Impressionen der Kontemplation  :Auf dem Rückzug

Ein Band würdigt die abgeschiedene Welt der Frauenklöster. Es sind Bilder eines Abschieds: 1995 gab es noch mehr als 38000 Ordensschwestern in Deutschland, 2014 waren es noch 17500.

Von Matthias Drobinski

Der Schleier umrahmt zwei warme, braune Augen, eine energische Nase und einen sinnlichen Mund. Auf den legt sich nun ein Zeigefinger. Ein bisschen rissig ist er, dieser Finger der Landshuter Ursulinen-Äbtissin, das Bild ist schließlich mehr als 200 Jahre alt. Psst! Willkommen im Reich des Schweigens und der Stille, getrennt vom Draußen durch ein Gitter. Willkommen in der Klausur, der Innenwelt des Klosters.

Niemand geht hier heraus ohne wichtigen Grund, niemand hinein. "Tritt aus einem notwendigen Grunde der Beichtvater, der Arzt, der Apotheker, der Chirurg, der Maurer, der Zimmermann oder irgend jemand ins Kloster ein, so werden ihn zwei Schwestern an der Pforte abholen und an den Ort seiner Tätigkeit begleiten. Sie müssen jedoch vorher mit einem Glöckchen ein Zeichen geben, damit sich die Schwestern in ihre Zellen oder Amtsräume zurückziehen," heißt es in einer Kausursatzung von 1928. Die Trennung von der Welt ist geblieben, sagt Petra Articus, die Äbtissin des Zisterzienser-Klosters Seligenthal, obwohl die Nonnen heute Internet, Telefon und Radio haben und es einen Fernsehraum gibt: "Für uns ist es wichtig, einen Raum zu haben, der das Schweigen, die Sammlung, das Gebet, die Konzentration auf Gott hin, erleichtert." Die Klausur nicht als Ort der Gefangenschaft und Aufgabe der Persönlichkeit - sondern als Ort der Freiheit, um für Gott und die Gemeinschaft zu leben.

Über vier Jahre hinweg hat Christoph Kürzeder, der Leiter des Freisinger Diözesanmuseums, gemeinsam mit Steffen Mensch und dem Fotografen Thomas Dashuber zehn bayerische Frauenklöster besucht; ein 600 Seiten dicker Fotoband und eine Ausstellung im ehemaligen Kloster Beuerberg bei Wolfratshausen, geöffnet vom 15. Mai an, erzählen nun von den Erkundungen dieser fremden Welt.

Es trifft hier das Heilige auf das Profane einer speziellen Frauen-WG, in der die neue Zeit ein wenig unbeholfen ins ehrwürdig Traditionelle hineingeschraubt ist. Vor allem Dashubers Bilder zeigen das Anrührende und manchmal auch Komische dieser Brüche: die Waschbecken aus den Zwanzigern, die Glühlampen aus den Fünfzigern und die Telefone aus den Siebzigern neben Ölgemälden, dunklen Holzvertäfelungen und Spitzendeckchensofas; der Großküchen-Edelstahl neben den Zink-Eimern mit den Kartoffeln, und das liebe Jesulein schaut beim Schälen zu. Man sieht den gedeckten Tisch im Refektorium, kühle Steinflure, links und rechts die Türen zu den Zellen. Und hinter den Türen: ein schmales Bett, ein Rosenkranz.

Die Frauen auf den Bildern sind meist jenseits der 70. Und auch wenn das Klosterleben so wenig ein Idyll ist wie eine Wohngemeinschaft oder eine Familie: Von vielen scheint eine innere Ruhe auszugehen, manchmal vielleicht auch nur der Frieden, den man mit dem Leben gemacht hat. Es sind Bilder eines Abschieds: 1995 gab es noch mehr als 38 000 Ordensschwestern in Deutschland, 2014 waren es noch 17 500. Zwei der zehn Klöster, die das Team besuchte, gibt es nun nicht mehr, die Landshuter Ursulinen werden dieses Jahr ins Altersheim ziehen. "Es ist ein Abschied, dessen Folgen wir heute noch gar nicht abschätzen können", schreibt Kürzeder, "diese Klöster waren und sind mit ihrer radikalen Lebensform immer auch eine Provokation und ein notwendiges Korrektiv für die Gesellschaft". Immerhin: 2014 sind in Deutschland 70 Novizinnen neu in ein Kloster eingetreten; 28 von ihnen in eine kontemplative, also streng von der Welt geschiedene Gemeinschaft.

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