Hubert de Givenchy:"Wir verlieren an Eleganz"

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Modeschöpfer Hubert de Givenchy über sein frühreifes Dandytum, ideale Weiblichkeit und warum wir in Krisenzeiten unsere Eleganz einbüßen.

Johannes Willms

Hubert de Givenchy wurde 1927 in Beauvais in eine wohlhabende Familie geboren, die von Ludwig XIV. 1713 geadelt worden war. 1945 begann er seine Ausbildung im Atelier von Jacques Fath. 1952, im Alter von erst 25 Jahren, eröffnete Hubert de Givenchy sein eigenes Atelier und erregte sofort großes Aufsehen. Für Audrey Hepburn, die ihn 1953 erstmals aufsuchte und für die er die Garderobe schuf, entwarf er das strenge schwarze Etuikleid, das sie in dem Film "Frühstück bei Tiffany" (1961) trug. Heute lebt Hubert de Givenchy, der 1988 die "Société Givenchy-Couture" an den Luxusgüterkonzern Louis-Vuitton-Moët-Hennessy verkaufte, im Ruhestand und widmet sich seiner Sammlung exquisiter Möbel und Kunstwerke.

Bereits mit zehn Jahren stand für Hubert de Givenchy bereits fest: "Ich mache was mit Mode" (Foto: Foto: AP)

SZ: Monsieur de Givenchy, von Charles Baudelaire, der ein Dichter, kein Modeschöpfer war, stammt der Satz: "Ich liebte meine Mutter wegen ihrer Eleganz. Ich wurde deshalb ein frühreifer Dandy."

Hubert de Givenchy: Nein, ein Dandy bin ich nicht geworden. Meine Familie ist protestantisch, und so wurde ich auch von meiner Mutter erzogen: sehr streng, sehr diszipliniert. Allein das verhinderte, dass ich ein frühreifer Dandy wurde.

SZ: Mode hat mit Sinnlichkeit, mit Sensualität zu tun. Beides fördert, möchte man meinen, eine protestantische Erziehung nicht unbedingt.

Givenchy: Mein Großvater mütterlicherseits war Chef der großen Gobelinfabrik in Beauvais. Das heißt, in meiner Familie war deshalb eine starke künstlerische Ader vorhanden. Diese war, wie das Beispiel der Eleganz, die meine Mutter entfaltete, die Voraussetzung für meine Berufung, ein Modeschöpfer werden zu wollen.

SZ: Und wann verspürten Sie erstmals den Wunsch, Modeschöpfer zu werden?

Givenchy: Ach, das war sehr früh. Ich bin sogar überzeugt, dass starke Berufungen sich schon unmittelbar nach der Geburt bemerkbar machen. Wie ich bereits andeutete, hatte ich eine sehr, sehr schöne Mutter, die sich unaufwendig, aber sehr elegant zu kleiden verstand, was ich stets genau beobachtete. Auch wuchs ich unter zahlreichen Cousinen auf. Kurz, in meiner Familie achtete jedes Mitglied sehr auf seine Kleidung. Das hat mich schon als Kind fasziniert und veranlasste mich bald, auch die Modegeschäfte genau zu studieren.

SZ: Sonst hatten Sie keine Vorbilder?

Givenchy: Ganz entscheidend war für mich, dass ich fasziniert war von den Schöpfungen eines Couturiers, den ich erst viel später kennenlernte und für den ich heute noch ungeteilte Bewunderung empfinde: Cristóbal Balenciaga.

SZ: War Balenciaga also Ihr großer Lehrmeister?

Givenchy: Ja und nein, denn ich habe nie für ihn gearbeitet, ihn aber von früh an sehr bewundert. Ich war damals noch jung, und dann kam der Krieg, in dem Beauvais zerstört wurde und meine Familie alles verlor. Aber selbst das Erlebnis dieser schweren Zeit änderte nichts daran, dass ich noch immer Balenciaga im Kopf hatte. Daher mein unbedingter Wunsch, selber Modeschöpfer zu werden, seinem Vorbild nachzueifern. Deshalb eröffnete ich eines Tages meiner Familie, dass ich nach Paris gehen und dort in der Modebranche arbeiten wolle.

SZ: Sie traten also nicht bei Balenciaga ein, bei wem begannen Sie?

Givenchy: Bei Jacques Fath fing ich im Januar 1945 im Alter von 17 Jahren an. Das war meine unerhörte Chance, denn Fath war einer der ganz Großen der Haute Couture, er arbeitete für Eva Perón und Rita Hayworth. Das änderte aber nichts daran, dass er mir nur einen wahren Hungerlohn zahlte. Ein Jahr später wechselte ich zu Robert Piguet, der mich weit besser bezahlte, und dessen Kreationen, die sich durch nüchterne Eleganz auszeichneten, mir auch mehr zusagten. Meine Pariser Lehrzeit schloss ich dann bei Elsa Schiaparelli ab.

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SZ: Was haben Sie in der Mode gesucht oder für sich zu finden gehofft?

Givenchy: Was mich vor allem dafür begeisterte, war das Schöpferische. Das war der eine Aspekt. Ein anderer waren die Rohstoffe, aus denen Mode geschaffen wird: die Stoffe. Die übten eine ganz eigene Faszination auf mich aus, denn jeder Stoff hat ein nur ihm eigenes Leben. Jeder reagiert ganz anders, hat eine ihm spezifische Geschmeidigkeit und seinen eigenen Fall, wie man sagt.

SZ: Ein Modeschöpfer muss also besonders behutsam mit den Stoffen umgehen?

Givenchy: Ja, selbstverständlich. Balenciaga hat immer gesagt, man dürfe die Stoffe nicht misshandeln, sondern müsse sie lieben, sie behutsam verarbeiten und disziplinieren. Das ist eine Regel, gegen die heute oft verstoßen wird. Die Stoffe werden gequält, ihre Materialität wird nicht respektiert. Damit eine Robe gelingt, muss sich der Stoff in seiner natürlichen Beschaffenheit entfalten können.

SZ: Warum ist das so wichtig?

Givenchy: Wenn man die Eigenarten, den Charakter eines Stoffes respektiert, dann gelingt es, Roben zu schaffen, die den Körper einer Frau zur Geltung bringen, ohne ihm Gewalt anzutun, ihn viel natürlicher und attraktiver wirken lassen.

SZ: Das haben die Frauen, für die Sie arbeiteten, sicherlich zu schätzen gewusst.

Givenchy: Selbstverständlich, denn wenn eine Frau sich in einer solchen Robe bewegt, dann wird der Stoff den Bewegungen ihres Körpers folgen, diesem, wenn Sie so wollen, seine wahre Silhouette verleihen. Eben deshalb ist es so wichtig, dass man den spezifischen Charakter eines Stoffes genau kennt, ehe man mit dem Entwurf eines Modellkleides beginnt.

SZ: Es muss also immer ein genaues Gleichgewicht zwischen den Eigenheiten eines bestimmten Stoffs, seiner Verarbeitung, wie dem Schnitt der Robe eingehalten werden. Das Ergebnis ist jene klassische Einfachheit, für die Ihre Schöpfungen berühmt sind.

Givenchy: Nun, ein Stil entwickelt sich, indem man bestrebt ist, sich dem Ideal von Eleganz anzunähern. Dabei erweist es sich stets als das Schwierigste, das Einfache zu realisieren. Das gilt notorisch für das sogenannte kleine Schwarze. Das kleine Schwarze ist deshalb besonders schwierig, weil es einerseits nichts und andererseits alles vorstellt. Ich habe deshalb immer versucht, alles Überflüssige fortzulassen und mich nur auf das Essentielle in seiner schmucklosen Reinheit zu konzentrieren.

SZ: Dienten Ihnen dafür die kleinen Schwarzen als Vorbild, die Coco Chanel in den 1920er Jahren schneiderte?

Givenchy: Nein, auch dafür war mir nicht Coco Chanel das große Vorbild, sondern wieder Balenciaga. In seiner Konzeption, seiner Architektur eines Modells konzentrierte er sich nur auf dessen Volumen. Durch sein Beispiel vor allem habe ich das Einfachste und gleichzeitig Wichtigste gelernt: das Volumen, die Proportion, den Aufbau, die Endbearbeitung eines Kleides und die damit harmonierende Wahl der Stoffe. Das sind die Elemente, die für mich zusammenstimmen müssen, um wahre Couture zu schaffen.

SZ: Sie sind, so sagt man, der Schöpfer einer klassischen Linie, die sogar die Kreationen von Balenciaga übertrifft.

Givenchy: Nein, dass ich Balenciaga übertroffen hätte, kann man nicht sagen. Er war mein Meister, auch wenn ich unglücklicherweise nie für oder mit ihm gearbeitet habe. Aber ich hatte den Vorzug, ihn zu kennen und häufig mit ihm reden zu können. Wenn man zuhören kann, dann lernt man auch sehr viel. Diesen Unterhaltungen verdanke ich vor allem die Einsicht, wie viel Mühe man aufwenden muss, um zur Vollkommenheit zu gelangen. Er lehrte mich vor allem, dass in der Mode weniger immer mehr ist.

SZ: Wie ist das zu verstehen?

Givenchy: Beispielsweise sollte man es unterlassen, eine Blume an einem Modellkleid zu applizieren, nur um dieses zu verschönern. Entscheidend für die Schönheit eines Kleids ist immer das Elementare, nicht das bloße Accessoire. Wenn man sich daranhält, kommt man der Perfektion einfach dadurch nah, dass man der Wahrheit treu bleibt bei dem, was man kreiert.

SZ: Balzac hat einmal gesagt: "Das wichtigste Prinzip der Eleganz ist die Einheit."

Givenchy: Das trifft unbedingt zu. Es gibt zwei Arten von Eleganz. Es gibt die Eleganz der Mode und die einer Person. Jemand ist elegant oder ist es nicht, in seinem ganzen Betragen oder in seiner Kleidung. Die größte Eleganz ist aber die des Herzens, die darin besteht, gute Werke in größter Diskretion, geradezu anonym zu tun. Eleganz ist immer unauffällig, ist nie aufdringlich, schwelgt nicht in Aufwand und Luxus. Sie ist immer das Raffinement des Einfachen und beinahe unsichtbar. Eine Frau kann elegant sein, ohne ein Modellkleid zu tragen, einfach durch die Art, wie sie sich gibt, sich bewegt, sich ausdrückt.

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SZ: Haben Sie ein Ideal von Weiblichkeit?

Givenchy: Natürlich muss man, wenn man Kleider entwirft, eine Idealvorstellung von einer Frau haben. Sie gilt immer als groß und schlank. Sie hat elegante Bewegungen, sie weiß, sich eine Haltung zu geben. Eine Robe sollte ihr deshalb die Möglichkeit verschaffen, alle diese Eigenschaften noch besser zur Geltung zu bringen. Eine wirklich elegante Frau wird das sofort verstehen und darauf achten, alles zu tun, damit das Modell, das sie trägt, ihre Schönheit unterstreicht.

SZ: Sind Sie einer Frau, die diesem Ideal entsprach, einmal begegnet?

Givenchy: Ja, ich hatte dieses große, schier unschätzbare Glück. Ich denke dabei vor allem an Audrey Hepburn. Dank ihres strahlenden Charmes, der natürlichen Eleganz, mit der sie sich bewegte und gab, hat sie einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, meine Kreationen sehr vorteilhaft zur Geltung zu bringen. Seit "Sabrina" habe ich alle Kostüme entworfen, die sie in ihren Filmrollen trug. Unsere intensive Zusammenarbeit, die erst mit ihrem Tod im Januar 1993 endete, war in gewisser Weise eine sehr glückliche Liebesbeziehung, die wir miteinander hatten, und die getragen wurde von Kreativität, Zuneigung und gegenseitigem tiefen Verständnis. Das Werk, das ich vollbrachte, verdankt ihr sehr viel.

SZ: Die Eleganz, die Ihre Kreationen auszeichnete, ist in der gegenwärtigen Mode nicht mehr wahrzunehmen. Stimmen Sie damit überein?

Givenchy: Ja, das ist vorbei, denn unsere Zeit hat sich sehr verändert. Das lässt sich nicht nur an der Mode ablesen. Es gibt kein Raffinement mehr. Die Häuser, die noch Couture machen, setzen ihren schöpferischen Ehrgeiz vor allem dazu ein, Handtaschen oder sonstige Accessoires zu kreieren.

SZ: Was spricht gegen Handtaschen?

Givenchy: Nichts, aber ein Modehaus sollte vor allem den Anspruch haben, Couture zu entwickeln. Davon überzeugt oder fasziniert mich heute nichts mehr. Das hat vielleicht seinen Grund auch darin, dass ich meine schöpferische Reife in einer Zeit erlebte, als Madame Grès, Dior oder Balenciaga in der Mode den Ton angaben. Das waren Couturiers, deren Ziel darin bestand, die Frauen schöner zu machen mittels der Roben, die sie entwarfen. Wenn ich mir heute Modemagazine anschaue, dann bin ich regelmäßig entsetzt von dem, was ich da sehe. Nichts hat mehr eine Form, und die Stoffe sind völlig gleichgültig geworden. Statt wirklicher Kreativität gibt es nur mehr oder weniger hilflose Versuche, etwas zu entwerfen, was fern jeglicher Harmonie ist.

SZ: Was ist die Ursache für diesen Wandel? Gibt es denn keine Gesellschaft mehr, die Eleganz als solche schätzte?

Givenchy: Ja, so ist es wohl, leider. Eleganz ist nicht mehr gefragt, hat heute im Unterschied zu früher keine Bedeutung mehr. Als Yves Saint Laurent arbeitete, gab es noch Frauen, denen Eleganz etwas wert war. Seitdem er aufhörte, ist das Image der Mode endgültig dahin.

SZ: Ist die derzeitige Mode allzu aufdringlich, geradezu vulgär?

Givenchy: Nein, so würde ich das nicht sagen. Alle Aufmerksamkeit gilt vielmehr den Accessoires, den Handtaschen zumal, die mit ostentativem Luxus oder übertriebener Verspieltheit prunken. Modellkleider hingegen zeichnen sich durch Einfallslosigkeit aus, die umso deutlicher ins Auge fällt, als zwischen ihnen und den Accessoires keine Harmonie herrscht. Wir leben eben in einer anderen Welt, in der andere Werte den Ton angeben. Das ist eine ganz normale Entwicklung, die ich zur Kenntnis nehme, die mich aber auch nicht weiter deprimiert, allenfalls enttäuscht. Was einmal war, wird nicht wiederkommen. Die Zeit der Eleganz ist endgültig abgelaufen.

SZ: Sind Sie da nicht zu pessimistisch, denn könnte es nicht sein, dass die schwere finanzielle und wirtschaftliche Krise, die wir durchleben, die Eleganz wieder rehabilitiert?

Givenchy: Nein, ich bin überzeugt, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Die augenblickliche Krise wird die Folgen, die das Verschwinden der Eleganz hatte, vielmehr noch verstärken. Schauen Sie doch einmal, ein wie hässliches Bild unsere Straßen schon heute bieten, wie nachlässig die Menschen angezogen sind.

SZ: Ist die Eleganz also endgültig passé?

Givenchy: Ja, und es wird alles noch schlimmer werden, denn auch die Vorbilder, es anders zu machen, sind verschwunden. Was die einschlägigen Magazine ihren Lesern propagieren, ist das Auffällige, das Unharmonische. Das alles hat keine Eleganz mehr.

© SZ vom 21.02.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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