Historie:Saladins Schrecken

Der islamistische Terror weckt Erinnerungen an die Geheimsekte der Assassinen. Ihre Selbstmordattentäter griffen einst Muslime wie Christen an.

Von Joachim Käppner

Am 28. April 1192 ging Konrad von Montferrat, christlicher König von Jerusalem, nur von zwei Rittern begleitet durch die Gassen der Festungsstadt Tyros. Er hatte den Bischof von Beauvais zum Abendessen aufgesucht, weil die königliche Küche beklagenswert leergeräumt war. In den Gassen begegnete Konrad, wie es heißt, zwei Mönchen, die auf ihn zu warten schienen. Der arabische Chronist El Imad berichtet: "Nachdem er reichlich gegessen und getrunken hatte, verabschiedete er sich in bester Stimmung von seinem Gastgeber und wollte eben zu Pferde steigen, als zwei Männer ihn mit Messerstichen anfielen." Konrad starb bald; die Attentäter wurden einem Bericht zufolge überwältigt und unter der Folter befragt: "Da rühmten sie sich beide, Gott als Waffe gedient zu haben und der Sekte der Assassinen anzugehören."

Mord als Gottes Waffe, islamische Täter, den eigenen Tod nicht scheuend, als Mönche verkleidet - die Nachricht jagte einen neuen Schauer durch die christliche Welt des Nahen Ostens. Wenn nicht einmal der König von Jerusalem sicher war vor dem langen Arm der Assassinen, wie groß musste deren Macht sein?

Ihr Name geistert wie ein böser Spuk durch die Jahrhunderte, als Sinnbild für Terror und Schrecken. 1332 warnte ein Kleriker "vor den Assassinen, die verflucht und gemieden seien. Sie dürsten nach Menschenblut, wie der Teufel verwandeln sie sich in Engel des Lichts, indem sie Gebärde, Kleidung, Sprache und Sitte vieler Völker annehmen. Als Wölfe im Schafspelz nehmen sie den Tod auf sich, sobald sie erkannt werden." 1818 beschrieb der Orientalist Joseph von Hammer sie "als Orden von Meuchelmördern". Heutige Gamer verbringen Nächte vor dem Computerspiel "Assassin's Creed", deren Held sich durch diverse Zeitalter kämpft und von den Assassinen ausgebildet wurde.

Der Terror von Paris, Beirut und Tunis weckt freilich ganz andere Erinnerungen an jene seltsame islamische Sekte, deren Name in vielen Sprachen für "Mörder" steht, assassin im Englischen und Französischen. In der Tat gibt es erstaunliche Parallelen, obwohl der "Islamische Staat" (IS), auf den die Terroristen der Gegenwart sich berufen, sunnitisch ist und die Assassinen eine Sekte schiitischer Herkunft waren. Ihre Killer nahmen den eigenen Tod ebenso in Kauf wie die Mörder von Paris. Schutz vor solchen Attentätern ist so schwierig wie in Konrads Zeiten. Und damals wie heute waren die Täter junge Männer, fanatisiert und manipuliert durch eine Sekte, die ihnen ewigen Ruhm und alle Freuden des Paradieses versprachen. Die Assassinen strebten einen Gottesstaat und ein Ende der bestehenden Ordnung an. Sie waren, schrieb Bernhard Lewis 1967 in seinem Standardwerk "Die Assassinen" (dem hier einige Quellenzitate entnommen sind), "in einer Beziehung ohne historisches Beispiel: im geplanten, systematischen und langfristigen Einsatz des Terrors als politische Waffe". Und sie forderten, auch hier dem IS gleich, Mächte heraus, die militärisch viel stärker waren.

Historie: Fantastische Darstellung einer Assassinen-Festung im PC-Spiel "Assassin's Creed" (oben): Der Mythos der islamistischen Mordsekte des Mittelalters lebt fort.

Fantastische Darstellung einer Assassinen-Festung im PC-Spiel "Assassin's Creed" (oben): Der Mythos der islamistischen Mordsekte des Mittelalters lebt fort.

(Foto: Artwork aus Assassin's Creed/c (copyright) Ubisoft)

In einem Gedicht rühmten sie sich ihrer Überlegenheit: "Brüder, wenn die Stunde des Triumphes kommt und das Glück dieser und der nächsten Welt uns begleitet, kann ein einzelner Krieger zu Fuß einen König in Angst und Schrecken versetzen, mag dieser auch über 100 000 Berittene verfügen."

Der venezianische Weltreisende Marco Polo berichtete 1299, allerdings vom Hörensagen: "Wenn der Alte Männer aussenden wollte, um jemanden zu töten, so gab er den Befehl, ihnen einen bestimmten Trank zu geben. Und schliefen sie, ließ er sie auf seine Burg bringen. Dort erwachten sie in seinem Palast." Man führte die Todeskandidaten sodann in herrliche Gärten, wo Milch und Wein flossen. "Und es waren dort", so Marco Polo, "Damen und Mätressen, die schönsten auf der Welt, sie spielten Instrumente, sangen und tanzten herrlicher als andere Frauen, und die jungen Männer hatten ihr Vergnügen mit ihnen. Sie dachten, bereits im Paradies zu sein."

Doch es gab ein unfrohes Erwachen auf harten Pritschen in der Burg. Der Alte aber versprach: Töteten sie, wen er nannte, und starben dabei, würden sie direkt zurückkehren in jene Gärten der Genüsse: "So entging niemand seinem Tod, wenn der Alte dies für ihn bestimmt hatte."

Die Burg, die Gärten, den Alten: Es hat sie wirklich gegeben, so ausgeschmückt solche Berichte waren. Die Ruinen der Festung Alamut erheben sich steil auf einem Felsen in den wilden Bergen des westlichen Iran, eine gewaltige, unheimlich anmutende Burg. Sie war der Herrschaftsmittelpunkt der Assassinen, das Zentrum ihrer Macht. Aber sie waren mehr als eine Geheimsekte. Im 11. Jahrhundert aus den Ismaeliten hervorgegangen, einer Abspaltung der Schiiten, mochten sie geistig in einer Wahnwelt leben, aber ihre Macht war sehr real und erstreckte sich auf ein beachtliches Gebiet, das Teile Irans und Syriens umfasste. Und ihre Interessen waren vielschichtiger und weltlicher, als ihre entsetzten Opfer vermuteten.

Bei allen Unterschieden weist auch der Aufstieg der Mordsekte Gemeinsamkeiten mit dem Kalifatstaat des IS auf. Beide entstanden, als eine alte Ordnung zerbrach. In einer aus den Fugen geratenen Welt haben es fundamentalistische Heilslehren leicht. Im Irak stürzte die unselige US-Invasion 2003 zwar ein brutales Regime, weckte aber noch üblere Geister, bis das Land in Chaos und Gewalt versank. Der IS ist auch ein Produkt dieses Krieges. Ein Jahrtausend zuvor war ebenfalls eine Welt auseinandergefallen. Bis Mitte des elften Jahrhunderts hatten sich, grob entlang der heutigen Grenze zwischen der Türkei und Syrien, zwei Großreiche gegenübergestanden. Sie führten zahllose Kriege und betrachteten sich doch nicht ohne Respekt: das griechisch-christliche Byzanz und die arabischen Reiche rund um das legendäre Kalifat von Bagdad. "Zwei Sterne in der Nacht" seien die beiden Hochkulturen, schrieb ein islamischer Gelehrter.

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Sie glaubten, schon im Garten des Paradieses zu sein: "Der Alte vom Berge" flößt einem Mordtrupp auf seiner Burg Drogen ein. Darstellung des 15. Jahrhunderts.

(Foto: bridgemanart.com)

Doch diese Sterne verblassten. Türkische Reitervölker, vor allem die Seldschuken, eroberten Kleinasien, das Herzland von Byzanz, Bagdad und weite Strecken des Nahen Ostens. Dann fielen auch noch die Kreuzritter aus dem Westen im Heiligen Land ein, verbreiteten Mord und Schrecken und nahmen 1099 Jerusalem. Die Welt brannte, das Feuer nährte den Hass. Aus diesem Hass erwuchsen die Assassinen.

Zunächst traten sie im iranischen Bergland von Quhistan als Befreier von den Seldschuken auf. Die schickten ihre gefürchteten Reiter, um den Aufstand auszulöschen. Doch der erste große Anführer der Assassinen, Hasan-i-Sabah, lockte die Schar 1092 in den Schluchten bei Alamut in einen Hinterhalt. Militärisch war er den Türken auf Dauer dennoch nicht gewachsen; und so entwarf er eine andere Methode, im Namen der reinen Lehre: das Selbstmordattentat.

Erstes Opfer war Seldschuken-Wesir Nizam al-Mulk. Den Mördern gab Hassan mit auf den Weg: "Die Tötung dieses Teufels ist der Beginn der Seligkeit." Was dann geschah, berichtet eine ismailitische Quelle: "Ein Mann namens Bu Tahir Arrani näherte sich als Sufi verkleidet der Sänfte Nizam al Mulks, der vom Audienzsaal zum Zelt seiner Frauen getragen wurde, und erstach ihn mit einem Messer. Noch während er zustach, erlitt er das Martyrium."

Die meisten Opfer waren Moslems, so wie heute im Fall des IS auch. Organisiert als Geheimgesellschaft, schickten die Assassinen ihre Mörder zuerst gegen die sunnitischen Feinde wie die Seldschuken aus; und es ist eine böse Ironie der Geschichte, dass der sunnitische IS heute den Schiiten nur Tod oder Konversion anbietet.

Ein Kadi in Isfahan, bekannt als erbitterter Feind der Assassinen, trug aus Vorsicht stets einen Harnisch und ließ sich von Wachen begleiten. Vergeblich: Er starb beim Freitagsgebet in der Moschee; der Betende neben ihm war verkleideter Assassine. Dort, wo die Assassinen größere Gebiete einnahmen, errichteten sie bald ein religiöses Terrorregime, sogar in der Großstadt Isfahan. Ein Volksaufstand fegte sie hinaus.

Oft war die Angst noch wirksamer als der Terror selbst. Der Korangelehrte Fachr al-Din wurde von einem Assassinen attackiert, der ähnlich wie die Attentäter von Paris religiöse Parolen rief: "Ich möchte euch den Bauch aufschlitzen, weil ihr uns vom Katheder aus verhöhnt habt!" Der Gelehrte, heißt es, habe sich freigekauft, fortan aber niemals mehr ein böses Wort über die Sekte verloren. Und viele Herrscher zahlten hohe Schutzgelder nach Alamut, um die Messerstecher fernzuhalten.

Drohung der Assassinen an Sultan Saladin, 1177

"Andere vor Dir haben ähnliche Dinge gesagt, und wir haben sie vernichtet. Niemand konnte ihnen helfen."

Deren Verbrechen erregten hilflosen Hass. Islamische Theologen predigten: "Es ist die Pflicht von Sultanen und Königen, sie zu ergreifen und zu töten, um die Erdoberfläche von diesem Schmutz zu reinigen." Es sei verdienstvoller, einen Assassinen zu töten "als 70 Ungläubige".

Im 12. Jahrhundert war Ägypten die stärkste arabisch-muslimische Macht. Obwohl von den Kreuzrittern bedrängt, fürchteten die Herrscher in Kairo die Assassinen so sehr, dass sie ein drakonisches Regiment der inneren Sicherheit errichteten: "Al-Mamun befahl, alle der örtlichen Bevölkerung Unbekannten zu entfernen. Wer als ungewöhnlich auffalle, sei an der Stadtgrenze festzunehmen und zu verhören. Genauso sei mit den Kameltreibern zu verfahren." Al-Mamum ließ alle Einwohner Kairos registrieren und setzte sogar weibliche Spione ein, "um in jedem Haus Erkundigungen einzuziehen".

Die islamischen Gesellschaften, an sich eher tolerant, verhärteten sich unter der Bedrohung, nicht unähnlich den Demokratien des Westens heute. Zu Erzfeinden des Islam erklärt, wurden sie bei der Terrorbekämpfung dem Feind ein Stück weit ähnlicher. Der Seldschukenführer Abbas ließ ein entsetzliches Massaker unter Ismailiten anrichten und Pyramiden aus den Schädeln der Erschlagenen errichten. Aber die Macht von Alamut brach er nicht.

Sie ging so weit, dass ihr neues Oberhaupt Hassan II. sich als Nachkommen des Propheten bezeichnete und das Kommen des letzten Tages verkündete. Und sie griff nach Syrien über, das von Kriegen und Kreuzrittern geplagt wurde. Erlösungsversprechen stießen hier auf offene Ohren. Nach dem Vorbild von Alamut errichteten die Assassinen eine gewaltige Burg, Masyaf, die es noch gibt. Hier herrschte ihr charismatischer Anführer Raschid al-Din, genannt "Der Alte vom Berge" - ein von Furcht umwehter Titel, den die Nachwelt auf alle Assassinenherrscher übertrug. Auch Raschid al-Din verband messianischen Fanatismus mit kalter Machtpolitik. Für die Christen war er ein Schreckgespenst, dabei wurden sie selten zum Ziel, meist nur im Fall konkreter Interessenkollisionen. Raschids Umtriebe trafen vor allem muslimische Feinde der Kreuzfahrer. Und der bedeutendste dieser Feinde war Sultan Saladin, Herrscher Ägyptens.

Ausgerechnet Saladin, der größte Heerführer des Islam, der so viele Muslime unter seinem Banner einte, um die Kreuzritter zu vertreiben, der später in "Nathan der Weise" als Inbegriff von Weisheit und Toleranz verewigt wurde. Die Assassinen von Masyaf neideten ihm Macht und Nimbus, 1175 schlichen sich die Mörder in sein Feldlager. Sie töteten einen Emir, der sie entdeckt hatte, wurden dann aber von den Säbeln der Wachen in Stücke gehackt.

Raschid al-Din, Meister des Terrors, aber hatte genug todeswillige Jünger. Sie hüllten sich 1176 in die Kluft von Saladins Armee und attackierten ihn, während er seine Soldaten gegen eine Festung führte. Der Panzer, den er vorsichtshalber unter den Gewändern trug, rettete ihn. Von da an soll er niemanden an sich herangelassen haben, den er nicht kannte.

Historie: Burg Alamut (Iran), Aufnahme aus jüngerer Zeit: Noch die Ruine der Bergfestung vermittelt einen Eindruck von Macht und Schrecken des Assassinen-Sitzes.

Burg Alamut (Iran), Aufnahme aus jüngerer Zeit: Noch die Ruine der Bergfestung vermittelt einen Eindruck von Macht und Schrecken des Assassinen-Sitzes.

(Foto: Mapwalk 2013)

Der Sultan war nicht der Mann, der sich derlei bieten ließ. Er belagerte Masyaf, freilich vergeblich, weil ihm die Kreuzritter in den Rücken fielen. Saladin drohte, er werde zurückkommen und die Sekte auslöschen. Der "Alte vom Berge" aber soll ihm geschrieben haben: "Bei Gott, es ist erstaunlich zu sehen, wie eine Fliege im Ohr des Elefanten schwirrt. Andere vor Dir haben ähnliche Dinge gesagt, und wir haben sie vernichtet. Niemand konnte ihnen helfen." Erst um 1270 vernichtete einer von Saladins Nachfolgern, der Kriegsherr Baibars, die Herrschaft von Masyaf.

Warum die Assassinen 1192 König Konrad in Tyros erstachen, ist ungeklärt. Der Mord geschah während des Dritten Kreuzzuges, Saladin hatte Jerusalem genommen und die Christen an die Küste zurückgedrängt. Deshalb hielt sich Konrad dort in der Festung Tyros auf. Mit dem berühmtesten Führer der Kreuzfahrer, dem Engländer Richard Löwenherz, war er aber verfeindet. Lewis hält es für die wahrscheinlichste Theorie, dass die Assassinen mit Löwenherz im Bunde waren. Der hatte zwar Tausende Muslime massakrieren lassen, war aber Saladins wie Konrads Feind.

Über Fanatiker verfügten ja auch die Christen reichlich. Der gefürchtete Ritterorden der Templer zwang die Assassinen zeitweilig sogar, Schutzgeld zu zahlen. Die Templer waren nicht minder vom Heiligen Krieg berauscht wie die radikalen Ismailiten. Der Tod eines Königs löste in der feudalen Welt eine Katastrophe aus und dynastische Nachfolgekämpfe. Wurde aber der kinderlose Großmeister eines ritterlichen Mönchsordens ermordet, berichtet eine Chronik, "so tritt umgehend ein gleich Befähigter an seine Stelle".

Der "letzte Tag", den Hassan II. beschworen hatte, war da schon nahe, auch für die Assassinen. Mitte des 13. Jahrhunderts zerstörte der Mongolensturm aus Innerasien einer schwarzen Wolke gleich Reiche und Städte von Russland bis Bagdad. 1256 erreichte das gewaltige mongolische Heer Alamut, das ihr Khan nicht im Rücken wissen wollte. Er befahl: "Schont niemand, der dort lebt, nicht einmal die Kinder in der Krippe." Drei Jahre hielten die Gotteskrieger stand, berichtet Marco Polo, "und die Belagerer konnten Alamut nicht nehmen. Sie hätten es niemals gekonnt, wenn die Belagerten genug Nahrungsmittel besessen hätten. Erst als diese zu Ende waren, nahmen die Mongolen die Burg ein, und sie töteten alle. Seit damals hat es niemals mehr einen alten Mann auf dem Berge gegeben und auch keinen Assassinen."

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