicklung aufholen zu müssen, führte zu einer besonders heftigen Verehrung für die vermeintlichen Insignien des modernen Lebens.

Ein zweites Motiv meint Carl Ipsen in einem spezifisch italienischen Verhältnis zum Risiko zu erkennen. Es wird in Italien nach dem beliebten Satz "me ne frego" ("ist mir gleichgültig") gern "menefreghismo" genannt: Bruno Cortona, der dem Nikotin verfallene Autofahrer in "Il sorpasso", erscheint in seinen gewagten Überholmanövern als der prototypische Vertreter eines Verhaltens, in dem die Freiheit am dafür zu bestehenden Abenteuer gemessen wird.

Es gibt aber noch ein drittes Motiv. Die Zigarette muss für viele arme Italiener die erste Begegnung mit der Warenwelt gewesen sein, lange bevor Coca Cola die Tiefen der Poebene oder die Höhen der Abruzzen erreichte. Die erschwingliche Zigarette (zur Not auch einzeln zu kaufen) machte sie zu Teilnehmern eines anonymen, von Warenzeichen geprägten Marktes, der sich ansonsten in schwer erreichbaren Gütern wie Automobilen manifestierte. Deswegen ist es so wichtig, dass Bruno zu zwei Stangen "Chesterfield" findet.

Dass die Zigaretten aus italienischer Produktion gegen eine solche Marke nicht bestehen können, liegt nicht nur an deren minderer Qualität, nicht nur daran, dass sich ihr Geschmack angeblich nicht mit dem der "hellen", heißluftgetrockneten Konkurrenz (deren Rauch weicher war) messen konnte. Ein Grund war auch, dass die amerikanischen Marken als leuchtende Produkte überlegener Wirtschaftsmacht erschienen - denen man mit absoluter Loyalität begegnete.

Die einheimischen Zigaretten hingegen gingen alle auf denselben wenig glamourösen Hersteller zurück: auf das "Monopolio di Stato", die im Jahr 1861 gegründete staatliche Tabakgesellschaft, beheimatet im römischen Stadtteil Trastevere. Das "Monopolio" sorgte dafür, dass zeitweise bis zu zehn Prozent des gesamten Steueraufkommens durch Tabakprodukte herbeigeschafft wurde, was nun wiederum den Schmuggel beflügelte: Wenn Sophia Loren in der ersten Episode des Films "Gestern, heute und morgen" aus dem Jahr 1963 in einer dunklen Gasse Neapels steht, um dort illegal importierte amerikanische und englische Zigaretten zu verkaufen, zeugt diese Geschichte nicht nur von der Attraktivität des Rauchens und der ausländischen Marken, sondern auch vom allgemeinen Einverständnis mit dem Schmuggel.

Die Zigarette ist nicht mehr willkommen

Es muss deswegen einen tiefen Sinn haben, wenn die erfolgreichste italienische Zigarettenmarke der Achtziger- und Neunzigerjahre, nämlich die "MS" - eine Nachahmung der "Marlboro" - das Staatsunternehmen im Namen führt: Denn "MS" ist die Abkürzung für "Monopolio di Stato". Vielleicht war dieser Name schon Sentimentalität und Selbstironie. Denn das "Monopolio di Stato" wurde seit Mitte der Neunziger schrittweise privatisiert, nachdem es unter anderem Marlboros in Lizenz hergestellt hatte. Die Reste des Unternehmens wurden im Januar 2004 an den britischen Konzern BAT verkauft.

Zwar wird, nicht anders als in Deutschland, in Italien noch geraucht - vor allem im nach wie vor agrarischen Süden. Aber in dem Maße, in dem Italien zu den industrialisierten Ländern im Norden aufschloss, verlor das Rauchen seine symbolische Kraft. Selten war in Italien ein Gesetz so erfolgreich, ja so willkommen wie das im Januar 2005 verhängte allgemeine Rauchverbot in öffentlichen Räumen.

Und keiner scheint den alten Zeiten nachzutrauern, in denen man wie Bruno, der Abenteurer aus "Il Sorpasso", das Rauchen für gesund hielt. Die Verbindung zwischen Zigarette und Modernität ist erloschen.

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