Horoskope:Das Comeback der Astrologie

Milkyway on the Hungarian border

Die Milchstraße - aufgenommen mit einem Weitwinkelobjektiv in Tachty, einem kleinen Ort in der Slowakei in der Nähe der ungarischen Grenze.

(Foto: dpa)

Horoskope sind Aberglaube? Viele junge Menschen sind ganz anderer Ansicht - sie vertrauen wieder auf die Sterne.

Von Juliane Liebert

Lana Del Reys Sternzeichen ist Zwillinge, ihr Aszendent Stier mit einer Planetenverbindung zur Waage. Das wiederum ist der Grund, warum sie so eine außergewöhnliche, distinktive Stimme hat. Ähnlich wie Cate Blanchett, denn deren Sternzeichen ist Stier, und Stiere haben immer besondere Stimmen. Sie sind Stier? Ab ins Aufnahmestudio. Das ist Unsinn? Nicht für eine wachsende Zahl von Menschen, die wieder an die Sterndeutung glauben, und zwar nicht nur in den USA.

Die Offenheit für Astrologie hat in den vergangenen Jahrzehnten auch in Deutschland deutlich zugenommen, wie demoskopische Langzeitstudien belegen. 97 Prozent der Deutschen kennen ihr Tierkreiszeichen, im Jahr 2006 glaubten knapp 20 Prozent der Deutschen an die Macht der Sterne, inzwischen ist es fast jeder vierte. Immerhin 40 Prozent stehen ihr "offen gegenüber". Es gibt astrologische Vorhersagen von Sportereignissen, der Börse, dem etwaigen Rücktritt Angela Merkels. Das Astrologiezentrum Berlin bietet Kurse in "Astromedizin" oder der "Astrologie des Ortes" an (damit der Deutsche weiß, wie er seine Couch im Einklang mit den Sternen hinstellt). Je nach Schätzung praktizieren hierzulande zwischen 6000 und 20 000 Astrologen.

Für Jim Morrison war die Astrologie immerhin eine Show-Einlage wert

Vor allem jüngere Menschen sind offen für das Thema. Angefangen damit, dass große, sonst den Anspruch der Wissenschaftlichkeit zumindest behauptende Webseiten wie Broadly US ernst gemeinte tägliche Horoskope anbieten. Auf diversen Portalen werden zudem astrologische Profile für Stars erstellt, in denen dann beispielsweise auch dargelegt wird, warum die Sängerin Taylor Swift in letzter Zeit so viel Ärger mit Männern hat. Astrologie verschmilzt mit der Popkultur, die dafür schon immer anfällig war.

Man erinnere sich an Jim Morrisons berühmten Dialog aus dem Jahr 1970, den er von der Bühne herab mit einem Groupie führte, das Ganze ist gut dokumentiert. Morrison: "Ich weiß nicht, wie viele von euch an Astrologie glauben." Groupie: "JIM! JIM! Ich glaube an Astrologie!" Morrison: "Yeah Baby, ich bin Schütze, das philosophischste aller Sternzeichen." Groupie: "Ich auch, Jim!" Morrison: "Also "eigentlich glaub ich da nicht dran. Groupie: "Ich auch nicht!" Morrison: "I think it's a bunch of bullshit . . ."

Die jetzige Generation sieht die Sache nicht ganz so locker wie Jim Morrison - Astrologie boomt vor allem in den sozialen Netzwerken. Auf Instagram stehen neben Alter und Geschlecht immer häufiger Sternzeichen samt Aszendenten und Mondzeichen in den Profilen. Woher kommt die neue Lust an der Sterndeutung? "Vielleicht liegt es daran, dass junge Menschen immer und immer unsicherer in Bezug auf so ziemlich alles werden", sagt Frida A., eine Tumblr-Bloggerin, laut ihrer Info Waage, Aszendent Wassermann: "Wir werden immer psychotischer, weil sich alles so schnell verändert. Astrologie springt in die Nische, weil sie vorgibt, Antworten darauf zu haben, warum wir uns auf diese oder jene Weise verhalten."

"Astrologie erklärt Dinge, aber impliziert keine Verhaltensregeln"

Schon vor zwei Jahren zeigte eine Studie, dass die Mehrheit der jungen US-Amerikaner Astrologie für eine Wissenschaft hält: Für den überwiegenden Teil der 18- bis 24-Jährigen ist sie "mehr oder weniger" wissenschaftlich. John Besley von der Michigan State University, der 2014 die Einstellung der Öffentlichkeit zur Wissenschaft untersuchte, sagte damals, man müsse abwarten, um zu sehen, ob die Zahlen zur Astrologie eine "wirkliche Veränderung" bedeuten. Sie seien ihm aber durchaus "aufgestoßen".

Ist der Aufschwung der Astrologie ein Symptom der Depression einer "psychotischen Jugend"? "Ich denke, dass unsere Umbruch-Generation, die sowohl ohne als auch mit dem Internet gelebt hat, die ist, die es am schwersten hat", sagt die Bloggerin Frida A., die gewissermaßen für die Generation Astro steht. "Es ist nicht nur das Internet, es ist die Radikalität der Veränderung. Astrologie erklärt Dinge, aber impliziert im Gegenteil zum Christentum keine Verhaltensregeln."

Hier kann sich jeder herauspicken, was einem gefällt, was gelegentlich zu amüsanten Erklärungsmustern führt: Selbst von skeptischeren Naturen hört man dann Sätze wie diese: "Also, ich glaub da natürlich nicht dran, andererseits, ich hatte da diese Exfreundin, und die war genau wie die Cousine meines Mitbewohners, ich schwör's, und beide waren Fische!"

Vor allem gebildete junge Erwachsene deuten ihr Leben durch Astrologie

Die Beschäftigung mit der Astrologie lädt seit jeher zu wilden Theorien ein, das gilt nicht nur für ihre Verfechter, sondern manchmal auch für ihre Kritiker. Es gibt eine bezeichnende Anekdote über Sigmund Freud, die Nicholas Campion in seinem Buch "The History of Western Astrology" erzählt. 1921 ging einer von Freuds Patienten zu einem Astrologen, und der prophezeite, der Bruder des Patienten "werde nächsten Juli oder August an einer Muschel- oder Krebsvergiftung" sterben. Tatsächlich hatte sich, so die Geschichte, genau das im August des Vorjahres ereignet.

Freuds Patient war beglückt, aber der Meister der Analyse selbst geriet in Rage, da er Astrologie strikt ablehnte, ja, sie so gefährlich fand, dass er jede Diskussion darüber vermeiden wollte, weil sie "die Gesellschaft destabilisieren" könnte. Freud sagte, dass es für die Krebs-Tod-Vorhersage sicher eine einfache, rationale Erklärung gäbe. Anstatt aber etwa anzunehmen, der Astrologe habe vom Todesfall gewusst, verstieg er sich in seiner Not darauf, dass "Astrologe und Klient in der Intensität des Sprechzimmers in eine telepathische Gedankenübertragung eingeschlossen waren, durch die der Krebsvorfall von einem Gehirn zum anderen übertragen wurde."

Horoskope geben vor, zu wissen wer man ist

Das Eigentümliche an der aktuellen Entwicklung ist: Es sind nicht etwa ungebildete, sondern oft politisch aktive, belesene junge Erwachsene, die ihr Leben durch Astrologie zu deuten versuchen. Manchmal spaßhaft (in Memes), manchmal bitterernst. Warum jetzt, und warum ausgerechnet Astrologie? Vielleicht ist sie der Gegenschlag des Unkontrollierbaren einer Zeit, in der wir mit aller Gewalt versuchen, jeden noch so kleinen Aspekt unseres Alltags zu rationalisieren. Und alles, was wir mühsam verdrängen, erwischt uns irgendwann auf Umwegen oder unbewusst.

Wayman Steward, 28, Betreiber der Seite Astroarena, erklärt die wachsende Popularität der Sternzeichen durch die gestiegene Zugänglichkeit: "Es ist dank des Internets extrem einfach geworden, sich ein Horoskop erstellen zu lassen und astrologische Positionen zu bestimmen." Er selbst erstellt zwei bis drei Geburtshoroskope am Tag und verlangt dafür 54,99 US-Dollar das Stück. Ob das nun viel oder wenig ist, um die Sternenklarheit über sein eigenes Leben zu erlangen, muss jeder selbst entscheiden.

Letztlich tut Astrologie, was sie schon immer tat. Sie erklärt einem, wer man ist, oder gibt zumindest vor, das zu tun. Vielleicht zahlen die Menschen gar nicht, um aus den Sternen ihre Zukunft gelesen zu bekommen, sondern für den Luxus, dass sich jemand ein paar Stunden lang mit ihnen beschäftigt und ihnen die Mühe abnimmt, sich der Selbsterkenntnis zu widmen. Es stellt sich die Frage, ob Astrologie als "Identitätsangebot" nicht gerade deshalb so beliebt ist, weil sie in der Grauzone zwischen Glauben und Wissen agiert - Identität, aber mit Notausstieg.

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