Interview: Karen Duve und Jonathan Safran Foer:Fleischlos glücklich

"Die Fleischindustrie zerstört diesen Planeten": Ein Gespräch mit den Bestsellerautoren Karen Duve und Jonathan Safran Foer über kriminelle Massentierhalter und leichtfertige Konsumenten.

Martin Kotynek und Marten Rolff

Seit dem Dioxinskandal diskutiert Deutschland einmal mehr über Ernährung. In Berlin demonstrierten in der vergangenen Woche Tausende gegen Massentierhaltung und industrielle Fleischproduktion. Andere rufen bereits ein vegetarisches Zeitalter aus. Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer, 33, und die Hamburger Schriftstellerin Karen Duve, 49, nahmen ihre neuen Bücher zum Anlass, ihren Speiseplan völlig umzustellen und nur noch vegetarisch zu essen. Foers internationaler Bestseller "Tiere Essen" verkaufte sich allein in Deutschland bisher 150000 Mal. Duves Erfahrungsbericht "Anständig essen" ist Anfang des Monats erschienen. Gemeinsam waren beide Autoren gerade auf Lesereise.

Jonathan Safran Foers und Karen Duve

Die Autoren Jonathan Safran Foers und Karen Duve vor Beginn einer gemeinsamen Lesung im Januar 2011 im Postbahnhof in Berlin.

(Foto: dpa)

SZ: Dioxin im Ei, Dioxin im Fleisch - Frau Duve, Herr Foer, nach all Ihren Recherchen nehmen wir an, dass Sie gar nicht anders können, als die Schuld dafür auch beim Verbraucher zu suchen, der sich offenbar zu wenig für sein Essen interessiert. Haben wir den Dreck verdient, den wir täglich in uns reinstopfen?

Foer: Wieso sollte ich dem Verbraucher die Schuld geben? Er wird ja nicht genügend geschützt. Niemand informiert uns angemessen darüber, ob und wie viele Schadstoffe im Essen stecken. Um sich zurechtzufinden, muss man heute mindestens Ernährungswissenschaftler, Veterinärmediziner oder Ethikspezialist sein. Der Normalmensch kann und sollte das aber nicht leisten.

Duve: Entschuldigung, aber das sehe ich etwas strenger. Ich bin als Verbraucher sehr wohl mitverantwortlich. Wenn es um Lebensmittel geht, dann wollen wir doch aus gutem Grund gar nicht wissen, wie die hergestellt werden. Weil es nämlich Folgen für unser Tun haben würde. Wir wissen im Grunde, was falsch ist, aber wir verweigern konsequent das Denken. Wenn wir uns dagegen der Tatsache stellen würden, dass für unseren Genuss Tiere gequält werden, dann gäbe es diesen öffentlichkeitsfernen Raum nicht, in dem die Massentierhalter tun und lassen können, was sie wollen.

SZ: Was unsere Nahrung betrifft, leben wir also alle im permanenten Zustand des Selbstbetrugs?

Foer: Es gibt ja auch viele gute Gründe, nach jedem Skandal so weiterzuessen wie zuvor. Menschen essen eben sehr gerne Fleisch, es ist lecker, derzeit sehr billig und vor allem wahnsinnig praktisch - Steak in die Pfanne, Salz, Pfeffer, fertig. Also hofft der Verbraucher irgendwie, dass ihm schon nichts passieren wird. Aber wir neigen beim Essen dazu, uns viel zu stark selbst zum Thema zu machen. Statt die Konsumenten sollten wir lieber das System der Agrarindustrie kritisieren. Es ist ja ein Unterschied, ob ich sage: "Du ernährst dich ethisch bedenklich", oder: "Diese Industrie ist ethisch bedenklich."

SZ: Und, ist sie das? In Ihren Büchern werfen Sie beide die Frage auf, ob Massentierhalter Kriminelle sind.

Duve: Ein Bauer oder Agrarunternehmer, der Massentierhaltung betreibt, maximiert seinen Profit im Rahmen des Erlaubten - allerdings auf Kosten der Tiere, der Umwelt und der Allgemeinheit. Dieses Prinzip der Profitmaximierung um jeden Preis müsste verboten werden. Das müsste in unserer Gesellschaft sehr wohl als kriminell gelten.

Foer: Solche Gesetze gibt es aber doch bereits zur Genüge, zum Beispiel die Tierschutzregeln. Massentierhalter ignorieren sie oft einfach. Die meisten großen Agrarbetriebe in den USA werden deshalb andauernd von den Behörden bestraft. Solche Bußgelder sind für diese Unternehmer aber billiger, als sich an die Regeln zu halten. Folglich sind viele Massentierhalter sogar nach Ansicht des Staates Kriminelle.

"In den Geflügelbetrieben ist es am schlimmsten"

SZ: In Ihren Büchern geht es um die Frage, was wir überhaupt noch guten Gewissens essen können. Was ist denn ethisch nun besonders bedenklich?

Foer: Das kommt darauf an, was Ihnen wichtig ist. Wenn es die Umwelt ist, dann

sollten Sie kein Rindfleisch mehr essen, weil die Rinderzucht den Klimawandel am meisten beschleunigt. Wenn Sie gegen Tierquälerei sind, sollten Sie Hühnchen, Pute und Eier von der Liste streichen - in den Geflügelbetrieben ist es am schlimmsten. Wenn Ihnen beides am Herzen liegt, lassen Sie das Schweinefleisch weg. Und wenn Sie Wert darauf legen, dass am Ende Ihres Lebens noch Fische im Meer schwimmen, dann hören Sie auf, sie zu essen.

SZ: Ist das nicht ziemlich pauschal?

Foer: Natürlich unterscheiden sich Mast- und Zuchtbetriebe enorm voneinander. Generell aber gilt: Je weniger Fleisch jemand konsumiert, desto größer ist die Chance, dass er einem Wertesystem folgt, das für das Wohlergehen dieser Erde entscheidend ist.

SZ: Viele Menschen werden trotzdem kaum dazu bereit sein, deshalb den Genuss von Fleisch aufzugeben.

Duve: Diese Menschen frage ich: Gibt es einen Punkt, an dem Sie sagen würden, jetzt ist mir das zu viel, jetzt würde ich definitiv aufhören, Fleisch zu essen? Und wenn ja, welcher? Ist es vielleicht der Punkt, dass die industrielle Landwirtschaft massiv zum Klimawandel beiträgt, durch den schon heute ein Land nach dem anderen absäuft - zuletzt Australien? Oder wird es mir zu viel, nachdem ich die Bilder von Rindern auf Schlachthöfen gesehen habe, von denen manche ohne Betäubung am Haken hängen, und denen bei Bewusstsein die Beine abgeschnitten werden, während sie schreien und zappeln?

SZ: Aber das sind doch Dinge, die die meisten zumindest schon einmal gehört haben dürften. Geändert haben sie trotzdem nichts.

Duve: Ich glaube aber auch, dass die meisten Menschen, wenn sie sich denn zum bewussten Hinsehen entscheiden, tatsächlich kein Fleisch aus der industriellen Tierhaltung mehr essen würden. Und wer dann trotzdem weiterisst, folgt immerhin dem klaren Entschluss, das Denken einzustellen, sobald es Konsequenzen beim eigenen Konsum erfordern würde.

SZ: Das würde allerdings bedeuten, dass alle Menschen, die ethisch korrekt handeln wollen, mindestens Vegetarier werden müssten.

Foer: Aber es geht doch nicht um alles oder nichts. Ich bin zum Beispiel mit dem Flugzeug zu diesem Interview gekommen. Das ist womöglich schrecklich. Aber es bedeutet ja nicht gleich, dass mir die Umwelt egal wäre. Ich sündige an vielen Stellen. Täglich. Wir alle tun das. Es geht um die Minimierung dieser Verfehlungen. Wie man das erreicht, ist von Mensch zu Mensch verschieden.

Duve: Auch ich bin dafür, dass wir ein Leben voller Genuss führen. Nur glaube ich eben auch, dass wir dafür im Moment einen sehr hohen Preis zahlen. Außerdem bedeutet echter Genuss ja auch Qualität.

"Beim Essen geht es rund"

Interview: Karen Duve und Jonathan Safran Foer: US-Schriftsteller Jonathan Safran Foer befasst sich in seinem Sachbuch "Tiere Essen" mit den Problemen der industrialisierten Fleischproduktion.

US-Schriftsteller Jonathan Safran Foer befasst sich in seinem Sachbuch "Tiere Essen" mit den Problemen der industrialisierten Fleischproduktion.

(Foto: AP)

SZ: Heißt das: Wo getötet wird, ist Genuss unmöglich?

Duve: Man kann zumindest nicht von Qualität sprechen, wenn für ein Stück Fleisch ein Tier gequält worden ist. Ich glaube, dass man sich auch selbst etwas damit antut. Sie würden ja auch kein noch so toll verarbeitetes Paar Schuhe kaufen, das in Kinderarbeit hergestellt wurde.

SZ: Sind Vegetarier Fleischessern moralisch überlegen?

Foer: Ich möchte eine Gegenfrage stellen: Spenden Sie für soziale Projekte?

SZ: Gelegentlich.

Foer: Nehmen wir einmal an, Sie spenden mehr als Ihr Kollege hier neben Ihnen. Macht Sie das nun automatisch moralisch überlegen? Darüber würde sich völlig zu Recht niemand Gedanken machen, oder? Nur beim Essen geht es rund. Es ist interessant, wie grundsätzlich wir speziell bei diesem Thema werden. Ich schäme mich persönlich dafür, dass ich lange Zeit als Fleischesser dieses Agrarsystem unterstützt habe. Aber das bedeutet keineswegs, dass ich diese Scham auch von anderen verlange. Ich verurteile niemanden.

SZ: Nach der Umstellung Ihrer Ernährung können Sie beide zumindest bei Lebensmittelskandalen ja entspannt sein. Fühlen Sie sich sicherer?

Foer: Sicherer schon, aber das heißt nicht, dass ich entspannt wäre. Ich bin Vegetarier geworden, weil die Massentierhaltung grausam, klimaschädigend und für den Menschen ungesund ist. All diese Dinge beeinträchtigen mich aber weiterhin. Schließlich zerstört die Fleischindustrie diesen Planeten weiter, auf dem ich lebe. Tiere werden weiter gequält und Erreger, die aufgrund der Futterbeimischung von Antibiotika Resistenzen entwickelt haben, bedrohen womöglich meine Kinder. Das wird nur besser, wenn wir uns als Gesellschaft von der derzeitigen Form des Fleischkonsums verabschieden.

SZ: Damit müsste sich die Gesellschaft dann auch von großen Teilen ihrer Kultur verabschieden. Die nicht gerade fleischarme französische Küche wurde gerade zum Welterbe erklärt.

Foer: Nehmen wir an, ein französischer Künstler würde sagen: "Lassen Sie mich Ihnen etwas Wunderschönes zeigen: Ich werde öffentlich ein Ferkel ohne Betäubung kastrieren. Sie müssen sich den Klang des quiekenden Schweines einfach anhören, es ist umwerfend!" Der Künstler würde sofort im Gefängnis landen. Selbst wenn es ein noch so toller Klang wäre, dann wäre es das für die Kunst nicht wert. Beim Essen aber sind wir bereit, eine komplette Ausnahme von den ethischen Grundsätzen zu machen, die alle unsere anderen Sinne leiten. Geschmack ist unser barbarischster Sinn.

"Fleisch betrügt unser Wertesystem"

SZ: Einmal ganz praktisch gefragt: Wie überzeugen Sie einen Oktoberfestwirt davon, dass er keine Wiesnhendl mehr anbieten darf, wie eine traditionsbewusste bayerische Familie auf dem Land davon, dass sie künftig auf ihren Sonntagsbraten zu verzichten hat?

Foer: Genau so, wie ich es dem Professor einer kalifornischen Universität erklären würde. Ich sage, dass dieses Fleisch unser Wertesystem betrügt. Auch das traditionelle deutsche. Alte biblische Werte! Es ist unnatürlich. Das bedeutet nicht, dass man auf seinen Sonntagsbraten verzichten muss. Ich wäre zwar dafür, aber wenn der Braten denn so wichtig für den bayerischen Wertekanon ist, sollte man ihn womöglich bewahren. Allerdings könnte die Familie dafür zum Beispiel ihren Besuch bei McDonald's streichen; ebenso wie den Hühnerbrustkauf im Supermarkt. Es geht um die ehrlich gestellte Frage: Zu welchen Gelegenheiten ist Fleisch wirklich wichtig für mich? Bei Familienfesten? An Feiertagen? Beim Besuch eines besonderen Restaurants?

Duve: Die letzten Generationen haben auch sehr viele Überzeugungen ihrer Eltern und Großeltern in Frage gestellt. Warum sollen wir ausgerechnet in einer so existenziellen Frage wie unserer Ernährung alles genauso machen wie unsere Vorfahren?

Foer: Meine Großmutter zum Beispiel kochte Huhn mit Karotten. Ein kulturell bedeutendes Essen, rückblickend das wichtigste Gericht in meinem Leben. Aber unsere jüdische Kultur besteht nicht nur aus diesem einen Rezept. Und meine Großmutter hat mir auch beigebracht, dass man für seine Taten Verantwortung übernehmen soll. Vielleicht ist es eben nicht mehr verantwortungsbewusst, Huhn mit Karotten zu essen. Vielleicht haben wir früher nie darüber nachdenken müssen, aber heute, auf einer Welt mit sieben Milliarden Menschen, müssen wir eben Dinge aufgeben.

SZ: Frau Duve, in Ihrem Buch spielen Sie darauf an, dass Sie keine allzu interessierte Köchin sind. Machte es das leichter für Sie, auf Esskultur, auf Genuss, auf Fleisch zu verzichten?

Duve: Im Gegenteil, das macht es schwieriger. Wenn ich eine gute Köchin wäre, hätte ich die Fähigkeit, aus Gemüse köstliche Gerichte zu zaubern. Als Vegetarierin vermisse ich vor allem Fertiggerichte. Nun muss ich mehr machen als die Mikrowelle einzuschalten. Ich bin gezwungen zu kochen - und ich hasse es.

SZ: Für Ihr Buch haben Sie im Selbstversuch hintereinander nach einem streng biologischen, vegetarischen, veganen und fructarischen Speiseplan gelebt, was war am schwierigsten?

Duve: Ausschließlich Öko-Lebensmittel zu essen, war Luxus ohne große Einschränkung. Vegetarisch zu essen, hieß dann bereits Verzicht. Vegan zu leben, hat bedeutet, mein ganzes Leben umzukrempeln, zum Beispiel meine Ledergürtel und Schuhe wegzuwerfen. Und meine Wochen als Fructarierin - ich habe nur gegessen, was Pflanzen freiwillig abwerfen - bedeutete Mangel, Mangel, Mangel. Das Schwierigste aber war immer das Ändern von Gewohnheiten.

SZ: Hat sich das Experiment denn gelohnt?

Duve: Ich bin jetzt Vegetarierin, aber weder bin ich ein anderer Mensch geworden, noch habe ich ein anderes Wertesystem als vorher. Ich lebe nur bewusster. Früher wusste ich vielleicht, dass Fleisch essen irgendwie nicht in Ordnung war. Heute ziehe ich auch die Konsequenzen. Ich fühle mich achtsamer und rücksichtsvoller.

SZ: Haben Sie beide durchgehalten, seit Ihre Bücher erschienen sind?

Duve: Als Erstes habe ich gleich Käse gegessen, kurz danach auch ein bisschen Fisch. Dann habe ich mich gefragt, ob es das jetzt wert war. Das war es nicht. Ich merke, wie der Verzicht darauf mit der Zeit einfacher wird. Margarine war früher undenkbar für mich, Tofu das wahre Grauen - beides schmeckt mir inzwischen richtig gut. Aber ich gebe zu: Ich esse nach wie vor sehr inkonsequent.

Foer: Auch ich esse nach wie vor Dinge, die ich mir eigentlich gern verbieten würde. Zum Beispiel Milchprodukte. Sie wegzulassen, fällt mir schwer. Ich habe keinen Grund, sie zu essen, vermutlich schmeckt es mir nur. Aber ich bin ja auch nicht der Dalai Lama.

SZ: Und wie hat die Ernährungsindustrie auf Ihre Bücher reagiert? Immerhin ist "Tiere essen" ein internationaler Bestseller in Millionenauflage. In den USA hat das Buch eine neue Welle des Vegetarismus ausgelöst.

Foer: Es gab nicht eine einzige Reaktion der Industrie. Eigentlich verrückt.

SZ: Was ist Ihre Erklärung dafür?

Foer: Es gibt nur eine Erklärung: Die Industrie will nicht, dass darüber gesprochen wird. Sie hofft, dass die Diskussion vorübergeht.

Interview: Martin Kotynek, Marten Rolff

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