Interview mit Patricia Riekel:"In Deutschland gibt es keine Stars"

Die "Bunte" wird 60. Zur Feier des Tages spricht Chefredakteurin Patricia Riekel über das Dekolleté der Kanzlerin, den Auflagenkiller Günter Jauch und ihr Glück, wenn Promis aus der Rolle fallen.

Christian Mayer

Alle warten auf sie - die Chefsekretärin, der Chefreporter Paul Sahner, der sich im Vorzimmer einen sehr starken Kaffee aus der Maschine lässt, und schließlich schaut auch die Gesellschaftsreporterin Marie Waldburg vorbei. Wo bleibt die Riekel? Sie ist ja so beschäftigt. Dann kommt sie, schwungvoll, und öffnet ihr Reich im Obergeschoss des Arabella-Hochhauses in München Bogenhausen: Orchideen auf den Tischen, bunte Bilder an den Wänden. Sie hat viel zu erzählen, oh ja. Und dann dieser Blick, der alles durchschaut, nicht nur Männer...

Interview mit Patricia Riekel: Patricia Riekel will ihren Leserinnen Geschichten geben, mit denen sie sich identifizieren können.

Patricia Riekel will ihren Leserinnen Geschichten geben, mit denen sie sich identifizieren können.

(Foto: Foto: Getty)

SZ: Frau Riekel, die Bunte wird in diesem Jahr 60 - wie hat sie es bis in dieses hohe Alter geschafft?

Patricia Riekel: Ich denke, wir sind der Seismograph der deutschen Gesellschaft und ihrer Befindlichkeiten. Wir berichten über die Aufstiegsprozesse und Abstiegsprozesse bekannter Menschen und schaffen Aufmerksamkeit für Prominente. Dazu kommt: Unsere Leser, vor allem Frauen, interessieren sich für einen bestimmten Personenkreis, das sind fast Verwandte für sie oder ein erweiterter Freundeskreis.

SZ: Alte Freunde muss man im Blick behalten?

Riekel: Genau. Unsere Leserinnen schauen sehr gründlich hin: Warum schneidet sich eine Schauspielerin die Haare ab? Warum zieht sie sich anders an? Warum hat sie plötzlich nach vorne gefaltete Schultern? Sonst ist sie doch immer so gerade gegangen! Frauen drücken ihren Zustand, ihre Gefühle am ehesten durch Kleider aus. Sie senden optische Signale.

SZ: Sie sagen gerne, die Bunte sei kein Streichelzoo. Aber eine gewisse Protektion genießen Ihre Freundinnen wie Vicky Leandros, Veronica Ferres, Ursula Karven und Barbara Becker doch.

Riekel: Also, die Stars, von denen Sie sprechen, sind Erfolgsfrauen. Die Aufgabe eines People-Magazins kann es nicht sein, nur über Katastrophen im Leben von Prominenten zu berichten, sondern auch über berufliche Weiterentwicklung. Die Leserinnen und Leser interessieren sich nicht nur für das Privatleben von Veronica Ferres, sondern auch für ihren neuen Film. Ich gebe zu, wenn es um meine berühmten Freundinnen geht, gibt es da eine beschützende Seite an mir; als Journalistin muss man aber auch professionell bleiben und sich um Neutralität bemühen.

SZ: Boulevard-Medien trauen sich schon mal, Veronica Ferres zur "nervigsten Münchnerin" zu küren. Und Sie?

Riekel: Wir Journalisten dürfen zwar Listen aufstellen, aber dieses Ranking war bösartig. Jeder sollte sich mal fragen, ob er als nervigster Münchner durch die Welt gehen will? Hey, wir Journalisten sind keine Henker. Wenn es klare Fakten gibt, wenn der Mann von Verona Pooth ein Steuerverfahren am Hals hat, dann müssen wir darüber berichten - selbst wenn mir Verona Pooth sympathisch ist.

SZ: Kürzlich hatte die Kanzlerin einen interessanten Auftritt in Oslo. Da trug sie eine erstaunlich weit ausgeschnittene Robe. Und jetzt wieder bei der Fußball-EM, wo sie auf der Tribüne mit Schweinsteiger turtelt. Alle, auch die seriösen Blätter, haben sich auf diese Bilder gestürzt.

Riekel: Das ist ein schönes Beispiel für die Boulevardisierung der Gesellschaft. Merkel hat schon mit ihrem Überraschungsdekolleté enorm gepunktet. Es ist doch nicht verwunderlich, dass die Menschen am privaten Bild der Bundeskanzlerin interessiert sind - die Politik selbst ist mit ihren vielen komplizierten Details für viele zu unübersichtlich geworden.

SZ: Setzt sie mit ihrem figurbetonten Auftritt in Oslo oder als schwärmerische Fußballpatriotin bewusst ein Zeichen?

Riekel: Ganz zufällig sind solche Auftritte bestimmt nicht. Sie zeigt eine andere, menschliche Seite von sich, die in der Berichterstattung bisher vielleicht vernachlässigt worden ist. Die Bunte bietet für solche Geschichten eine wunderbare Bühne. Wir haben vier Millionen Leser, davon etwa drei viertel Frauen. Frauen sind in ihrer Wahrnehmung subtiler. Sie checken in der Regel ihr Gegenüber ab und registrieren jedes Detail, vor allem bei anderen Frauen: Sind die Fingernägel manikürt, was ist mit den Augen, trägt sie eine Brücke, hatte sie eine Schönheits-OP? Männer ticken anders, die nehmen auf den ersten Blick eher die Gesamtwirkung auf und denken strategischer.

Auf der nächsten Seite: Das nackte Ex-Model und die moralische Queen - was für ein Gipfeltreffen...

"In Deutschland gibt es keine Stars"

SZ: Wie wählen Sie Titelgeschichten aus? Muss es immer nur um Liebe, Leid und Trennungen gehen?

Riekel und Pooth

Patricia Riekel und Verona Pooth bei der Bambi Charity Gala. Riekel findet Pooth sympathisch, will sich aber in ihren Geschichten an "klare Fakten" halten.

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Riekel: Die Erfahrung zeigt: Männer alleine auf dem Titel funktionieren nicht. Ein anderes Gesellschaftsmagazin versuchte es mit Bill von Tokio Hotel auf dem Titel und musste die gleiche Erfahrung machen. Selbst George Clooney alleine auf dem Cover geht wahrscheinlich nicht.

SZ: Würde ich vielleicht kaufen.

Riekel: Sie schon. Aber Frauen möchten Geschichten, mit denen sie sich identifizieren. Nach dem Motto: Was würde ich tun, wenn mir das geschehen würde? Der erste Blick ist entscheidend: Komplizierte Zeilen, komplizierte Bilder verfehlen ihr Ziel. Ich würde mal sagen, dass es etwa zweihunderttausend Leserinnen gibt, die sich spontan für eine Zeitschrift entscheiden. Wenn man Donnerstag am Kiosk liegt, muss ein Prominenter auf dem Cover sein, der mir etwas sagt. Gehirnforscher haben festgestellt, dass man im Vorübergehen höchstens sieben Worte aufnehmen kann. Deshalb darf eine gute Coverzeile nie lang sein - und sie sollte Worte enthalten, die blitzschnell Emotionen auslösen.

SZ: Das macht die Konkurrenz ähnlich.

Riekel: Richtig. Die Nachrichtenlage ist für alle gleich. Wir müssen daher erfühlen, ob es sich noch lohnt, über einen bestimmten Prominenten zu berichten. Die Nachricht an sich ist in der Regel bereits bekannt. Das Internet ist den Printmedien ja um Lichtjahre voraus. Wenn Heath Ledger stirbt, weiß das die Welt 23 Minuten später. Aufgabe von Bunte ist es, die Welt anzuhalten, Bilder zu bringen, die einen magischen Moment einfrieren. Wie in diesen Glaskugeln, in denen es schneit, wenn man sie schüttelt.

SZ: Sie schütteln also in der Redaktion und sehen dann noch einmal, sagen wir, Carla Bruni neben der Queen in der Kutsche.

Riekel: Gutes Beispiel. Der Staatsbesuch in London ist durch alle Tageszeitungen gegangen. Wir haben bei Bunte überlegt: Bringen wir Carla Bruni auf dem Titel? Eigentlich stehen bei uns ja eher deutsche Prominente im Vordergrund. Aber Carla Bruni ist eine Sehnsuchtsfigur, eine neue Jackie Kennedy, mit einer bewegten Vergangenheit. Wenn die dann auf die Queen trifft, wird es spannend . . . Das Ex-Model, das man auch schon nackt gesehen hat, und die Queen, die moralische Instanz, was für ein Gipfeltreffen! Damit hat Bunte eine gute Auflage erzielt. Die Sarkozys sind in der Welt des Boulevard angekommen. Und jetzt möchten die Leser alles über die beiden wissen.

SZ: Carla Bruni liebt den Präsidenten und sieht gut aus. Meist haben Sie größere Schwierigkeiten, eine Figur mit Starpotential zu präsentieren. Sind Leute wie Hardy Krüger Junior oder Nino di Angelo, die bei Ihnen eine Bühne bekommen, wirklich wichtig?

Riekel: Es gibt höchstens ein Dutzend prominente Menschen, die auf dem Titel für eine stabile oder steigende Auflage sorgen, zum Beispiel die Mitglieder des monegassischen Fürstenhauses und Frauen mit einem interessanten Lebensweg - Sabine Christiansen zum Beispiel...

SZ: Hmm, eigentlich nur eine Fernsehfigur.

Riekel: Ja, aber sie ist eine spannende Persönlichkeit. Ihr privates Leben interessiert ihre Fangemeinde, auch wenn sie das jetzt nicht so gerne hört. Interessanterweise sind aber oft die größten Quotenkönige auch die größten Auflagenkiller. Nehmen wir Günther Jauch.

SZ: Ein Spießer?

Riekel: Nein. Aber man darf nichts über ihn privat schreiben, und wahrscheinlich gibt es da auch nichts zu melden, weil er sehr solide lebt. Bei Frau Christiansen fanden es viele Frauen spannend zu beobachten, wie sie mit einem privaten Problem umging. Viele Zuschauer glaubten, ihren Seelenzustand am Sonntagabend an ihrem Äußeren ablesen zu können. Sabine Christiansen ist eine sehr professionelle Frau, aber dennoch: Sie wurde auf einmal schlanker. Nach ihrer Trennung trug sie Schwarz. Und dann kam plötzlich eine helle Phase, und als sie sich in ihren französischen Freund verliebte...

SZ: ...den "Jeans-König" aus Frankreich.. .

Riekel: Richtig, Norbert Medus. Auf einmal konnten Fernsehzuschauer verfolgen, wie sie Jeans trug und ganz andere Sakkos. Sie wurde sportlich, das Lady-Image verschwand. Solche Beobachtungen machen Frauen Spaß.

SZ: Sie kennen viele der Leute, die bei Bunte eine Rolle spielen, persönlich. Wie wichtig ist das Patricia-Riekel-Netzwerk?

Riekel: Auf der einen Seite kenne ich viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Mit einigen bin ich privat befreundet. Das ist schön, weil man als Journalistin näher an Geschichten dran ist. Gleichzeitig aber verhindert Nähe, dass man ungehemmt über diese Stars schreiben kann. Nähe verpflichtet. Ich mag Exupérys "Der kleine Prinz", besonders die Stelle, wo der Fuchs zum kleinen Prinzen sagt: Zähme mich. Der kleine Prinz fragt: Was ist das? Und der Fuchs erklärt ihm, dass Zähmen heißt, sich jemanden vertraut zu machen, und das wiederum bringt Verpflichtungen mit sich. Freundschaft bedeutet: auf den anderen aufpassen, möglicherweise ein Leben lang. Das sagt sehr viel über Freundschaft aus, aber es lässt sich manchmal schwer mit der Tätigkeit eines Journalisten vereinbaren.

SZ: Die Bunte selbst ist nicht immer zimperlich im Umgang mit Prominenten, wenn wir beispielsweise mal an die Seitensprünge von Lothar Matthäus denken.

Riekel: Wenn ich ein Idol bin, muss ich damit rechnen, dass die Medien mich beobachten. Wer Charity-Programme veranstaltet und seine Mutter im Krankenhaus nicht besucht, muss mit negativen Berichten leben. Wer sich wie Horst Seehofer mit seiner Familie fotografieren lässt und sich auf ein christlich-konservatives Familienbild beruft, aber eine schwangere Geliebte in Berlin hat, der kann nicht auf Diskretion hoffen.

Lesen Sie auf Seite 3, weshalb Riekel den sarkastischen Tonfall ihres Vorgängers geändert hat.

"In Deutschland gibt es keine Stars"

SZ: Sie garantieren eine positive Geschichte mit schönen Bildern, und im Gegenzug erzählt der Promi über seine neue Liebe, am besten exklusiv.

Riekel: Solche Abmachungen gibt es bei Bunte nicht. Andererseits ist es doch selbstverständlich, dass wir eine Liebesgeschichte positiv bebildern wollen. Und natürlich bemühen wir uns um Exklusiv-Geschichten. Davon träumt doch jeder Journalist. Es gibt aber auch Prominente, die nicht mit den Medien reden wollen, obwohl die Angelegenheit bereits ein offenes Geheimnis ist. Viele Journalisten waren zum Beispiel informiert, dass der verheiratete Franz Beckenbauer eine Freundin hatte und wieder Vater geworden war. Da er sich aber zu diesem Thema nicht äußerte, konnte Bunte zunächst auch nicht darüber berichten.

SZ: Diese Selbstzensur hatte doch einen anderen Grund: Franz Beckenbauer ist einer der mächtigsten deutschen Prominenten, mit ihm will es sich auch die Bunte nicht verscherzen.

Riekel: Bunte muss keinen Prominenten schonen. Aber wir müssen das im Presserecht verankerte Persönlichkeitsrecht beachten. Und Journalisten tragen auch Verantwortung und müssen sich darüber im Klaren sein, was sie mit ihren Berichten im Leben derjenigen, über die sie schreiben, auslösen: Weiß die Familie des Betroffenen über die Angelegenheit Bescheid? Im Übrigen gibt es tatsächlich Prominente, die bei einer Berichterstattung, die ihnen nicht gefällt, mit Liebesentzug drohen...

SZ: Sie sind jetzt beinahe zwölf Jahre Chefredakteurin der Bunten. Unter Ihnen hat sich der Tonfall geändert. Ihr Vorgänger Franz Josef Wagner pflegte einen sarkastischen Stil, auch Häme war erwünscht.

Riekel: Oh ja.

SZ: Das haben Sie abgeschafft. Es fällt aber auf: Je weiter weg die Prominenten sitzen, desto mehr trauen sich Bunte-Reporter. Wenn Ivana Trump ihren jungen Latino-Lover heiratet, darf es sogar richtig lustig zugehen im Blatt.

Riekel: Warum denn nicht? Es darf doch mal geschmunzelt werden. Und die Hochzeit von Ivana Trump hatte Hollywood-Dimensionen. Da war Ironie angebracht.

SZ: Verstehen Ihre Leser Ironie?

Riekel: Nun ja ... Ironie verstehen oft nur Eingeweihte. Bunte bevorzugt Fakten. In der Redaktionskonferenz geht es gelegentlich ziemlich lustig zu. Darüber könnte man eine Soap drehen, die hätte höchste Einschaltquoten.

SZ: Und dann sind Sie wieder brav, wenn das Heft gemacht wird.

Riekel: Nein, nicht brav. Korrekt. Wenn es um Emotionen geht, um Liebesgeschichten, müssen die Informationen stimmen. Ein Beispiel: Kürzlich ging die Meldung durch die Welt, Tom Cruise und Katie Holmes seien kein Paar mehr, die Ehe sei am Ende. Wir haben recherchiert - drei Leute in Los Angeles und in New York haben relevante Personen befragt, auch den Chefredakteur der Zeitschrift, die das Gerücht in die Welt gesetzt hat. Und was sagt der? Mein Gott, wir hatten gerade keine bessere Geschichte, deshalb wurden die Gerüchte eben hochgespielt.

SZ: Unter Wagner gab es bei der Bunten viele Gegendarstellungen, die Promis liefen regelmäßig Sturm. Ganz anders als heute.

Riekel: Franz Josef Wagner ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Und er war manchmal der Ansicht, man dürfe eine gute Geschichte nicht durch die Recherche und die Realität kaputtmachen. . . Zu seiner Zeit hat er eine spannende Bunte gemacht, die manchmal Borderline-Charakter hatte. Damit hatte ja auch mal die SZ zu kämpfen, oder?

SZ: Ja, das hat uns Kummer bereitet.

Riekel: Uns auch. Ich habe die Bunte zu einem Zeitpunkt übernommen, als einige Anwälte für das Persönlichkeitsrecht ihrer Mandanten Grundsatzurteile erstritten, mit dem Ziel, eine Promi-Berichterstattung in vielen Fällen zu verhindern - das berühmte Caroline-Urteil war die Folge.

SZ: Andererseits gibt es bestimmt viele C-Promis, die sich Ihnen aufdrängen.

Riekel: Ach, wir Journalisten sind doch alle dankbar, wenn Prominente aus der Rolle fallen und für Gesprächsstoff sorgen. Da geht es nicht um A-, B- oder C-Promis, sondern darum, ob die Person für die Leser spannend ist. Wenn ein Ferfried von Hohenzollern eine heiße Liebesgeschichte mit Tatjana Gsell beginnt, kann so eine Frau schon mal eine Titelgeschichte wert sein. Das ist aber ein vorübergehendes Phänomen. Es kommt darauf an, ob die Figur dem Lebensmodell unserer Leserinnen entspricht.

Auf Seite 4: Warum Julia Jentsch und Alexandra Maria Lara keine Illustriertenfiguren sind...

"In Deutschland gibt es keine Stars"

SZ: Warum ist es für junge Talente so schwer, sich auf dem deutschen Boulevard durchzusetzen? Warum spielen Alexandra Maria Lara oder Julia Jentsch, zwei begabte Schauspielerinnen, nach einer kurzen Phase großer Beachtung keine Rolle mehr?

Riekel: Wissen Sie, um ein echter Star zu werden, reicht es nicht, beruflichen Erfolg zu haben. Die Person muss einen Bruch haben; sie braucht eine Lebenserfahrung, die sie auch mal aus der Spur trägt. Romy Schneider war der Prototyp der Geheimnisvollen; sie war süchtig nach Applaus, aber die Einsamkeit sah man ihr an. Das hat sie zu einer Illustriertenfigur gemacht. Die beiden hochbegabten Schauspielerinnen Julia Jentsch und Alexandra Maria Lara leben diskret. Sie trennen zwischen Beruf und Privatleben. Deshalb sind sie keine Illustriertenfiguren.

SZ: Warum schaffen es dann so viele amerikanische Stars, ihr Privatleben zum eigenen Karrierevorteil auszubreiten und dabei auch noch glamourös auszusehen?

Riekel: Mein Lieblingsthema! Amerikanische Filmstars wissen, dass sie die Öffentlichkeit brauchen, wenn sie Erfolg haben wollen. Medien wie die Bunte sind die Messlatte für ihre Wichtigkeit, und das wiederum bedeutet: Geld. Wer wichtig ist, kann sich besser vermarkten. Viele amerikanischen Stars kommen von ganz unten und schaffen es mit Härte nach oben. Einige fallen durch die Brüche in ihrer Biographie auf: Alkohol, Drogen, Scheidungen, Nervenzusammenbrüche, was auch immer.

SZ: So mancher deutsche Schauspieler ist nach einem halbwegs guten Film überzeugt davon, Künstler zu sein. Bei manchen muss man wohl von Zickentum sprechen, oder?

Riekel: Das liegt daran, dass es in Deutschland keine Stars gibt, sondern Künstler. Erfolg ist hier verdächtig, und wer ihn genießt, gilt als oberflächlich. Künstler sein heißt hier, es sich schwerzumachen. Schauspieler sind kreative Menschen, die müssen eine ordentliche Traurigkeit nachweisen, Einsamkeit und Verzicht - Erfolg muss so aussehen, als hätte man ihn sich hart erkämpft. Die kreative Klasse in Deutschland kann Kunst und Spaß nicht miteinander verbinden - schade.

SZ: Der Job des Kritikers ist ja auch nicht immer spaßig.

Riekel: Nehmen wir Charlotte Roche und ihren Bestseller "Feuchtgebiete". Ich finde ihr Buch streckenweise geschmacklos, und trotzdem wird es von den Kritikern beklatscht. Ich bin mir sicher, dass ihr nächstes Buch gnadenlos verrissen werden wird, weil sie gerade so einen Erfolg hat. Und sie gilt als schwierige Person. Damit erfüllt sie bei den Kritikern schon einige Kriterien. Das ist typisch deutsch: Erfolg gilt als verdächtig.

SZ: Auf der Suche nach Stars haben Sie deutsche Politiker von Scharping bis Stoiber auf dem Boulevard etabliert. Warum?

Riekel: Politiker bieten inzwischen besten Unterhaltungsstoff. Weil ihr Leben realer ist als das von Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsbranche. Bei Politikern erleben wir ihre beruflichen Erfolge und Niederlagen live mit. Sie öffnen sich privat, weil sie auf diese Weise ihr Image transportieren können. Es lässt sich ja auch beobachten, dass die People-Berichterstattung aus Berlin, die Boulevardisierung der Politik, mittlerweile bei den seriösen Tageszeitungen angekommen ist.

SZ: Manche altgedienten Journalisten finden das schrecklich oberflächlich, wenn Homestories über Bundesminister erscheinen und Roland Koch am heimischen Herd vom Dalai Lama schwärmt.

Riekel: Wie altmodisch. Junge Leute sehen die Sache entspannter und haben keine Berührungsängste mit dem Boulevard. Es ist interessant zu erfahren, wie jemand lebt, der als Politiker die Geschicke unserer Gesellschaft mitgestaltet. Die größten Klatschgeschichten werden von politischen Journalisten erzählt. "Aus gut unterrichteten Kreisen" heißt es dann.

SZ: Sind Sie selbst noch beeindruckbar von Stars? Oder lässt einen das nach ein paar Jahrzehnten alles eher kalt?

Riekel: Mich beeindruckt ein Star überhaupt nicht, und das hat jetzt nichts mit Snobismus zu tun. Vielleicht ist das ein Erbe meiner Kindheit: Mein Vater, der als Drehbuchautor und Schriftsteller arbeitete, hat mit den interessantesten Leuten seiner Zeit korrespondiert. Viele Regisseure und Schauspieler haben uns zu Hause besucht. Ich selber bin nur von Menschen beeindruckt, die Haltung haben, Charakter demonstrieren, die verteidigen, woran sie glauben, wenn es sein muss, auch gegen den Rest der Welt. Das bewundere ich. Beeindruckt bin ich von Charisma.

SZ: Bitte ein Beispiel...

Riekel: Bis ich Bill Clinton begegnet bin, hielt ich ihn für einen Macho, einen Macker. Als ich ihn persönlich sah, war ich dann hypnotisiert von seiner Fähigkeit, den Strahl der Aufmerksamkeit für Sekunden auf sein Gegenüber zu richten, dem anderen zu vermitteln: Ich nehme dich wahr. Du bist jetzt in meinem Radar. Das hat mir imponiert. Ansonsten halte ich es mit Petronius Arbiter: "Wenn man es recht besieht, ist überall Schiffbruch."

Patricia Riekel wuchs am Starnberger See auf und wollte nach der Schule Verlagskauffrau werden. Sie entschied sich nach einer schicksalhaften Begegnung am Tutzinger Bahnhof für den Journalismus - eine Schlägerei unter Trunkenbolden während der Oktoberfestzeit schilderte sie der Lokalredaktion des Münchner Merkur so anschaulich, dass ihr ein Zeitungsvolontariat angeboten wurde. Später arbeitete Riekel, Jahrgang 1949, als Redakteurin bei der Augsburger Allgemeinen und als freie Autorin für Quick, Cosmopolitan, Elle, Gong und andere Blätter. Als Chefin des Magazins die Aktuelle machte sie Eindruck auf den Münchner Verleger Hubert Burda, der sie 1997 zur Chefredakteurin der Bunten machte. Ein Ausflug als Moderatorin endete 2003 nach nur wenigen Ausgaben von Bunte TV - dafür übernahm Riekel noch die Leitung der Burda-Zeitschrift InStyle. Sie lebt gemeinsam mit dem Focus-Chefredakteur Helmut Markwort in München.

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