Indianerdroge Ayahuasca:Fauliger Zauber

Ayahuasca Seminar Wien

Was nach dem Ayahuasca-Genuss passiert, weiß keiner so genau. Eines ist sicher: das Erbrechen.

(Foto: Veronica Laber)

Erst kotzen, dann träumen: Die Indianermedizin Ayahuasca ist in Europa angekommen. Für die einen ist der Lianen-Tee eine halluzinogene Spaßdroge, für die anderen ein Mittel zur Selbstfindung. Besuch einer dreitägigen Zeremonie in Österreich.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Als der Schamane ihr die Tür öffnet, kann Lara den heiligen Tee schon riechen. Ein faulig-süßer Gestank hängt in der Drei-Zimmer-Wohnung, und Lara hofft auf ein Wunder. Sie setzt sich zu den Fremden auf die Couch. Schon bei der Vorstellungsrunde fallen ihr die Augen zu.

Der Schamane sitzt auf einem Sessel und trommelt. Lara hält eine Rassel in der Hand, ihre Augen wandern nun durch das Wohnzimmer. An den Wänden hängen Traumfänger, auf dem Couchtisch liegen Adlerfedern und Rosenquarze. Bald wird ihr die Gartendekoration lebendig vorkommen, bald wird ein Schwarm von Plastikschmetterlingen über ihren Kopf fliegen. Aber sie ist nicht nur wegen der Halluzinationen auf diesem Drogen-Seminar.

Pilze, LSD, Crystal - davon hatte sie genug. Nun ist sie auf der Suche nach einem Trip, der anders ist als all die anderen. Nach einem, der sie rettet. Warum sie hergekommen sei, fragt der Schamane. "Ich versuche seit Jahren, von dem Zeug wegzukommen", lallt Lara. Was sie hier sucht, ist eine Droge gegen die Drogen.

Vier Tage und drei Nächte werden Lara und drei andere Deutsche in der schamanischen "Praxis" verbringen, einem 70-Quadratmeter-Neubau in Österreich, mitten in der Stadt. Aus reinem Hedonismus ist keiner hier. Alle sind sie zwischen Anfang 20 und Mitte 30, alle drogenerfahren, und alle auf der Suche nach sich selbst. Eine Multimillionärin, ein Künstler, ein Systemadministrator. Und Lara Schmidt, die in Wirklichkeit anders heißt. Ein dünnes Mädchen mit schwarzen Locken und grünen Augen, das Gesicht voller Piercings, Rücken und Arme mit Tattoos bedeckt.

Die vier Deutschen warten auf den braunen Tee, der ihr Leben verändern soll

Sie sind gekommen, um die uralte Indianerdroge Ayahuasca zu trinken, den heiligen Tee aus dem Amazonas. Ayahuasca, so hat Lara gehört, ist eine Selbsterkenntnisdroge, halluzinogen und bewusstseinserweiternd. Indianische Schamanen verwenden den psychedelischen Lianen-Tee schon seit Jahrtausenden, um Krankheitsursachen zu ermitteln und Visionen zu erhalten. In Brasilien gibt es sogar Kirchen, die Ayahuasca als Sakrament verwenden.

Dieser naturreligiöse Mythos ist längst auch im Westen angekommen. Tausende Touristen fliegen jedes Jahr zu Ayahuasca-Retreats in den peruanischen Urwald. Wem Südamerika zu weit ist, besucht eine Zeremonie in Berlin oder London. Oder eben eine Drei-Zimmer-Wohnung mit kleinem Garten in Österreich. Hier warten die vier Deutschen auf den braunen Tee, der ihr Leben verändern soll.

Ayahuasca Seminar Wien

Erst kotzen, dann träumen. So will es das Ritual.

(Foto: Veronica Laber)

An Tag eins, nach der Vorstellungsrunde, müssen jedoch erst die Körper der Teilnehmer gereinigt werden - mit einem Tabak-Trank. Ayahuasca wird erst am zweiten und dritten Abend ausgeschenkt. Für beide Getränke gilt: Erst kotzen, dann träumen. So will es das Ritual.

Lara sitzt auf der Veranda, zwischen Einmachgläsern mit Fliegenpilzen, Che-Guevara-Poster und Komposthaufen. Die Sonne geht unter, "Hejahejahejaheja", ruft die Männerstimme aus den Lautsprechern. Vor ihr sitzt der Schamane, ein Mann Mitte 50. Augenringe, Pferdeschwanz, um den Hals ein paar Ketten, auf dem linken Oberarm eine Indianerin mit großen Brüsten. Er trägt keinen Lendenschurz, sondern Bermuda-Shorts und Unterhemd. Früher hat er mit Rohren gehandelt, heute verdient er sein Geld als Heiler. "Wir kotzen um die Wette", singt er. Dann gießt er eine schwarze, dickflüssige Brühe in die Gläser, die nach Espresso und Zigarettenstummeln schmeckt. Laras Augen tränen, sie schüttelt sich. Als das Glas leer ist, wird ihr langsam warm. Sie nimmt ihren Plastikeimer, setzt sich in den winzigen Garten und tut, was sie tun muss. Dass ein Ayahuasca-Trip harte Arbeit ist, dass bei dieser besonderen Droge der Kater schon vor dem Rausch kommt, das wusste sie ja vorher. Sie spuckt los. "Ja, lasst sie alle raus, die Ängste und Sorgen", ruft der Schamane. Im Nachbargarten sitzt ein Mann auf der Hollywood-Schaukel und löst Kreuzworträtsel.

"Ich will bei den Bäumen sein"

Tag zwei. Frühstück, es gibt grüne Smoothies und ein paar Scheiben Vollkornbrot. Lara raucht eine Gauloises und tippt in ihr Handy, ihr Magen ist leer, die Pupillen sind groß. Es kommt zum ersten Streit: Der Systemadministrator will die Nacht in der freien Natur verbringen, wie im Zeremonie-Programm angekündigt. "Ich will bei den Bäumen sein", sagt er. Der Schamane will im Garten bleiben: "Das ist doch outdoor. Wir haben es hier wunderschön." Auch in seinem Garten könne man sich wie im Urwald fühlen.

Im echten Urwald war der Schamane noch nie, die Pflanzen für den psychedelischen Sud bestellt er im Internet. Doch er kennt sich aus. Sagt er. In den letzten zehn Jahren hat er " 300 oder 400 Mal" Ayahuasca getrunken. Alle zwei Wochen kommen Touristen aus Kroatien, Deutschland oder der Schweiz in seine Wohnung, und es werden immer mehr. Drei Nächte Seelenreise für 690 Euro. Er ist der Reiseleiter, seine Frau die Assistentin. Er trommelt, sie kocht die Liane aus.

AYAHUASCA SEMINAR

Die Zutaten für den psychedelischen Sud bestellt der Schamane im Internet.

(Foto: Veronica Laber)

Mit der "Liane der Geister" werden in einer Klinik in Peru Suchtkranke behandelt - auch wenn die heilende Wirkung wissenschaftlich nicht bewiesen ist. Schamanen im peruanischen Amazonas-Gebiet dürfen Ayahuasca als rituelle Medizin verabreichen. In Europa aber ist die Rechtslage komplizierter - weil die Blätter, die auch in den Trank gehören, DMT enthalten. Dieser Wirkstoff ist in den meisten Ländern verboten. Auch in Österreich.

Über die Liane spricht der Schamane wie über eine uralte, aber wunderschöne Frau: "Ayahuasca ist meine Liebe." Wenn es nach ihm geht, ist Ayahuasca keine Droge, sondern eine Heilerin; ein Mittel gegen Krebs, gegen Depressionen, und eben gegen die Sucht. Seinem eigenen Sohn hat er damit beim Heroin-Entzug geholfen. Sagt er. Von dem jungen Amerikaner, der nach einer Urwald-Zeremonie tot aufgefunden wurde, hat er auch schon gehört. Doch von den "Horrormärchen im Internet" will er nichts wissen. Er meint die Erfahrungsberichte, in denen Konsumenten beschreiben, wie sie auf dem Trip "sich selbst begegnet" und fast wahnsinnig geworden sind. Hier, in seinem Garten, da sei noch nie etwas passiert.

Ihr Körper ist auf Entzug

Während der Schamane redet und redet und redet, liegt Lara schon wieder im Bett. Ihr Körper ist auf Entzug, seit drei Tagen hat sie nichts mehr genommen. Sie wälzt sich hin und her, versucht zu schlafen. Crystal ist immer da, es besetzt ihren Kopf. Zwischendurch schreibt sie Whatsapp-Nachrichten an ihren Freund. "Ich bin richtig in den verliebt", sagt sie. "Das ist endlich mal einer, der gut zu mir ist." Einer, der sie nicht schlägt.

Lara wächst in einer Kleinstadt in Thüringen auf. Der Vater schlägt die Mutter, und ihr Bruder schlägt sie. Mit zwölf der erste Joint, mit 13 nimmt sie Pillen und Pilze. Als sie 15 ist, wird sie auf einer Party von einem Kumpel vergewaltigt. Sie fängt an, Crystal zu ziehen. Sie dealt, um ihren Konsum zu finanzieren, mit 17 macht sie den ersten Entzug. Es dauert nicht lange, und alles geht wieder von vorne los. "Man jagt immer dem ersten Mal nach, doch man kriegt das Gefühl nie wieder." Sie bricht ihre Ausbildung ab und landet wieder bei den alten Freunden, auf den alten Techno-Partys. Sie geht nach Berlin, doch da wird es nicht besser. "Überall ist Crystal", sagt sie. Wieder bricht sie ihre Ausbildung ab, prostituiert sich ein paar Monate, nimmt Heroin. Zweimal stirbt sie fast an Nierenversagen.

Viel Stoff für 22 Jahre Leben. Ein Leben, das keinen Absturz mehr verträgt. Und jetzt also Ayahuasca. Die Ausstiegsdroge?

Raus aus der Drei-Zimmer-Welt

Es wird Abend, sie warten auf den Lianentrank, der sie aus der Drei-Zimmer-Welt bringen soll. Wie Kinder bei der Einschulung sitzen sie in weißen T-Shirts auf dem Laminatboden im Wohnzimmer und schauen hoch zum Schamanen. Er trägt nun ein blaues Batik-Hemd, um seinen Hals hängt ein weißer Schal, die Bermuda-Shorts hat er immer noch an. Sie rauchen Wasserpfeife und reden über Blockaden und verlorene Seelenanteile. Alle wollen sie etwas in ihrem Leben ändern. Der Künstler will Klarheit über seine Sexualität. Der Systemadministrator will wissen, wohin mit seiner spirituellen Energie. Die Multimillionärin fühlt sich von ihrem Vater im Stich gelassen. Als sie 18 war, hat er ihr 6,5 Millionen Euro geschenkt, die Nachricht vom Reichtum überbrachte ein Banker. Ihr Geld gibt sie für Yoga-Retreats und Ayurveda-Kuren aus. Mit Ayahuasca will sie herausfinden, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll.

Und Lara? Vielleicht doch noch mal eine Ausbildung anfangen, ein Jahr nach Australien, um die innere Mitte zu finden. "Nicht dieses links, rechts, oben, unten."

Endlich schenkt der Schamane den heiligen Tee aus. "Spirit von Ayahuasca, wir bitten dich, dass du bei uns bist, dass du uns führst und leitest. Mögen unsere Seelen fliegen", ruft er. Sie sprechen im Chor: "Spirit von Ayahuasca, wir rufen dich." Der Schamane hebt sein Schnapsglas. "Auf eine gute Seelenreise", sagt er und trinkt auf ex. Vor Lara steht ein Becher mit 180 Millilitern Ayahuasca, der faulige Geruch steigt hoch, Lara hält sich die Nase zu und nimmt den ersten Schluck. "Widerlich", sagt sie. Dann setzt sie sich in den Garten, übergibt sie sich in ihren Eimer, einmal, zweimal, dreimal. Es dauert zwei Stunden, bis die Wirkung einsetzt. Lara schließt die Augen, sie sieht nun ein weißes Licht, irgendetwas zieht sie hoch in den Himmel. Dann schläft sie ein, mitten auf der Wiese.

Der Schamane wendet sich dem Diesseitigen zu

Tag drei. Was als Erweckungserlebnis geplant war, gleicht mittlerweile einem Zeltlager bei schlechtem Wetter. Es gibt nichts zu tun, außer reden und reden und reden. Lara hatte sich das wohl alles ein bisschen anders vorgestellt. "Ich hab nicht so viel gemerkt, ich fühl mich ziemlich klar", sagt sie beim Frühstück. Dem Systemadministrator geht es ähnlich: "Heute Abend will ich einen richtig krassen DMT-Flash." Der Schamane hat bessere Laune als gestern, er hatte eine schöne Reise: "Alle Wesen des Gartens sind bei mir gewesen, sie sind herumgetanzt." Und dann war da noch diese Büffelfrau: "Ich bin voll zum Stier geworden, ich habe sie bestiegen, ganz, ganz heftig bestiegen."

Der Schamane wendet sich dem Diesseitigen zu. Er muss mit dem Hund spazieren gehen, in den Supermarkt. Im Büro fragt er die Indianerin auf seinem Oberarm um Rat, weil sein Computer von einem Virus befallen ist. Seine Frau räumt unterdessen den Tisch ab und putzt die Küche. Auch die vier Seminarteilnehmer haben am dritten Tag ein diesseitiges Problem: Hunger. Tabaktrank und Lianen-Tee haben ihre Mägen leergepumpt, zudem halten sie sich seit mittlerweile sieben Tagen an die vom Schamanen verordnete Ayahuasca-Diät: kein Salz, kein Zucker, kein Öl, kein Fleisch, kein Alkohol, kein Sex. Zwischendurch Rohkost-Bolognese und Gemüsesuppe. Vom Kuchen, den der Schamane vom Einkaufen mitgebracht hat, bekommen sie nichts ab.

Am Nachmittag ruft der Schamane doch noch die Geister. Lara hat immer noch ihren Schlafanzug an. Sie verbindet sich die Augen und legt sich auf den Fußboden. Der Schamane trommelt die Teilnehmer in Trance, die vier Deutschen sollen loslassen und atmen so laut es geht. Sie sollen ihr Krafttier finden, ein Geisterwesen, das sie beschützt. Vor Lara steht ein Leopard, er faucht sie an. Dann taucht ein Löwe auf, er nimmt sie auf seinen Rücken und brüllt. Lara hat ihr Krafttier gefunden.

Mitternacht, diesmal wirkt der Zaubertrank richtig

Der Löwe verdrängt das Crystal aus ihrem Kopf, wenn auch nur für ein paar Stunden. Lara nimmt ihr Handy und googelt. "Lion, das heißt meine Stärke", sagt sie begeistert, bevor zum letzten Mal Ayahuasca ausgeschenkt wird.

Mitternacht, diesmal wirkt der Zaubertrank richtig. Lara windet sich hin und her, sie schwitzt, sie kotzt. Sie reitet auf ihrem Löwen, er brüllt ihre Sucht an. Der Systemadministrator und der Künstler halten sie fest. Eine Schlange kriecht durch ihren Körper. Sie fliegt durch bunte Tunnel und schwimmt auf Wellen. "Das ist die Stunde null", ruft der Künstler, "geil, das ist so geil." Er schlägt auf eine Stimmgabel, der schrille Ton bohrt sich in ihre Ohren.

Lara erwacht aus der Trance, schwankt in den Garten, ein Kotzeimer fällt um. Alle kichern. Lara legt sich auf die Wiese, die anderen kommen nach. "Ich hab euch alle so lieb", flüstert sie. Die vier halten sich an den Händen, die Deko aus dem Nachbargarten schwebt herüber, über ihnen flattert jetzt ein leuchtender Schwarm Plastikschmetterlinge.

Tag vier. "Ich hab richtig gemerkt, wie die Schlange in meinem Körper gegen die Sucht gekämpft hat", sagt Lara am Morgen. Doch jetzt ist Plastik nur noch Plastik, die Gartendekoration hängt wieder leblos im Nachbargarten. Daneben, in der Hollywood-Schaukel, sitzt der Mann und löst Kreuzworträtsel.

Die Deutschen packen ihre Koffer, umarmen noch einmal den Schamanen und verlassen die Drei-Zimmer-Welt. Sie müssen jetzt zurück in ihr altes Leben. Lara sitzt im Garten. Sie bleibt noch ein bisschen.

Alle Rausch-Geschichten lesen Sie in der Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung oder in der digitalen Ausgabe.

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