Historie:Glamour und Gift

Köln feiert den 2000. Geburtstag seiner mythischen Stadtgründerin, der römischen Kaiserin Agrippina. Wer war die Frau wirklich?

Von Christian Mayer

Es ist eine Reise in ein barbarisches Land, das zum Trauma der Römer geworden ist. An der Spitze von acht Legionen bricht der Feldherr Nero Claudius Germanicus, ein Großneffe des Augustus, im Frühjahr des Jahres 15 nach Christus in die rechtsrheinischen Germanengebiete auf. Zwischen Ems und Lippe sind die Römer unterwegs, um Rache zu nehmen für die vernichtende Niederlage im Teutoburger Wald: Sechs Jahre zuvor hatte dort der Cheruskerfürst Arminius drei Legionen des Statthalter Varus niedergemetzelt - nun versucht der 30-jährige Germanicus, mit Hilfe der Götter die Angstgegner noch einmal zur entscheidenden Schlacht zu stellen. Ein schwieriges Unternehmen, das am Ende nur mit viel rhetorischem Geschick in einen Sieg umgedeutet werden kann.

Während der römische General seine Reise ins Ungewisse unternimmt, bringt seine Frau Agrippina, genannt die Ältere, in Oppidum Ubiorum eine Tochter zur Welt. Der Geburtsort liegt am linken Ufer des Rheins, es ist die von den Römern angelegte Siedlung für den ins römische Herrschaftsgebiet integrierten Stamm der Ubier. Die Neugeborene trägt den Namen der Mutter, Agrippina. In die Geschichte wird sie eingehen als Frau, die auch den mächtigsten Männern ebenbürtig ist, eine Römerin mit Stil, die sich nicht mit dem Platz im Schatten begnügt, eine Femme fatale, die notfalls über Leichen geht.

Ahnenreihen mit Abgründen, Familientreffen mit Göttern, Helden und Verbrechern

Und doch besitzt ihr Name bis heute Strahlkraft und Glamour, vor allem in der Stadt, die gerne auf ihre zweitausendjährige Geschichte verweist, um die Konkurrenten in Düsseldorf, Aachen oder sonstwo in die Schranken zu weisen: In Köln, wo die Tochter des Germanicus im Jahr 15 oder spätestens 16 geboren wurde, feiert man ihren 2000. Geburtstag gerade mit der Ausstellung "Agrippina - Kaiserin aus Köln" im Römisch-Germanischen Museum am Dom (noch bis zum 29. März).

Staunend steht der Besucher vor der Frau, um die sich noch immer alle reißen. Der überlebensgroße Torso aus schwarzem Basalt kommt aus der Centrale Montemari, einer Einrichtung der Kapitolinischen Museen in Rom - ein echter Gunstbeweis der Römer für die kleine Schwester am Rhein. Im von Papst Franziskus ausgerufenen "Heiligen Jahr" werden sonst keine Kunstwerke verliehen. Neben dem kostbaren Torso steht auch die Originalbüste der Agrippina aus der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen, womit das Kunstwerk erstmals seit der Antike wieder vereint ist. Die Büste zeigt eine faltenlose, nach der damaligen Mode frisierte Römerin mit alterslosem Antlitz. Eine strenge Schönheit, keine Frage. Die Darstellung wird wohl ganz nach dem Geschmack der Agrippina gewesen sein, die aus einer der besten Familien Roms stammte und zum inneren Kreis der Aristokratie und des julisch-claudischen Kaiserhauses gehörte.

Historie: "Agrippinas Apotheose" vor Stadtkulisse: Oper von Georg Friedrich Händel, Kölner Inszenierung von 1985.

"Agrippinas Apotheose" vor Stadtkulisse: Oper von Georg Friedrich Händel, Kölner Inszenierung von 1985.

(Foto: Paul Leclaire/Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität Köln)

Im Römisch-Germanischen Museum ist Agrippinas berühmte Verwandtschaft mit Büsten und Statuen, Münzen und Preziosen präsent, es ist eine Ahnenreihe mit Abgründen. Das Familientreffen am Rhein vereint Götter, Helden und Verbrecher, es zeigt den Glanz und die Grausamkeiten der Epoche. Da ist der Urgroßonkel Augustus, der das Zeitalter der römischen Bürgerkriege beendete und die Expansion des Imperiums vorantrieb. Der Großvater Marcus Agrippa, dem es zu verdanken war, dass die Ubier von der rechten auf die linke Rheinseite zogen und sich als Verbündete unter römischen Schutz stellten: Er gilt heute als Stadtgründer im eigentlichen Sinne. Der Vater Germanicus, der nach dem Tod des Augustus 14 n. Chr. von seinen Truppen beinahe zum Kaiser ausgerufen wurde und fünf Jahre später in Syrien ums Leben kam. Agrippinas älterer Bruder Gaius, der in der Ubiersiedlung am Rhein den Spitznamen "Caligula" erhielt, das "Soldatenstiefelchen" - der Sohn des Germanicus war der Liebling der Legionäre und herrschte später als Kaiser mit unvorstellbarer Willkür und absurder Grausamkeit.

Der römische Autor Sueton zeichnete das düstere Bild eines Weibes voller Tücke

Agrippina selbst hatte nach dem frühen Tod ihres Vaters und der Verbannung ihrer Mutter eine schwierige Kindheit. Schon mit dreizehn wurde sie verheiratet, aus dieser ersten Ehe stammt ihr einziges Kind, der spätere Kaiser Nero. Ihr zweiter Ehemann, Gaius Sallustius Crispus Passienus, war ein einflussreicher, reicher Senator, dem offenbar sein Geld zum Verhängnis wurde: Glaubt man dem römischen Biografen Sueton, dann hat Agrippina ihren zweiten Mann "durch eine Tücke" aus dem Weg geräumt, um an sein Erbe zu kommen - möglicherweise war, wie so oft damals, Gift im Spiel.

Schon die Zeitgenossen lästerten über Agrippinas dritte Ehe mit ihrem Onkel Claudius, der trotz seiner bekannten Gebrechen 41 n. Chr. Kaiser geworden war. Dass für die eigentlich inzestuöse Liaison zwischen Onkel und Nichte eigens ein Gesetz geändert werden musste, haben die Historiker genüsslich ausgeschlachtet. Schon bei Sueton erscheint Claudius als bis zur Lächerlichkeit verschrobene Figur, geplagt von Zitteranfällen, Magenschmerzen und pathologischer Ängstlichkeit. Das Urteil über ihn stand früh fest: Claudius galt als gut aussehender, gebildeter Herrscher, aber auch als Schwächling und Trottel, der sich von seinen Frauen und Freigelassenen auf der Nase herumtanzen ließ. Vor allem Sueton und Tacitus haben dieses Bild geprägt, heutige Historiker sehen die Regierungszeit von Claudius positiver.

An der Seite dieses 24 Jahre älteren Mannes schien Agrippina am Ziel zu sein. Sie betrieb, anders als ihre launenhafte Vorgängerin Messalina, die heute vor allem für ihre nymphomanischen Machtspielchen berüchtigt ist, eine recht vernünftige Politik, suchte Verbündete im Senat und ordnete die kaiserlichen Finanzen. Offiziell trug sie nun den Beinamen "Augusta", was ihre Ebenbürtigkeit mit Claudius dokumentieren sollte. Schon zu Lebzeiten wurde sie, auch das ein Novum, auf Gold- und Silbermünzen abgebildet. In diese Phase fällt die Aufwertung ihrer Geburtsstadt als "Colonia Claudia Ara Agrippinensium", kurz CCAA.

Agrippina - Kaiserin aus KölnRömisch-Germanisches Museum zeigt Ausstellung zur Kölner StadtmutterRömisch-Germanisches Museum26. November 2015 bis 28. März 2016

Am Ende musste sie den Kopf lassen: Agrippina in einer zeitgenössischen Darstellung.

(Foto: Ole Haupt/Ny Carlsberg Glyptothek)

Warum der ganze Aufwand, der einem aufstrebenden Provinzort fernab von Rom galt? Offenbar wollte Agrippina endgültig mit ihrem Gatten gleichziehen, der aus Lugdunum stammte, dem heutigen Lyon, und dieser gallischen Garnisonsstadt den Status einer kaiserlichen Colonia verliehen hatte. Diesen Ehrentitel durfte die Siedlung am Rhein nun ebenfalls tragen, sie erhielt damit das höchste römische Stadtrecht; es war Agrippinas Geschenk an ihr persönliches "Colonia", das heutige Köln. Und die Kölner haben es ihr gedankt. Bis zum heutigen Tag sehen sie darüber hinweg, wie die Geschichte ausging: Auch Agrippinas dritter Ehemann starb wohl nicht eines natürlichen Todes, Claudius war das letzte Hindernis für seine wegen diverser Affären in Bedrängnis geratene Ehefrau. Mithilfe seines Vorkosters habe sie dem Kaiser, der furchtbar gerne aß, ein tödliches Pilzgericht servieren lassen, berichtet Sueton. "Pilze liebte er sehr", so lautet sein trockener Kommentar.

Nach der Ernennung ihres Sohnes Nero zum Kaiser war Agrippina nun endgültig auf dem Gipfel ihrer Macht angelangt, sie wurde mit Ehrungen überhäuft. Als Mitregentin prägte sie die ersten Amtsjahre Neros, die nicht zuletzt wegen einflussreicher Berater wie Seneca unter einem guten Stern standen. Später verlor sie jeglichen Einfluss auf ihren Sohn, der sie 59 n. Chr. durch einen fingierten Schiffsuntergang umbringen lassen wollte, was dann gründlich schiefging, weil sich die unverwüstliche Agrippina ans Ufer retten konnte: Erst bestellte Meuchelmörder setzten ihrem Leben ein Ende. Ein Verbrechen, das sogar dem skrupellosen Nero später Gewissensbisse bereitete. "Oft gestand er, dass er vom Geist seiner Mutter und den Geißeln brennenden Fackeln der Furien umgetrieben werde" (Sueton).

Eine Wahnsinnsgeschichte also. Stoff für Filme, historische Abhandlungen, Romane und sogar eine Oper: Georg Friedrich Händel feierte mit "Agrippina" bei der Uraufführung in Venedig 1709 einen seiner größten Erfolge als Komponist.

Doch nur in der einstigen Hauptstadt der Provinz Niedergermanien, wo man sich immer gerne auf das römische Erbe beruft, gibt es so etwas wie einen Agrippina-Kult, erzählt der Direktor des Römisch-Germanischen Museums, Marcus Trier: "Die eigene Geschichte wird hier sehr genau angeschaut. Vielleicht ist Köln auch die einzige Stadt, in der man den Beruf des Archäologen nicht erklären muss - hier stößt man auf Schritt und Tritt auf die Vergangenheit."

"Agrippina, Agrippinensis, wenn du deine Kinder siehst, bist du von den Socken."

Bereits in der berühmten Stadtansicht von Anton Woensam aus dem Jahr 1531 ist eine jugendliche "Agrippina Imperatrix" im Renaissance-Gewand abgebildet. In der linken Hand trägt sie ein Winkelmaß, in der rechten einen Schlägel - als Symbol der Baumeister und Architekten. Agrippina, die Frau, die das rechte Maß kennt und somit auch zur tugendsamen Stadterbauerin ernannt wird: Diese Interpretation hat schon etwas Tollkühnes. Im katholischen Kölner Kosmos agiert die Heidin Agrippina künftig auf Augenhöhe mit den Heiligen Drei Königen, die auf der Stadtansicht von 1531 über dem Dom schweben. Um 1800 setzte der Gelehrte Ferdinand Franz Wallraf der Agrippina ein weiteres Denkmal - mit einer überaus liebevollen Biografie, die vor allem als Ehrenrettung der Kaiserin gedacht war. Nicht mehr Mörderin, sondern Mutter sollte sie sein.

Agrippina - Kaiserin aus Köln Römisch-Germanisches Museum zeigt Ausstellung zur Kölner Stadtmutter Römisch-Germanisches Museum 26. November 2015 bis 28. März 2016

Agrippina, die Stadtgründerin: Diese Darstellung von 1531 zeigt die heidnische Kaiserin als Teil des katholischen Kosmos' Kölns.

(Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln)

Als Mutter der Stadt hat es Agrippina weit gebracht. Sie war Namenspatronin für eine Versicherung, sie ist im Stadtbild präsent. Die Oberbürgermeisterin trägt eine Amtskette, auf der Agrippina in Form einer antiken Goldmünze abgebildet ist. Unverwüstlich ist die Kaiserin von Köln aber vor allem im Karneval. Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Stadt noch in Trümmern lag, sang die legendäre Grete Fluss als "Mutter Colonia" ein lustiges Lied auf ihre Heimatstadt Colonia:

"Agrippina, Agrippinensis,

wenn do ding Pänz sühs,

bes' de vun de Söck.

Agrippina, Agrippinensis,

wenn do uns Dänz sühs,

hälts do uns för jeck."

(Agrippina, Agrippinensis,

Wenn du deine Kinder siehst,

bist du von den Socken.

Agrippina, Agrippinensis,

wenn du unsere Tänze siehst,

hältst du uns für verrückt.")

Und so ist die Geschichte der Agrippina auch eine Komödie. Eine typische Geschichte aus Köln also - auch wenn vieles gar nicht lustig ist, was man gerade aus der Stadt hört.

Literaturtipp: Marcus Trier und Friederike Naumann-Steckner (Herausgeber), Agrippina - Kaiserin aus Köln (Ausstellungskatalog), Köln 2015; Mario Kramp, Köln und seine Agrippina. Vom Monstrum zur Mutter. Zum 2000. Geburtstag der römischen Kaiserin, Köln 2015

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