HIV-Infizierte:"Jetzt musst du dein Testament schreiben"

Panik nach der Diagnose und das Outing bei der Familie: Zwei Betroffene erzählen von der Zeit nach ihrer HIV-Diagnose - und darüber, wie Freunde und Kollegen damit umgehen.

Angelika Hild

Seit 1988 wird am 1. Dezember der Welt-Aids-Tag begangen, der auf die weltweite Verbreitung des HI-Virus hinweist. Einer der Themenschwerpunkte in diesem Jahr ist "HIV und Arbeit". HIV-positive Menschen müssen häufig noch mit Diskriminierungen kämpfen, besonders am Arbeitsplatz. Auf sueddeutsche.de erzählen der 46-jährige Patrick und die 54-jährige Doris, die beide anonym bleiben wollen, wie sie im Alltag mit dem Virus zurechtkommen. Zwei unterschiedliche Geschichten über das Coming-out nach einem Unfall und eine Yoga-Gruppe für neuen Lebensmut.

"HIV" Graffiti an Berliner Hauswand, 2004

"HIV"-Graffiti an Berliner Hauswand. Viele HIV-infizierte Menschen werden täglich mit Vorurteilen und Diskriminierungen konfrontiert.

(Foto: ddp)

Patrick, 46 Jahre alt

Seit vierzehn Jahren lebe ich nun mit HIV. Die Diagnose bekommen habe ich im Krankenhaus - ich hatte eine Hirnhautentzündung, das ist typisch für Menschen mit einer Immunschwäche. Deshalb habe ich schon geahnt, dass ich wohl mit HIV infiziert bin. Trotzdem war es ein Schock, als mir der Arzt die Nachricht überbracht hat. Damals waren die Medikamente noch nicht so gut wie heute, und mein erster Gedanke war: "Jetzt musst du dein Testament schreiben."

Langsam habe ich mich dann an den Gedanken gewöhnt - es ging ja auch nicht anders. Aber es war eine sehr harte Zeit für mich. Natürlich habe ich mich auch gefragt, warum ich mich nicht früher habe testen lassen. Mit meinem damaligen Freund war ich zu diesem Zeitpunkt seit sieben Jahren zusammen, und ich hatte Angst, dass ich ihn angesteckt habe. Er hat sofort einen Test gemacht, war aber zum Glück nicht infiziert.

Meinen Eltern und meinen Geschwistern habe ich gleich nach der Diagnose von meiner Infektion erzählt. Sie waren glücklicherweise sehr verständnisvoll und haben mich von Anfang an unterstützt, obwohl es für sie bestimmt keine leichte Zeit war. Sehr geholfen hat bei der ganzen Sache, dass relativ schnell klar war, dass ich mit der neuen Generation von Medikamenten doch noch lange leben kann. So ein großer Stein ist mir noch nie vom Herzen gefallen.

Wegen der Hirnhautentzündung war ich recht lange im Krankenhaus, aber nach der Reha habe ich gleich wieder angefangen, zu arbeiten. Ich denke, das war auch eine Art Therapie. Meinen Kollegen an meiner Arbeitsstelle, einer Gärtnerei, wollte ich aber nicht gleich von meiner HIV-Infektion erzählen. Ich habe einfach eine Zeitlang gebraucht, bis ich psychisch dazu in der Lage war.

Anfangs musste ich wegen meiner HIV-Infektion 23 Tabletten am Tag nehmen. In der Gärtnerei habe ich das mit den Folgeschäden der Hirnhautentzündung erklärt - wegen der bin ich tatsächlich gehandicapt. Ich habe Schwierigkeiten mit der Koordination einer Hand und kann mir Dinge nicht mehr so gut merken wie früher.

Trotz allem wusste ich aber immer, dass ich irgendwann mit der Wahrheit herausrücken will. Eines Tages, ein Jahr nach meiner Diagnose, wurde mir dann die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt für mein Coming-out als HIV-Positiver abgenommen: Ich hatte in der Gärtnerei einen Unfall und lief mit einer Platzwunde am Kopf in den Ladenraum, als mir eine Mitarbeiterin zu Hilfe eilen wollte. Ich habe sie abgewehrt - schließlich muss man ja nichts riskieren, auch wenn die Gefahr natürlich verschwindend gering ist, dass sie sich auf diese Weise ansteckt. Nach diesem Zwischenfall wusste ich aber: Jetzt muss es raus.

"Einige waren überfordert mit der Situation"

Eine Woche später habe ich dann im Betrieb von meiner Infektion erzählt. Was es mir leichter gemacht hat, war, dass an meiner Arbeitsstelle die Kollegen bereits vorher für das Thema sensibilisiert waren. Wir hatten nämlich einmal einen Mitarbeiter, der HIV-positiv war. Leider ist er auch an Aids gestorben.

Aids-Infektionen in Europa seit 2000 verdoppelt

Die Aids-Schleife ist heute das weltweite Symbol für den Kampf gegen die Immunschwächekrankheit. In Deutschland sind zwei Drittel der HIV-Positiven berufstätig.

(Foto: dpa)

Ich hatte mir schon vorher Gedanken gemacht, wie ich es anstellen soll, und bin zunächst zu meinen beiden Chefs gegangen. Beide waren zum Glück sehr verständnisvoll - sie hatten sich ja bereits einmal mit dem Thema HIV auseinandersetzen müssen. Sie haben es mir freigestellt, ob ich auch mit den anderen Mitarbeitern spreche. Aber ich war fest dazu entschlossen und fühlte mich stark genug und bereit dazu.

Am nächsten Tag bin ich dann mit Informationsmaterialien über HIV zur Arbeit gekommen und habe mit jedem meiner Kollegen gesprochen. Einige waren schon etwas überfordert mit der Situation, schließlich wusste nicht jeder genau über die Übertragungswege Bescheid und ein paar waren einfach unsicher, ob sie sich bei mir anstecken könnten - obwohl sie ja schon einmal mit dem Thema konfrontiert gewesen waren. Mit Hilfe der Aufklärungsmaterialien konnte ich aber die Ängste zerstreuen, und am Ende haben sich alle hinter mich gestellt.

Heute, dreizehn Jahre später, kann ich sagen, dass ich mit meinem Betrieb wirklich Glück hatte. Ich kann fast wieder arbeiten wie vorher, und durch die Medikamente sind die Viren in meinem Blut unter der Nachweisgrenze. Bei mir hat niemals jemand angezweifelt, dass ich es auch mit HIV schaffen werde, und meine Kollegen unterstützen mich, wo es geht, zum Beispiel, wenn ich mal während der Arbeitszeit zu einer Kontrolle zum Arzt muss.

Dass es auch schlechter laufen kann, sehe ich bei meinem derzeitigen Freund, der ebenfalls HIV-positiv ist: Er arbeitet in der Gastronomie und würde sich nie trauen, von seiner Infektion zu berichten. Gerade im Lebensmittelbereich sind die Vorurteile einfach noch größer. Deshalb würde niemandem generell raten, eine HIV-Infektion zu offenbaren. Es kommt sehr stark auf die Unterstützung durch die Vorgesetzten an - und auf das gesamte Unternehmensklima.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, wie Doris (54) nach ihrer Diagnose den Lebensmut wiederfand.

"Ich bin in ein tiefes Loch gefallen"

Gefahr Aids

Frauen sind in Deutschland nicht so häufig von HIV betroffen wie Männer. "Wenn mich jemand fragen würde, ob er von seiner HIV-Infektion an seiner Arbeitsstelle berichten soll, würde ich ihm raten, gut abzuwägen", sagt Doris, 54.

(Foto: dpa)

Doris, 54 Jahre alt

Als ich 2003 krank wurde, habe ich mir zunächst nichts gedacht. Das war so ein diffuses Krankheitsgefühl. Dann bin ich plötzlich zusammengebrochen. Meine Lymphknoten waren geschwollen und ich hatte Schmerzen in der Speiseröhre. Da wusste ich, dass es etwas Ernstes sein muss. Zunächst wurde ich noch ohne Befund auf Allergien hin untersucht, dann hat mir mein Hausarzt einen HIV-Test empfohlen. Ein paar Tage später wusste ich, dass ich positiv bin - und bin in ein tiefes Loch gefallen.

Das Erste, was mir nach der Diagnose durch den Kopf ging, waren Bilder sterbender Menschen. Ich hatte mich bis dahin mit den Themen HIV und Aids nur wenig befasst, und ich erinnerte mich an die Anfänge von Aids in Deutschland, als es noch keine wirksamen Medikamente gab. Die Fotos der Benetton-Kampagne mit den nackten Pos und dem Stempel "HIV positive" waren noch sehr präsent. Zum Glück wurde relativ schnell klar, dass auch HIV-Positive heutzutage lange leben können. Ich war sehr erleichtert.

Meinen engsten Freunden habe ich gleich von meiner Diagnose erzählt. Sie haben es zum Glück sehr gut aufgenommen und mir gesagt, dass sie mich immer unterstützen. Es tat gut, das zu hören. Aber ich würde auch mit niemandem zu tun haben wollen, der mich nicht so akzeptiert, wie ich eben bin.

Meine Geschwister wissen Bescheid, aber bei ihnen war das Outing eine schwierigere Sache. Mein Bruder hat zuerst gedacht, ich würde einen Witz machen, worauf ich nur antworten konnte, dass man darüber keine Späße macht. Trotzdem hat er es erst nach einer Woche wirklich realisiert. Meine Schwester dagegen war zu Beginn völlig aufgelöst, so dass ich sie erst eimal beruhigen musste. Sie hat viel Info-Material durchgearbeitet - das hat ihr die Angst genommen. Trotzdem fragen beide nach wie vor öfter und eindringlich bei mir nach, ob es mir wirklich gut geht. Aber das zeigt ja auch, dass sie sich kümmern.

Direkt nach meiner Diagnose habe ich dann begonnen, nach demjenigen zu suchen, bei dem ich mich angesteckt hatte. Sehr wichtig war für mich sicherzustellen, dass nicht noch weitere Personen angesteckt würden. Weder durch denjenigen, der mich infiziert hatte, noch durch mich selbst.

Mit den Partnern, mit denen ich in dem Zeitraum meiner noch unerkannten HIV-Infektion Sexualkontakt hatte, habe ich dann geredet und sie darum gebeten, sich ebenfalls testen zu lassen. Ich war sehr froh, zu erfahren, dass keiner von ihnen infiziert ist.

"Wir hätten beide an Kondome denken können"

Eines Tages hat derjenige, der mich angesteckt hat, dann zufällig wieder mal angerufen - er wusste auch noch nicht lange, dass er HIV-positiv ist. Vorwürfe aufgrund der Ansteckung wären überflüssig gewesen. Schließlich hätten wir ja beide an ein Kondom denken beziehungsweise auf dessen Benutzung bestehen können. Vorwürfe bekam er trotzdem zu hören: Von einem verantwortungsbewussten Menschen hätte ich erwartet, dass er vor der Weiterverbreitung von HIV warnt und mich über seine Infektion informiert. Heute treffen wir uns trotzdem noch ab und zu auf ein Bier und tauschen uns aus - nicht nur über das Virus.

An meiner Arbeitsstelle - ich bin Redakteurin - habe ich bislang nicht allgemein bekanntgegeben, dass ich HIV-positiv bin. Einige gute Kollegen wissen jedoch Bescheid. Ihnen habe ich von meiner Infektion erzählt, weil ich überlegt hatte, bei einer Plakataktion mitzumachen - ähnlich der aktuellen Kampagne zum Welt-Aids-Tag. Die Kampagne ist zwar ins Wasser gefallen - ermutigend war es dennoch, mit meinen Kollegen zu sprechen. Ihre Reaktionen waren nämlich durchwegs positiv. "Mutig, mit uns darüber zu reden", sagten die meisten.

Trotzdem finde ich, dass ich meine HIV-Infektion nicht jedem auf die Nase binden muss - von einer anderen chronischen Krankheit würde ich auch nichts erzählen - und in meiner Leistungsfähigkeit bin ich nicht eingeschränkt. Inzwischen nehme ich morgens drei Tabletten, so dass während der Arbeit keinerlei Hinweis auf meine Therapie besteht. Meinem Chef ist meine HIV-Infektion aktuell nicht bekannt, und wenn er davon erführe, müsste er sie - soweit meine Arbeitskraft nicht beeinträchtigt ist - als meine Privatsache akzeptieren.

Die Aids-Hilfe hat mir sehr geholfen, nach der HIV-Diagnose neuen Lebensmut zu finden - zum Beispiel durch die Yoga-Gruppe nur für HIV-Positive, an der ich besonders am Anfang regelmäßig teilgenommen habe. Es tut gut, mit Menschen reden zu können, ohne sich ständig erklären zu müssen, zu wissen, dass sie dich hundertprozentig verstehen, das ist eine große Erleichterung. Das kann ein Nichtinfizierter einfach nicht.

Wenn mich jemand fragen würde, ob er von seiner HIV-Infektion an seiner Arbeitsstelle berichten soll, würde ich ihm raten, gut abzuwägen. Es sind durchaus schon Leute deshalb entlassen worden. Das Risiko, den Job zu verlieren, kann sich nicht jeder leisten. Wer seine Infektion unbedingt für sich behalten will oder meint, das zu müssen, sollte sich aber auch fragen, ob er das wirklich durchhalten kann. Die Geheimhaltung kann zu einer großen Belastung werden. Ich für meinen Teil gehe wohl einen Mittelweg. Momentan fühle ich mich dabei ganz wohl.

Lesen Sie hier mehr über die rechtliche Situation von HIV-infizierten Arbeitnehmern in Deutschland.

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