Internet-"It-Girl":Kann nichts, tut nichts - ist berühmt

So ein Mädchen aus Kalifornien: Die 17-jährige Cory Kennedy ist, tut und kann nichts - das aber öffentlich. So wurde sie zum It-Girl des Internets.

Verena Stehle

Cory Kennedy lebt den Traum eines jeden Teenagers. Das Mädchen mit dem Bambiblick und den ungezähmten Haaren umgibt sich mit Hollywoods Hipstern: Lindsay Lohan ist eine gute Freundin, und wenn die gerade auf Drogenentzug ist, geht sie eben mit Jeremy Scott, Steve Aoki oder Mary-Kate Olsen aus. Die Szeneclubs Teddy's und Lax bezahlten Cory bares Geld, wenn sie sich alleine oder mit ihrer Clique dort blicken ließ.

Renommierte Modefotografen wollen mit ihr arbeiten, Designer umgarnen sie, damit sie ihre Entwürfe trägt und die Marke so zum Musthave adelt. Los Angeles Times Magazine, New York Times und das Style-Magazin i-D schwärmten schon von Cory, der Coolen; dann posierte sie unter anderem auch noch für Rolling Stone Italien, Elle Frankreich, Oyster und Jalouse. Da war sie gerade mal 16.

Heute, ein Jahr später, wird sie noch immer hofiert wie eine Prinzessin: Gerade erst war sie VIP-Gast auf der New York Fashion Week, aktuell ziert sie das Cover von Nylon. "The It Girl Issue" steht in großen Lettern darauf, mit energischem Ausrufezeichen. Eine Ausgabe über Mädchen mit dem gewissen Etwas. Nur, was hat sie, was andere nicht haben? Gerade mal zwei Jahre hat es gedauert, dass aus der unbekannten Schulgöre ein It-Girl wurde, im Internet und in der Wirklichkeit.

Dafür gibt es eigentlich keinen Grund: Cory Kennedy hat weder Talente noch genetische Prädispositionen, die extraordinaire wären. Sie zeigt oft ihre Zunge, aber für ein Dasein auf Leinwand oder Catwalk reicht das nicht. Sie kann nicht singen. Bisweilen sieht sie der jungen Jane Birkin verblüffend ähnlich, doch braucht die Welt eine zweite Birkin? Auch ihr Name war kein Türöffner, sie ist nicht verwandt mit John F. Kennedy. Und macht sie den Mund auf, kommt viel belangloses Bla und Blubb heraus - wie das nun mal so ist bei Teenagern.

Die geheime Zutat

Dennoch wird sie phänomenisiert. Sie ist der lebende Beweis für die Macht des Internets, sagen die einen. Sie ist so "real-life", die anderen. Und Marvin Scott Jarrett, Nylon-Chefredakteur, schwärmt in der LA Times, sie habe einfach diese Zutat X.

Die Zutat X, das gewisse Etwas, das kann nur ihr Look sein. Denn Cory ist modemutig: Sie kombiniert Teile, die nicht zusammenpassen. Einen grauen Nicki-Overall zu rostroten Ankle-Boots und Borsalino, beispielsweise. Dazu trägt sie Haarbänder, die sie sich auf den Kopf zieht wie seinerzeit die Hippies. Es ist ein Trash-Chic, der changiert zwischen verlotterter Nachlässigkeit und feindosiertem Luxus: Bisweilen trägt Cory auch Chanel-Ballerinas, aber die müssen dann schon arg runtergerockt sein. Gäbe es Straßenkinder auf der Rue Saint-Honoré in Paris, so würden sie aussehen.

Ihr "Alles-kann-nichts-muss"-Look, das Mixen unterschiedlicher Stile und Epochen und Trends, ist nun nicht wirklich neu, man erinnere sich nur an Sarah Jessica Parker alias Carrie Bradshaw in der TV-Serie "Sex and the City". Und selbst jenseits der fiktionalen Welt: Durch die Szeneviertel Londons, Berlins, Tallinns streunen etliche Mädchen, die schöner sind und einen exaltierteren Stil haben. Doch in den Augen der Westküstler scheint Cory der Mode Natürlichkeit geschenkt zu haben. Mit ihren chemisch unbehandelten Haaren - sie sagt, sie kämme sie aus Prinzip nicht - und dem ungeschminkten Teint wird sie als Antithese gefeiert zu den Mädchen vom Typ Malibu Barbie, die man sonst mit Kalifornien assoziiert. Cory pflegt den Anti-Look, einen kakophonen Kleidungsstil, der den ätherischen jungen Göttinnen der Starstylistin Rachel Zoe diametral entgegensteht. Cory sagte einmal in einem Interview: "Stars sind perfekt. Ihr Haar ist gekämmt, das Make-up sitzt, sie haben keine blaue Flecken an den Beinen. Ich bin eher so BLEURRRRGH!" - Womit sie meint, sie sehe ein bisschen ausgekotzt aus.

Kann nichts, tut nichts - ist berühmt

Will man den Ruhm von Miss Kennedy verstehen, kommt man um einen anderen Namen nicht herum. Mark Hunter ist ein stark behaarter, leicht aufgedunsener Mittzwanziger, der optisch Nintendo-Held Super Mario gleicht: mit seinen Bermudashorts, den fluoreszierenden T-Shirts und violett verspiegelter Sonnenbrille. Man sieht ihn mal an der Seite von Karl dem Großen, Lagerfeld. Kein Wunder, denn auch er ist heute wer. Und auch bei ihm hat es gerade mal zwei Jahre gedauert: Im Sommer 2005 rennt Hunter zufällig in Cory; damals rauscht er gerade als wenig erfolgreicher Partyfotograf durch das Nachtleben von L.A. Cory ist 15 Jahre alt, und statt in Shoppingmalls abzuhängen und Softeis zu essen wie ihre Schulkameraden, besucht sie Rockkonzerte.

Wie eines Tages das der Blood Brothers im El Ray Theatre. Das "El Ray" ist ein Szene-Hotspot, wo sich alle treffen. Künstler, Starlets, Teenager - und dabei ein Mädchen im kanarienvogelgelben Lacoste-Minikleid, deren Schnappschuss Hunter später auf seine Website stellt. So geht die Legende vom Tag, an dem sich Cory und "Cobrasnake", das ist Hunters Pseudonym, zum ersten Mal begegneten.

Corys Foto im Cyberspace wirkt wie ein Magnet. Als Hunter im Dezember 2005 ein ganzes Album von ihr mit dem kryptischen Titel "JFK Cory Kennedy" auf seine Website stellt und damit Verbindungen zu der berühmten Familie suggeriert, sehen sich Hunderte Surfer die Bilder an. Also fotografiert er Cory wieder. Und wieder. Nach einem Schulpraktikum heuert Cory als Hunters Assistentin an, zwei Tage pro Woche arbeitet sie fortan in seinem Büro. Seine Fotowebsite wird legendär: Es ist ein Blick durch das Schlüsselloch der In-Clubs und Privatanwesen, der voyeuristische, aber auch soziale Sehnsüchte befriedigt: Denn wem irgendwo Eintritt gewährt wird, der ist Teil von etwas.

Etwas bedeutet in diesem Fall: nachts Sündenpfuhl, tagsüber Ausnüchterungszelle. Im Online-Bilderbuch trifft man auf betrunkene Ex-Kinderstars, küssende Mädchen, Reste von Fastfoodorgien, dreckige Böden, traumhafte Strandbilder, Zungen, Hände, Swimmingpools und Lotusblumen; man sieht geschminkte Kerle lachen, tätowierte Schönheiten torkeln und bizarr gekleidete Kreaturen tanzen. "Er konnte eine miese Feier so aussehen lassen, als sei es die beste Party auf der ganzen Welt", sagte Cory einst der LA Times. Das klingt fast nach kritischer Selbstreflexion, aber liest man den ganzen Text, weiß man, es ist Stolz.

Die Cobrasnake-Fotos sind Mosaiksteinchen, die so etwas wie ein Porträt ergeben von Hollywoods echter Jugend. Das Porträt an sich mag vielleicht nicht ganz echt sein, denn die Bildsprache ist bewusst amateurhaft, die Motive und Bildausschnitte sind genau gewählt. Aber es ist allemal facettenreicher als das, was Celebritymagazine oder TV-Shows wie "The Hills" auf MTV gerne verkaufen: junge Menschen in Hollywood, das ist Glitzer, Lunch im Ivy's, Villa unter dem Hollywood-Logo, Luxusshopping am Melrose Place. Und im Fotoalbum stets: Cory. Pizza essend, grimassierend, schlafend, singend, am Strand liegend. Sie wird sein liebstes Motiv. Kein Wunder, entsteht damals doch zwischen beiden eine zarte Liaison. Einige Monate soll es echte Liebe gewesen sein. Corys Lolita-Gesicht, gerahmt von der schwarzen Nacht, entwickelt eine noch größere Anziehungskraft. Als sie auf der Internetplattform MySpace ein Profil anlegt, entsteht ein Personenkult: Innerhalb von Tagen hat sie 8000 Internetfreunde, Blogger gründen Fan-Plattformen, diskutieren über ihren Look, spekulieren über ihr Leben. Wie kriegt sie ihre Haare so hin? Ist sie ein Junkie? Auf der Webseite fashionologie.com ebenso: "Ich muss sie immer ansehen", schreibt ein Blogger, "sie ist faszinierend". "Wer ist sie?", fragt ein anderer. Und ein dritter antwortet: "Niemand berühmtes, nur so ein Mädchen aus Kalifornien".

Im Juni 2006 stellt Hunter Cory seinem guten Freund Marvin Scott Jarrett vor, Nylon-Chefredakteur, der in einer MySpace-Ausgabe seines Magazins eine Seite nur mit Fotos von ihr druckt. Die Aufmerksamkeit, die Cory im wirklichen Leben bekommt, steigert die Nachfrage im Internet, und umgekehrt. Zwei Monate später hackt ein Fan ihre MySpace-Seite. Cory gründet einen Weblog, für sie eine Art Tagebuch, in dem jeder mit Internetanschluss blättern kann. Dort kann man Dinge lesen wie: "sunday i hung with mickey shiff and brady at mickeys for a little bit then we all went to dinner with ness. went back to mickeys house to nap, and wait for the meteor shower later that night... it was crazy seeing them fly through the sky (...)."

Ihr Ruf: Muse, It-Girl, Stilikone

Das mag "real-life" klingen, aber "real-life" ist Cory schon längst nicht mehr: Vielmehr ist sie Teil einer neuen amerikanischen Boheme, einer Gruppe aus Designern, Fotografen, Künstlern, Models und Szenegängern, die ein wenig erinnert an die Warhol-Factory. Im Mittelpunkt: Hunter, der Warhol himself mimt, den exzentrischen Mentor, und Cory, die auf Edie Sedgwick macht. In i-D bekennt sie sich: "Es gibt viel, was ich an Edie mag und vieles, was ich nicht mag. Wir sind nicht identisch, aber wir sind es in mancher Hinsicht."

Unterschiedlich scheinen nur die Frisur und die Verhältnisse, in denen beide groß wurden: Edie als Tochter des wohlhabenden Bildhauers Francis Sedgwick, Cory ist Sprößling einer Mittelklassefamilie aus Santa Monica. Der Rest scheint fast deckungsgleich. Ihr Typ: rehäugig, niedlich, blasshäutig. Ihr Stil: konträr, neu, modisch. Ihr Ruf: Muse, It-Girl, Stilikone. Aber auch ihre Funktion innerhalb des Gefüges ist ähnlich: Beide sind ein Rad in einer großen Fabrik. Was bei Edie die Silver Factory in Manhattan war (die in den sechziger Jahren Studio, Bohemienheimat und Drogenumschlagplatz war und Edie, dank eines Kinofilms, den Spitznamen "Factory Girl" einbrachte), ist bei Cory ein ganzes Imperium: das Style-Imperium Cobrasnake, in dem Cory eine mächtige Marke ist. Obgleich der Ruhm seinen Tribut forderte - Depressionen und Drogen - verkauft sich Cory noch gut: In Nylon hat sie eine eigene Kolumne, "Cory's Corner", in der sie jeden Monat Outfits zusammenstellt, die zu Trends werden. In einer der jüngsten Ausgaben verwandelte sie eine altbackene Karottenjeans durch modische Drehs und Gags zum Trendteil.

Auch bei Hunter läuft das Geschäft: Er fliegt um die Welt und fotografiert Leute beim Feiern, gerade hat er die Schuhkollektion des amerikanischen Trendretailers Urban Outfitters fotografiert. Seine T-Shirt-Linie vertreibt er über seine Website und neuerdings auch bei Colette in Paris; aktuell gibt es Shirts mit dem aufgemalten Körper einer Kobra, auf deren Rumpf, zieht man es an, der Kopf des Trägers sitzt. Die Kobra verleibt sich sozusagen langsam die Welt ein. Aber Fotos und Kleidung sind nicht alles, ein Buch und eine MTV-Realityshow sind im Gespräch. In einem der vielen Interviews sprach Hunter über den Anfang seiner Karriere. Damals habe er gedacht, "ich bin kein Superstar. Aber wenn ich einen kreieren kann, wäre das gut für meine Karriere, für Corys, für uns alle."

Cory Kennedy ist sicher ein lebender Beweis für Größe und Macht des Internets. Aber auch dafür, dass man heute einfach so berühmt werden kann. Man muss nichts sein. Man muss nichts können. Und man muss nichts dafür tun - außer: sich zur richtigen Zeit von den richtigen Leuten ausnutzen zu lassen.

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