Historie:Unter einem Dach

sarajevo - the unique city

Jugend in einem geteilten Land: Cafészene in Sarajevo, im Hintergrund ein Porträt des jugoslawischen Staatsgründers Tito.

(Foto: Armin Smailovic/Agentur Focus)

Vor zwanzig Jahren beendete der Frieden von Dayton den Bosnienkrieg. Doch der Hass lebt fort - ein Schulprojekt in Sarajevo will helfen, ihn zu überwinden.

Von Nadia Pantel

Im Obala-Gymnasium, im Zentrum von Sarajevo, läuft man in hellen Fluren über Fischgrätparkett, an den Wänden hängen selbstgemalte Poster gegen Mobbing und von der Schulparty. Vom Pausenhof aus schauen die Schüler auf den Fluss und auf die Kunstakademie gegenüber. Dass hier dennoch nicht alles in Ordnung ist, merkt man als Erstes an den Schülerzahlen: 800 wären normal, jetzt sind es 518.

Von April 1992 bis Oktober 1995 wurde Sarajevo von der Armee der bosnischen Serben belagert und beschossen. Der junge Staat Bosnien-Herzegowina zerfiel zwischen Kroaten, Muslimen und den Serben, die ihrerseits vom Staat Serbien unterstützt wurden. In diesen Jahren des Bürgerkrieges wurden hier nicht nur Tausende Menschen umgebracht, es wurden auch viel weniger Kinder geboren. Zwanzig Jahre später machen die "schwachen Jahrgänge" nun Abitur: die Kriegskinder, als Flüchtlinge in Deutschland, Österreich oder Spanien geboren oder in der zerbombten Stadt. Mit ihrer Volljährigkeit ist auch der Frieden erwachsen geworden. Seine Eltern sind nicht sonderlich stolz auf ihn. Und seinen Altersgenossen scheint er wenig zu bedeuten.

"Dieser Nationalismus der Jungen ist laut, aber er ist nicht nachhaltig."

Am 1. November 1995 begannen im US- Luftwaffenstützpunkt Dayton der serbische Präsident Slobodan Milošević, der kroatische Präsident Franjo Tuđman und der bosnisch-herzegowinische Präsident Alija Izetbegović über das Ende des Krieges zu verhandeln. Nach dem Massaker von Srebrenica, bei dem serbische Milizen mehr als 8000 Muslime ermordeten, hatte die Nato Bomber geschickt und Kroaten und muslimische Bosnier unterstützt. Die Serben, bis dahin militärisch überlegen, verloren erhebliche Gebiete und lenkten ein. Am 14. Dezember unterzeichneten die Konfliktparteien das Abkommen von Dayton, das den Bosnienkrieg beendete.

Aber was ist das für ein Frieden? Ja, es wird nicht mehr geschossen, aber, nein, von Versöhnung reden nur wenige. Das liegt auch daran, dass Dayton die offenen Wunden des Kriegsendes fixiert hat. Wo früher Menschen zusammenlebten, ohne sich zu fragen, wer seinen Gott wie nennt, wurden im Krieg Tausende umgebracht und vertrieben. Serbische Nationalisten gingen mit besonderer Grausamkeit vor, um ein "ethnisch reines" Großserbien zu schaffen. Später begannen auch Muslime und Kroaten, ehemalige Nachbarn zu vertreiben. Bosnien-Herzegowina ist ein geteiltes Land. Kroaten und Bosniaken leben in der Föderation, Serben in der Republika Srpska, deren Präsident Milorad Dodik droht unermüdlich mit der Abspaltung seines Landesteils.

Es ist schwierig, unter diesen Bedingungen Optimisten zu finden. Doch Benjamin Hedzic, der Schulleiter des Obala-Gymnasiums, ist einer. "Der Hass zwischen den jungen Menschen ist stärker als bei denen, die tatsächlich den Krieg erlebt haben", sagt er zwar. Trotzdem will er nicht mitmachen beim Schimpfen über Dayton. Im Sommer hat er seine muslimischen Schüler in ein Ferienlager geschickt; gemeinsam mit Serben und Kroaten. Es gab keine ernsthaften Konflikte, nur positive Überraschungen: "Dieser Nationalismus der Jungen ist laut, aber nicht nachhaltig. Sie sind sehr leicht davon zu überzeugen, dass sie kein Problem mit Serben haben müssen, wenn sie erst mal einen getroffen haben."

Hedzics Aufgabe ist es, der neuen Generation den Krieg aus dem Kopf zu bürsten. Diplomaten können Frieden beschließen, Lehrer müssen ihn vermitteln. Hedzic blättert eine Schülerakte auf. Handschriftlich sind Linie pro Linie die Schulfächer eingetragen: Sport, Mathematik, Kunst. Eine Linie, ein Wort. Doch da, wo in einem Münchner Stundenplan "Deutsch" stehen würde, steht in Sarajevo "Bosnisch, Kroatisch, Serbisch". Die Muttersprache ist für die Schüler Sarajevos dreigeteilt, denn das ethnische Bekenntnis beginnt bei der Sprache. Bosnisch und Kroatisch unterscheiden sich voneinander ungefähr so sehr wie Schwäbisch von Hessisch. Daher werden die Sprachen an Hedzics Schule zu einer zusammengefasst. Doch das ist die Ausnahme. "Zwei Schulen unter einem Dach" heißt ein verbreitetes Konzept, bei dem Kinder zweier Gruppen gemeinsam lernen. Doch was nach fröhlichem Miteinander klingt, ist harte Segregation. Durch die Pausenhöfe ist ein Zaun gezogen, die Kroaten auf der einen Seite, die Bosniaken auf der anderen - so wie die Parteien getrennt sind in kroatische, serbische oder bosniakische, unabhängig von ihren Anliegen. In Mostar zerstritten sich kroatische und bosniakische Politiker sogar über die Organisation der Müllabfuhr. Jetzt klettern Ratten durch die Toilette ins Badezimmer.

Daheim essen sie aus Respekt vor den Eltern nur bosnische Chips - in der Schule serbische

Den Ratten darf es egal sein, ob sie in muslimischen oder katholischen Häusern leben. Den Menschen nicht. Dabei haben sehr viele Bürger einfach keine Lust auf den Identitätszirkus. "Auf so einem Pausenhof wüsste ich gar nicht, wo ich mich hinstellen soll", sagt Emina Dzindo. Die 17-Jährige macht an Hedzics Schule Abitur. In ihrer Familie "gehen die Religionen wild durcheinander", sagt sie. Bis Ende der 80er- Jahre wäre sie einfach Jugoslawin gewesen. Bevor sie im Sommer auf das Camp mit den anderen Jugendlichen aus Serbien und Kroatien gefahren ist, war Dzindo skeptisch, sagt sie. Belgrad, Hauptstadt Serbiens, das war für sie und ihre Mitschüler gefühlt weiter entfernt als Berlin oder Wien. Als sie an der kroatischen Küste ankamen, waren die anderen Jugendlichen schon da. Alle warteten gemeinsam, dass es losgeht. Doch die Campleiter verzichteten auf eine Vorstellungsrunde und überließen das Kennenlernen den Jugendlichen. "Das war der beste Moment", sagt Dzindo, "als wir nicht wussten, wer woher kommt."

Im staatlichen Lehrplan sind solche Projekte nicht vorgesehen. Ebenso wenig wie ein ausführlicher Geschichtsunterricht. Der Bosnienkrieg ist noch zu frisch für Schulbücher. Er ist allgegenwärtig in den zerschossenen Hauswänden, auf den Fotos von Verstorbenen, die in jeder Wohnung stehen, und in der nationalistischen Hetze im Fernsehen. Und so hat Benjamin Hedzic den Geschichtsunterricht der Schüler in die Projektwoche ausgelagert und die Schüler und ihre Eltern gemeinsam zum Diskutieren eingeladen. Es ging nicht nur um die Toten und das Grauen, es ging um Alltägliches. Zu Hause, erzählten einige muslimische Jugendliche, essen sie aus Respekt vor den Eltern nur bosnische Chips. In der Schulpause kaufen sie serbische, weil sie besser schmecken. Die Versöhnung beginnt im Banalen.

Wenn Besucher ihn fragen, warum er glaube, dass seine Schule und ihre Schüler Vorreiter seien, dann erzählt Schulleiter Hedzic eine Geschichte: 1425 Tage lang wurde seine Heimatstadt von Serben belagert. Doch seit dem Vertrag von Dayton fiel kein Schuss mehr, niemand warf eine Bombe, niemand stieß seinen Nachbarn vom Balkon: "Diejenigen, welche die Belagerung erlebten, wollen keine Rache. Sie wollen nur, dass das nie wieder passiert."

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