Homosexualität in der Ukraine:Gefährliche Küsse

Homo-Ehe Homosexuelle Ukraine

Er berät andere Homosexuelle in seiner Heimat, aber nur klammheimlich: Andryi Maymulachin (Mitte) mit seinem Partner.

(Foto: Anastasia Wlasowa)

In keinem anderen europäischen Land werden Schwule und Lesben so verfolgt wie in der Ukraine. Wer sich outet, riskiert Prügel. Jetzt fordern Politiker auch noch, "homosexuelle Propaganda" mit Haft zu bestrafen.

Von Cathrin Kahlweit

Sein Vater hat es so erfahren, wie es Eltern vielleicht nicht unbedingt erfahren sollten. Andererseits: selbst schuld. Der Vater war bei Shenja in der Studentenbude zu Besuch gewesen, hatte ungefragt auf dessen Laptop herumgetippt und dann Fotos gesehen, die Eltern vielleicht nicht unbedingt sehen wollen, Fotos, auf denen der Sohn einen Mann küsst. Keine Frau.

Die Reaktion war erst Empörung, dann Scham, schließlich folgten Erziehungsmaßnahmen: keine eigene Wohnung mehr, zurück zu Mama und Papa, Ausgangssperre, Kontaktverbot. Umerziehungslager. Wenn er Shenja nur lange genug daran hindern würde, Petja zu sehen, glaubte der Vater, dann würde diese perverse Phase vorbeigehen. Shenja war damals 21, also erwachsen. "Er wollte mich heilen", sagt der junge Mann heute. "Oder zumindest dafür sorgen, dass es niemand, aber auch niemand mitbekommt." Dann lacht er, ohne es komisch zu finden.

Auch die Mutter durfte nichts erfahren. Ein schwuler Sohn? Undenkbar, fand der Vater, diese Schande. Wobei: "Schwul" sagt man nicht in der Ukraine, das wäre zu direkt. "Männer, die Sex mit Männern haben", heißt es offiziell, das klingt mehr nach einer Praxis als nach einer Neigung. Und Praktiken kann man ändern. Homosexualität ist nach wie vor tabu; viele Ukrainer, auch viele Politiker, halten sie für eine Krankheit. Die Ukraine liegt, was die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen angeht, noch hinter Russland und damit in Europa an letzter Stelle.

Dass in Frankreich, in den USA, in Deutschland derzeit um Ehen für Schwule und Lesben gerungen wird, um Adoptionsrechte, um Steuerprivilegien, das klingt in Kiew, Donezk, Lemberg oder Odessa, als sende jemand Nachrichten vom Mars. In der Ukraine, sagt Anna Dogopol, die sich bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew für "Geschlechterdemokratie und die Rechte von lesbischen Frauen" einsetzt und selbst lesbisch ist, "gelten schon eingetragene Partnerschaften als Perversion des europäischen Rechts".

Gesetzesentwurf gegen "homosexuelle Propaganda"

Vielleicht ist das der Grund, warum in dem Land derzeit gleich zwei Gesetze in Vorbereitung sind, die "homosexuelle Propaganda" verbieten sollen; einzelne Abgeordnete der Regierungspartei sowie der Kommunisten, aber auch von Julia Timoschenkos Vaterlandspartei stehen dahinter. Beide Entwürfe sind dem russischen "Antischwulengesetz" nachempfunden und sollen verhindern, dass in der Öffentlichkeit, in Schulen, in den Medien oder im Gesundheitswesen über Homosexualität gesprochen oder aufgeklärt wird.

Denn das könnte, sagen die Initiatoren der beiden konkurrierenden Gesetze, Kinder verführen und ihre Seelen verheeren. Was sie nicht sagen: Die Ukraine hat europaweit die höchste Steigerungsrate bei HIV-Infektionen. Homosexuelle sind eine Risikogruppe. Man müsste also auch über sie reden, wenn man über Vorbeugung und Behandlung von Aids redet. Das würde Kinder schützen.

Im Falle des Liebespaars Shenja und Petja haben das Schweigen und die Verbote des Vaters eine Zeit lang einiges, letztlich aber doch nichts geändert. Der Sohn, der einen Mann liebt, konnte seinen Freund ein Dreivierteljahr lang nur auf der Straße treffen, in der Mittagspause, wenn Petja, der als Manager in einer Handelsfirma arbeitet, kurz mal seinen Kopf an die Luft stecken durfte. Dann gingen sie spazieren.

Der kleinere blonde Shenja, der ausschaut wie ein Bub aus einer Werbung für Bio-Äpfel, heiter, rundgesichtig, hübsch, und der größere Petja, ein schmaler 27-Jähriger mit weichen Bewegungen und braunem Haar, das ihm auf die Schultern und in die Stirn fällt. Bei zehn Grad minus liefen die beiden durch Kiews Stadtzentrum, auch bei 30 Grad minus oder bei fünf Grad plus. Wo hätten sie auch hinsollen? Petja lebte bis vor Kurzem bei Mutter und Schwester, da war kein Platz für Zärtlichkeiten.

"Das gäbe einen Volksaufstand"

Mittlerweile wohnen Petja und Shenja zusammen. Inkognito, draußen vor der Hauptstadt, in Browary, 90 000 Einwohner, viel Industrie, viel Anonymität. Sie teilen ihre Bude mit einem Mädchen, das den beiden eine Art Alibi verschafft. Eine WG seien sie, sagen sie denen, die fragen. Und haben doch Angst, dass jemand die Wahrheit errät. Liebe, Angst und ein Gefühl der Demütigung: Das ist ihr Status quo.

Hand in Hand gehen? Haben sie ausprobiert. "Die Leute starren." Küssen? "Unvorstellbar", sagt Petja. "Zu gefährlich, man riskiert Prügel. Sogar hier in der Großstadt. Auf dem Land, in der Provinz? Da sind die Prügel fast sicher." Noch gefährlicher sei die Lage geworden, seit Politiker dieses Gesetz gegen homosexuelle Propaganda planten. "So wird der Bevölkerung, die ohnehin total homophob ist, gezeigt, dass Hass gegen Schwule und Lesben total okay ist. So werden Vorurteile sanktioniert, geschürt, verstärkt", sagt Petja, ungewohnt kämpferisch.

Fotografieren lassen wollen sich die Männer nicht, aus gutem Grund. Auch für eine deutsche Zeitung nicht. Irgendwo im Ruhrgebiet lebt ein Cousin, ein rechter Skinhead. Wenn der das Foto sieht, könnte er es weiterreichen, und seine Freunde in der Ukraine könnten auf komische Gedanken kommen. So weit geht die Angst.

30 Prozent aller Angehörigen von Schwulen und Lesben in der Ukraine wissen nicht, dass ihre Kinder homosexuell sind, und von denjenigen, die es wissen, akzeptieren es nur etwas mehr als die Hälfte. Das hat eine Umfrage von Nash Mir ergeben, einer Menschenrechtsorganisation, die sich für die LGBT-Klientel einsetzt, also für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle. Die Gruppe wird vornehmlich mit Geld aus dem Ausland finanziert. Ihr Sprecher, Andryi Maymulachin, sagt, auch er werde immer vorsichtiger, " noch vorsichtiger, als ich ohnehin schon war".

"Liebe gegen Homosexualität"

Vergangenes Jahr hätte es eine Gay-Pride-Parade geben sollen in Kiew, aber die Polizei mochte nicht für die Sicherheit garantieren. Also wurde die Sache abgesagt, stattdessen gab es eine Pressekonferenz auf einem staubigen Parkplatz in der Nähe der Darnyzia-Metrostation, um die Ecke vom Nash-Mir-Büro. Es kamen: Journalisten und Schläger. Zwei Aktivisten wurden krankenhausreif geschlagen.

Dieses Jahr nun soll es eine Demonstration für Menschenrechte und Minderheiten geben, lieber nichts Provokatives. "In der Ukraine wäre es unvorstellbar, dass halb nackte Schwule in pinken Bikinis durch die Straßen paradieren. Das gäbe einen Volksaufstand", sagt Andryi. Auf rechtsradikalen russischen Websites sind schon wieder erste Drohungen gegen die geplante Kundgebung im Mai zu finden. In Kiew demonstrieren regelmäßig Rechtsextreme und Rechtgläubige vor der Werchowna Rada; ihr Motto: "Liebe gegen Homosexualität". Als wenn das ein Gegensatz wäre.

Der Kiewer Patriarch Filaret von der ukrainisch-orthodoxen Kirche warnt mit Blick auf Homosexuelle, Christen dürften nicht vergessen, warum Gott Sodom und Gomorra zerstört habe. Und Erzbischof Svjatoslaw von der griechisch-katholischen Kirche findet, Homosexualität wiege als Sünde so schwer "wie Mord".

Andryi Maymulachin hat lange gebraucht, bis er es wagte, sich so zu zeigen, wie er ist. Heute will er sich nicht mehr verstecken. Der 42-Jährige ist in Lugansk aufgewachsen; bis zu einer Reise nach Moskau wusste er gar nicht, dass es Schwule oder Lesben gibt. In einer Moskauer Metro-Unterführung sah er, zwischen anderen Blättern, eine illegale Zeitschrift mit zwei Männern liegen, die sich berührten. Er stockte. Und wusste intuitiv: Hier geht es um mich.

Moskau, ausgerechnet. In Russland hat das sogenannte Antischwulengesetz im Januar in erster Lesung die Duma passiert, obwohl Premierminister Dmitrij Medwedjew zuvor erklärt hatte, er sehe dazu "keine Notwendigkeit", weil es "unmöglich ist, alle Fragen von Moral, Verhalten und Kommunikation zwischen Menschen in einen Gesetzesrahmen zu bringen". In einigen Regionen des Landes aber, unter anderem in St. Petersburg, ist "Schwulenpropaganda" bereits verboten.

Ärzte, die Aidskranke nicht behandeln

In der Ukraine gibt es derzeit, wie gesagt, zwei Gesetzentwürfe, sie haben Nummern: 1155 sowie 0945, vormals bekannt als 8711. Für Menschenrechtler und LGBT-Aktivisten klingen die Ziffern wie Drohungen: Laut 1155 soll jeder bestraft werden, der den Eindruck erweckt, gleichgeschlechtliche Beziehungen seien so normal wie "traditionelle" Beziehungen. Auf wiederholtes Handeln stehen bis zu sechs Jahre Haft. 0945 soll homosexuelle Inhalte in Massenmedien, im Kino, in Büchern, in der Kunst verbieten. Hier drohen bis zu fünf Jahre Haft. Offizielles Ziel beider Entwürfe: der Schutz von Kindern und von Familienwerten.

Stas Mischenko, der in Kiew die Gay Alliance vertritt, sieht andere Gründe hinter der Debatte, die seit mehr als einem Jahr öffentlich geführt wird: "Der Wirtschaft geht es miserabel, Partei der Regionen und Opposition blockieren sich gegenseitig und machen das Land unregierbar. Aber wer diese Art von Gesetz vorantreibt, der kann immerhin so tun, als täte er was. Als rette er wenigstens die Moral." Präsident Viktor Janukowitsch hat sich noch nicht dazu geäußert, was er von den Plänen seiner Abgeordneten hält, doch auch er weiß: Im Ringen um das Assoziierungsabkommen und die Annäherung an die EU würde weder 1155 noch 0945 einen guten Eindruck machen.

In der Nähe des berühmten Kiewer Höhlenklosters, das in einem Seitenflügel eine der wenigen Aids-Kliniken des Landes beherbergt, hat Tatjana Donez ihr Büro. Sie leitet den Unterausschuss des Parlaments für Infektionskrankheiten und Aids. Etwa 400 000 Menschen, schätzen die UN, sind in der Ukraine mit dem HI-Virus infiziert. Das sind zehn Mal so viele wie in Deutschland, dabei hat das Land nur halb so viele Einwohner.

Tatjana Donez macht Gesundheitspolitik in einem Staat, in dem es regelmäßig vorkommt, dass sich Ärzte weigern, Aidskranke zu behandeln, in dem internationale Geber dreimal so viel in Prophylaxe und Bekämpfung von HIV und Aids investieren wie die Ukraine selbst, in dem Betroffene verschweigen, dass sie Aids haben, oder es im Zweifel gar nicht wissen. In dem Drogenabhängige, Straßenkinder, Prostituierte, zunehmend auch Heterosexuelle das Virus streuen. Homosexuelle sind eine Risikogruppe unter vielen und nicht die größte. Und doch geht es jetzt erst mal gegen sie. Als wäre ein Stigma nicht genug.

Geld für Aids-Prophylaxe kommt aus dem Ausland

Tatjana Donez, Abgeordnete der Vaterlandspartei, hat sich den Vorsitz des Aids-Ausschusses selbst gewünscht. Und nun muss sie gegen Pläne kämpfen, die auch von Abgeordneten aus ihrer Partei unterstützt werden und ihre Arbeit massiv erschweren würden. "Hier wird versucht, Aufklärung durch Propaganda zu ersetzen", sagt sie. Donez ist eine zarte, sehr hübsche, fast elfenhafte Frau. Die 32-Jährige sieht ein wenig aus wie eine junge Ausgabe von Julia Timoschenko, blond, elegant. Vielleicht hat die Oppositionsabgeordnete den Aids-Ausschuss bekommen, weil kein Segen darauf liegt.

Sie kündigt an, ein Gesetz einbringen zu wollen, das Vorbeugung und Aufklärung an Nichtregierungsorganisationen auslagert; die hätten den besseren Zugang und mehr Expertise, glaubt sie. Sind das nicht aber genau jene Gruppen, die im Zweifel Homosexualität auch Homosexualität nennen und ziemlich normal finden? Ein heikles Unterfangen in diesem Land. Und es nicht das einzige.

Weil schwul nicht schwul sein darf in der Ukraine und lesbisch nicht lesbisch, verteilt die GIZ, die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, im Rahmen ihrer Präventionskampagne gegen HIV und Aids Broschüren an Schulen. Darin geht es um Sex und Schutz. Das Heft arbeitet mit Fußballmetaphern, es heißt Fairplay. Homosexualität, Bisexualität kommen darin nicht vor, dürfen nicht vorkommen. "Wir sind in der Ukraine", sagt GIZ-Mann Martin Kade resigniert: "Kein Lehrer würde vor seinen Schülern ein solches Thema ansprechen." Tabus wirken auch ohne Gesetz.

Shenja, der Mutlose, Shenja, der Mutige erfährt das jeden Tag. Er hat nach seinem Jurastudium angefangen, bei der Gay Alliance zu arbeiten und sogenannte Outreach-Arbeit zu machen. Nachmittags und abends, wenn schwule Paare in der Innenstadt spazieren gehen, spricht er sie an - bei 30 Grad minus, bei zehn Grad plus, weil sie nicht wissen wohin, weil hier die wenigen Clubs für gleichgeschlechtliche Paare zu finden sind, weil man am Majdan oder am Kreschtschatik unter den Touristen weniger auffällt. Man kennt sich, man erkennt sich. Shenja klärt über Risiken auf, spricht über Ängste, darüber, wie man Freunden sagt: Ich liebe als Mann einen Mann. Oder als Frau eine Frau. Heimlich tut er das, ohne Aufsehen zu erregen, er verteilt Kondome so diskret wie ein Dealer seine Ware. "Ich fühle mich oft schlecht", sagt Shenja. "Aber wenn ich nichts täte, würde ich mich noch schlechter fühlen."

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