Römisch-deutscher Herrscher:Karl IV. - der frühe Europäer

Römisch-deutscher Herrscher: Herrscherliches Idealbild aus dem 14. Jahrhundert: Das Mosaikfragment aus San Marco in Venedig soll Karl IV. während seiner Italienreise 1368/69 inspiriert haben.

Herrscherliches Idealbild aus dem 14. Jahrhundert: Das Mosaikfragment aus San Marco in Venedig soll Karl IV. während seiner Italienreise 1368/69 inspiriert haben.

(Foto: Museo di San Marco)

Der römisch-deutsche Kaiser Karl IV. war ein großer Herrscher - heute ist er fast vergessen. Über einen gebildeten Fürsten, der lieber auf List und Bildung setzte als auf Krieg.

Von Kay Lutze, Prag

Wer Prag besucht, der trifft an vielen Stellen auf Relikte aus der Zeit Karl IV., des böhmischen und Römisch-deutschen Königs und Kaisers, der am 14. Mai 1316 in Prag geboren wurde. Während viele Tschechen ihn in guter Erinnerung halten, gar als "Vater" ihres Landes verehren, wird er den meisten Deutschen höchstens noch im Zusammenhang mit der "Goldenen Bulle", der Königswahl-Ordnung, ein Begriff sein. Zu seinem 700. Geburtstag findet in Nürnberg die erste tschechisch-bayerische Landesausstellung zum Gedenken an Karl IV. statt (Dauer bis 5. März 2017).

Lange wurde er in der deutschen Geschichtsschreibung negativ betrachtet, da er mit der Verpfändung von Reichsgut seine böhmische Hausmacht zu stärken versuchte und somit die Zentralgewalt weiter schwächte, die seit dem Ende der Stauferkönige im 13. Jahrhundert ohnehin im Niedergang war. So schrieb der Historiker Karl Lamprecht Anfang des 20. Jahrhunderts: "Karl hatte nichts mehr von den aristokratisch-heldenhaften Zügen, die bisher noch alle deutschen Herrscher ausgezeichnet hatten. Er war ein vollendeter Kaufmann auf dem Throne. Mittelgroß, fein gebaut, kränklich, früh schon von gebückter Haltung und kahlem Vorderhaupt, fast stets einfach, gleichsam geschäftsmäßig gekleidet, feilschte und bestach er lieber, als daß er zum Schwerte griff."

Heute gehören nationalistische Interpretationen der Vergangenheit an. Die Ausstellung, die schon in Prag zu sehen war, betont das Verbindende zwischen Tschechen und Deutschen und erinnert daran: Karl IV. war ein bedeutender europäischer Herrscher.

Ein Netz aus Macht

Und auch in der tschechischen Hauptstadt, wo er residierte, erinnert viel an ihn. Mit einem Spaziergang durch das Goldene Prag gehen wir dem Leben Karls IV. nach. Unser Rundgang startet auf dem Hradschin, der Burg hoch über der Moldau. Dort erhebt sich der St. Veitsdom, zu dem die mit vielen Halbedelsteinen geschmückte Wenzels-Kapelle gehört.

Von hier führt eine Treppe hoch zur Kammer mit den Krönungskleinodien Böhmens. Das wertvollste Stück ist die böhmische Königskrone von 1346 mit ihren Saphiren, Smaragden, Spinellen, Rubinen und Perlen.

Karl hat viele Kronen getragen. Seit 1340 führte Karl für seinen erblindeten Vater Johann von Luxemburg die Regierungsgeschäfte in Böhmen. Nach dessen Tod auf französischer Seite in der Schlacht von Crécy gegen die Engländer folgte er ihm 1346 auf dem böhmischen Thron nach. Bereits im selben Jahr war er in Konkurrenz zum Wittelsbacher Ludwig dem Bayern in Bonn zum Römischen König gekrönt worden. Erst nach dessen Tod 1347 war der Weg frei, die eigene Macht zu festigen und auszudehnen. Karls Familie stammte ursprünglich aus Luxemburg und hielt enge Kontakte zum französischen Königshof.

Karl IV. verstand es meisterlich, durch Diplomatie und Heiratspolitik seine Macht zu vergrößern. Seine zweite Ehe mit Anna von Wittelsbach stand unter dem machtpolitischen Kalkül, die Partei eines Gegenkönigs, Günther von Schwarzburg, zu schwächen. Durch diese Heirat gelangten große Gebiete westlich des Böhmerwaldes in Karls Besitz und gehörten zeitweise als "Neuböhmen" zum Königreich Böhmen. Auch seine beiden weiteren Heiraten vermehrten die Macht und Territorien der Luxemburger Dynastie.

Geschickt konnte Karl IV. auch seine Söhne und Töchter gut vermählen. Sein Sohn Sigismund wurde später König von Ungarn. Karl war der letzte deutsche Herrscher, der sich auch zum König des Arélat, also Burgunds, krönen ließ. In seinem Sterbejahr 1378 übergab er die Statthalterschaft der Region an den französischen Kronprinzen, womit dieses reichszugehörige Territorium immer stärker unter den Einfluss Frankreichs geriet.

Der größte Triumph Karls sollte seine Krönung zum Kaiser am Ostertag 1355 in Rom werden. Im gleichen Jahr war er zum König von Italien gekrönt worden. Das machtpolitische Netz des Königs und Kaisers und seiner Luxemburgischen Dynastie zog sich quer durch Europa. Zum Besitz zählten neben Luxemburg und Brabant, Böhmen, Brandenburg, Schlesien und die Lausitz. Den Nachfolgern Karls gelang es jedoch nicht, diese enorme Hausmacht der Familie zu erhalten. Erben in den östlichen Territorien wurden die Hohenzollern und vor allem das Haus Habsburg.

Die "Goldene Bulle"

Kombi Siegel der Goldenen Bulle

Siegel der "Goldenen Bulle" Kaiser Karls IV. von 1356.

(Foto: Staatliche Archive Bayern)

Die "Goldene Bulle" wurde 1356, ein Jahr nach seiner Krönung zum Kaiser, in zwei Teilen auf den Reichstagen in Nürnberg (Januar) und Metz (Dezember) erlassen. Sie lässt sich quasi als Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bezeichnen. Die Wahlmodalitäten des Römisch-deutschen Königs und die Zusammensetzung des Kurfürstenkollegiums blieben bis zum Ende des Imperiums im Jahre 1806 gültig.

Der Kreis der Kurfürsten, die wählen durften, war von nun an verbindlich festgelegt. Neben dem König von Böhmen gehörten zum erlesenen Kolleg auch die drei geistlichen Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier sowie ihre weltlichen Kollegen aus Brandenburg, Sachsen und Pfalz bei Rhein. Auch die sogenannten Erzämter, die königlichen Hofämter, wurden genau aufgeteilt. So steht in der Bulle über die Rechte des Pfälzischen Kurfürsten: "Sooft das heilige Reich ledig ist, muß der erlauchte Pfalzgraf bei Rhein, des heiligen Reiches Erztruchseß, in Stellvertretung des künftigen Römischen Königs in den rheinischen und schwäbischen Gebieten und in denen mit fränkischem Recht der Reichsvikar sein, kraft seines Fürstentums und des Privilegs der Pfalzgrafschaft".

Der Kreis der Elektoren blieb lange unverändert. Erst 1623 wechselte die pfälzische Kur nach Bayern an Herzog Maximilian I., als Dank für die Unterstützung der katholischen Sache im Dreißigjährigen Krieg.

Als der Teufel den jungen Karl in Versuchung brachte

Kulturelle Blütezeit

Vom Sockel seines Denkmals am Altstädter Brückenturm blickt der Kaiser auf seine Brücke, die Karlsbrücke, die er 1357 neu erbauen ließ. Mit den Bauarbeiten beauftragte Karl den erst siebenundzwanzigjährigen Architekten Peter Parler.

Auch die Skulpturen am Brückenturm, die Karl IV. selbst und dessen Sohn Wenzel zeigen, stammen aus der Werkstatt Parlers und gelten als Meisterleistung der böhmischen Bildhauerkunst des 14. Jahrhunderts. Weitere Höhepunkte der Parler-Schule finden sich in der St. Veit Kathedrale auf dem Hradschin. In Karls Reich blühten Kunst und Kultur. In der Altstadt Prags liegt das Carolinum mit seinem prachtvollen gotischen Erker. Hier hatte die von Karl 1348 gegründete Universität ihren ersten Sitz, die älteste Mitteleuropas und zugleich die erste deutschsprachige.

Karl war, anders als viele Herrscher vor ihm, ein hochgebildeter Mann. Dazu haben sicher auch die Jugendjahre am französischen Königshof beigetragen. Dort wurde Karl von Pierre von Fécamp unterrichtet, dem späteren Papst Clemens VI. Der Kaiser sprach neben Deutsch auch Französisch, Italienisch und Tschechisch.

In der Kanzleisprache Latein hatte er gute Kenntnisse, und er war der einzige deutsche König, der eine Art Autobiografie verfasste, die "Vita Karoli quarti", die sein Leben bis zur Königswahl beschreibt.

So berichtet er über Anfechtungen der jungen Jahre: "Als wir uns in Lucca aufhielten, stiftete der Teufel, der ständig sucht, wen er verschlingen könne, und den Menschen Süßes anbietet, worin sich Galle birgt, verderbte Leute aus der Umgebung meines Vaters an, uns vom rechten Weg abzubringen und in Elend und Begierde zu verstricken. Aus eigener Kraft hatte er es nicht geschafft, obwohl wir schon lange von ihm versucht worden waren. Aber durch die Hilfe der göttlichen Gnade waren wir ihm nicht unterlegen" (das Buch ist gerade in einer vorzüglichen Ausgabe neu herausgekommen, übersetzt und kommentiert von Eugen Hillenbrand, alcorde Verlag 2016).

Karls Universität existiert bis auf den heutigen Tag. In den Zeiten von Nationalitätenkonflikten wurde sie im 19. Jahrhundert in einen tschechischen und deutschen Teil geteilt, der letztere bestand bis 1945 .

Karl IV. und die Juden

Nicht weit vom Altstädter Markt liegt die Altneusynagoge. Sie wurde um 1270 erbaut und ist eines der ältesten erhaltenen gotischen Bauwerke Prags. In die Regierungszeit Karls fallen auch die fürchterlichen Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung Europas in den Pestjahren ab 1349. Zwar sagte der Historiker Georg Caro: "Daß Karl IV. den Juden besonders abgeneigt gewesen wäre, darf nicht angenommen werden."

Karl war eigentlich sogar der wichtigste Garant für die Sicherheit der Juden. Dieser Aufgabe aber kam er de facto nicht nach; seine Macht gegenüber Fürsten und Städten reichte nicht aus, um die Juden vor Entrechtung, Vertreibung und Ermordung zu retten.

Auf Reichsebene endete es oft in einem Schachern zwischen ihm, den Landesherren und Stadtregierungen um das "Erbe" der ermordeten Juden - mancherorts sogar vor den Pogromen. Als Landesherr in seinen böhmischen Territorien gelang es Karl erfolgreicher, die jüdische Bevölkerung zu schützen. In der schlesischen Stadt Breslau, die zu seinem Machtbereich gehörte, war es im Mai 1349 zu einem Pogrom gekommen; Karl forderte die Bestrafung der Mörder, die daraufhin geächtet wurden. Diese Sanktionen konnten aber weitere Verbrechen nicht verhindern.

Karl und Nürnberg

Die Stadt, in der sich Karl nach Prag am häufigsten aufhielt, ist Nürnberg, das ihm als zweite Residenz diente. Die reiche und freie Reichsstadt mit ihren Händlern und Handwerkern spielte in Karls Politik eine wichtige Rolle. Er nannte sie "die vornehmste und am besten gelegene Stadt des Reiches".

Römisch-deutscher Herrscher: Festung und Ort der Ruhe: Südlich von Prag ließ Karl IV. (1316 bis 1378) die prächtige Burg Karlstein errichten.

Festung und Ort der Ruhe: Südlich von Prag ließ Karl IV. (1316 bis 1378) die prächtige Burg Karlstein errichten.

(Foto: Imago)

Zu Anfang seiner Herrschaft kam es im sogenannten Handwerkeraufstand zur Vertreibung des alten Rates und die Stadt stellte sich auf die Seite seiner wittelsbachischen Gegner. Letztlich aber verdankt Nürnberg Karl ebenso viel wie Prag. Auch in der fränkischen Reichsstadt ließ er imposante Bauwerke errichten. So die Frauenkirche, sehr wahrscheinlich geplant von Peter Parler, die auf den Grundmauern der während der Pogrome zerstörten Synagoge errichtet wurde.

Lustschloss des Geistes

Die Burg Karlstein thront südlich von Prag majestätisch auf einem Kalksteinfelsen. Dieser Ort ist geeignet, dem Menschen Karl besonders nahe zu kommen. Der Bau der Festung wurde 1348 begonnen. In dieses "geistliche Lustschloß" zog sich Karl von der Welt zurück, um seiner innigen Frömmigkeit zu frönen. Karl war ein bibelfester Christ und hatte sich zum Diakon weihen lassen.

Bei einem Streit zwischen seinen Eltern in seiner Kindheit weigerte sich Karl, von der Seite seiner Mutter Elisabeth zu weichen. Daraufhin steckte der Vater ihn für zwei Monate in harte Kellerhaft. "Als der König und Kaiser, ein reifer Mann, vierzig Jahre später das Märchenschloß Karlstein in einem einsamen Seitental an der Beraun erbaute, sah er auch eine edelsteingeschmückte Zelle für sich vor, mit Heiligenschätzen ausgestattet, in die er sich tagelang zurückzog, nur durch eine Luke mit der Umwelt in Verbindung.

Eine dämmrige Kammer zur Meditation, zur inneren Selbstentblößung oder zur Vision von Ewigkeit. War es die Flucht in ein Kindheitserlebnis, das ihm vielleicht die Überwindung einer grausamen Leere verhieß, einer tiefen inneren Existenzangst, oder die Vorahnung des unerbittlichen Schicksals der Könige?" Das hat, einfühlsam, Ferdinand Seibt geschrieben, der große Historiker und langjährige Vorsitzende des Collegium Carolinum in München, das an die Geschichte der von Karl IV. gegründeten Prager Universität anknüpfte.

Die Burganlage mit der Kapelle zum Heiligen Kreuz war zur Zeit Karls IV. Schatzkammer für die Krönungsinsignien Böhmens und des Reiches. Heute liegen Nachbildungen beider Kronen auf der Burg einträchtig nebeneinander. Karl IV. starb am 29. November 1378 in Prag und wurde im St. Veitsdom auf dem Hradschin beigesetzt.

Die Bayerisch-tschechische Landesausstellung zu Karl IV. läuft bis 5. März 2017 im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (www.gnm.de).

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