Historie:Autoscooter mit Schumi

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Kein anderes Rennen lockte so viele Deutsche vor die Fernseher wie das Formel-1-Finale 1997. Der Rammstoß gegen Jacques Villeneuve vor 20 Jahren prägte das Image des siebenfachen Weltmeisters Michael Schumacher und veränderte die ganze Rennserie grundlegend.

Von René Hofmann

Die Quote ist bis heute unerreicht. Mehr als 15,4 Millionen Deutsche verfolgten das Formel-1-Finale vor 20 Jahren am Fernseher. 26. Oktober 1997, Jerez de la Frontera, Großer Preis von Europa: Das ganze Jahr über haben sich Michael Schumacher und Jacques Villeneuve duelliert. Fünfmal wechselte die Gesamtführung zwischen dem Deutschen und dem Kanadier. Vor dem Showdown liegt Schumacher vorne: 78 zu 77 Punkte. Die Qualifikation, in der die Reihenfolge für die Startaufstellung ermittelt wird, unterstreicht noch einmal, wie eng es zwischen den beiden zugeht. Schumacher glückt mit seinem Ferrari bis auf die Tausendstelsekunde genau die gleiche Zeit wie Villeneuve mit seinem Williams. Die Regelhüter kennen zwar auch noch die vierte Nachkommastelle. Um den Reiz des Duells weiter wachsen zu lassen, verraten sie diese aber nicht. Weil Villeneuve die Rekordrunde als Erster glückte, darf er auf die Pole-Position.

Der Kampf um die Formel-1-Krone wurde öfter auf den letzten Runden entschieden. Und öfter trafen dabei gegensätzliche Kombattanten aufeinander. 1976 - in dem Jahr, als er auf dem Nürburgring fast verbrannte - landete der pedantische Österreicher Niki Lauda nach einer Regenschlacht in Fuji einen Punkt hinter dem britischen Playboy James Hunt. 1989 rammte der Franzose Alain Prost auf dem Weg zu seinem dritten WM-Titel im vorletzten Rennen in Suzuka seinen McLaren-Kollegen, den Brasilianer Ayrton Senna, von der Strecke. Im Jahr darauf, Prost war inzwischen zu Ferrari gewechselt, revanchierte sich Senna am gleichen Ort mit einem ganz ähnlichen Rempler - und sicherte sich so den Titel.

Auge in Auge Reifen an Reifen zu kämpfen, ohne Rücksicht auf das eigene Heil oder das Weh eines anderen - lange wurde das in dem sehr speziellen Sport als selbstverständlich betrachtet. Lange wurde bedingungslose Unerschrockenheit dort sogar gefeiert. Das Finale 1997 aber markierte einen Wendepunkt.

Schumacher gegen Villeneuve: Das ist das Gegeneinander eines Etablierten gegen einen Newcomer. Schumacher war 1994 und 1995 als Über-Talent gefeiert und mit Benetton zweimal Weltmeister geworden - mit vielen Tricks und einigen Grobheiten, weshalb ihn viele schon da gerne "Schummel-Schumi" nannten. 1996 war er dann zu Ferrari gewechselt, dem mythenumrankten, liebenswerten, aber zu jener Zeit chronisch erfolglosen Traditionsteam. Mit seinem nüchternen, zielgerichteten Ehrgeiz sollte Schumacher die Chaostruppe in die Erfolgsspur zurückführen. Auf diesem Weg war er schon ein gutes Stück vorangekommen. Nun aber baute sich vor ihm ein bunter, frecher Seiteneinsteiger auf: Jacques Villeneuve. Bis das britische Williams-Team ihn 1996 überraschend verpflichtet hatte, hatte Jacques Villeneuve nur einen einzigen Formel-1-Bezugspunkt gehabt: seinen Vater Gilles Villeneuve. Der war 1982, als er für Ferrari auf Zeitenjagd ging, beim Training in Belgien tödlich verunglückt.

„Vielleicht hatte er in dem Moment die Augen zu“: Jacques Villeneuve, Fahrer des rechten Rennwagens, über den Rempler, mit dem Michael Schumacher (im roten Auto) vor 20 Jahren versuchte, den WM-Titel an sich zu reißen. (Foto: dpa)

Für seinen Sohn Jacques war die Formel 1 deshalb nicht nur eine neue Bühne, es war auch eine, mit der er düstere Erinnerungen verband. Aber davon ließ er sich nicht bremsen. Von Anfang an suchte er die Konfrontation mit dem Platzhirschen. "Ich verstehe Schumacher nicht", sagte Villeneuve bei seinem Einstieg einigermaßen ungefragt, "er ist ein komischer Mensch, hat keinen Humor, keinen Stil und ist nur auf das Rennfahren fixiert." Dass die beiden keine Freunde werden würden, war früh klar. Ende 1997 aber war ihr Verhältnis offen zerrüttet. Am Montag vor dem Aufeinandertreffen in Jerez erschien im Spiegel ein Interview mit Schumacher, in dem dieser zu Villeneuve feststellte: "Er ist nicht auf meiner Schiene." Villeneuves Risikofreude bezeichnete Schumacher als "total konträr zu mir". Die Vorliebe seines Rivalen für gefärbte Haare und Holzfällerhemden tat Schumacher als Neigung zum "Schlabberlook" ab. Nein, es war wirklich kein freundliches Gegeneinander.

Beim vorletzten Rennen der Saison war Villeneuve disqualifiziert worden, weil er - zum wiederholten Mal in jenem Jahr - Flaggen ignoriert hatte, die wegen einer Gefahr zum Bremsen mahnten. Vor dem Finale in Jerez warnte der Präsident des Automobilweltverbandes persönlich: Die Sportkommissare würden keinem irgendwelche Schmutzeleien durchgehen lassen. Mahnungen gab es also. Doch als die Motoren aufheulten, waren diese vergessen.

Das Rennen ging über 69 Runden. In Umlauf 48 führte Schumacher, aber Villeneuve kam auf frischen Reifen schnell näher. Ein gelungenes Überholmanöver - und er wäre Weltmeister. Fielen beide aus, ginge der Titel an Schumacher, und er wäre mit Ferrari am Ziel. Die ganze Saison verdichtete sich auf eine Aktion.

In der Dry-Sack-Kurve wagte Villeneuve einen Überraschungsangriff. In dem Rechtsknick setzte er sich innen neben Schumacher. "Ich musste ihn überraschen, das war meine einzige Chance", hat Villeneuve später über das Manöver gesagt. Und Schumacher war offensichtlich überrascht. Für einen Moment ließ er die kürzeste Linie durch die Kurve unbewacht. Als er erkannte, dass Villeneuve dort hingesteuert war und realisierte, was das bedeutete, konterte Schumacher entschlossen.

Ferrari-Pilot Michael Schumacher. (Foto: Getty)

Mit Schwung ließ er seinen Rennwagen gegen Villeneuves krachen. Die sündteuren Prototypen prallten gegeneinander wie Autoscooter auf dem Jahrmarkt. Schumachers Wagen rollte daraufhin kaputt aus. Villeneuves aber rollte weiter. Schumachers Versuch eines taktischen Fouls - er war missglückt. Der Aufprall war so heftig, dass es die Batterie aus der Verankerung riss. Trotzdem schaffte Villeneuve es ins Ziel. Und so zum Titel.

Im ersten Reflex gab Schumacher Villeneuve die Schuld an der Kollision. "Er hat mich rausgeschoben!" Doch wenige Tagen später räumte er auf einer Pressekonferenz ein: "Ich habe einen Fehler gemacht." Wofür jener Tag in die Geschichte der Formel 1 eingehen wird, dämmerte Schumacher wie vielen Zuschauern erst später. Der 26. Oktober 1997 teilt die Formel-1-Historie in ein Davor und ein Danach. Wie sich erst Prost gegen Senna und dann Senna gegen Prost zum Erfolg gerangelt hatte, so war auch Schumacher 1994 gegen Damon Hill erfolgreich gewesen. Der Zusammenstoß der beiden in jenem Jahr beim letzten Saisonrennen in Adelaide, nach dem beide ausfielen und Schumacher seinen ersten Titel feierte, war lediglich als Fußnote in die Sportgeschichtsbücher eingegangen. Drei Jahre später aber war die Zeit vorbei, in der das Einander-ins-Auto-fahren akzeptiert war und in der die Protagonisten sogar dafür bewundert wurden, wenn sie auf der Jagd nach dem Sieg nicht nur das eigene Leben aufs Spiel setzten.

"Nicht nur die Autos entwickeln sich weiter, auch die Regeln": Im Rückblick auf die Szene hat Schumacher das irgendwann realisiert. Ein Rechtsanwalt aus Hessen forderte die Staatsanwaltschaft Frankfurt nach dem Rammstoß auf, gegen Schumacher wegen eines Mordversuchs zu ermitteln. So weit kam es nicht. Aber zwei Wochen nach dem Rennen wurden ihm wegen der Aktion alle Punkte aberkannt, die er 1997 gesammelt hatte. Weltmeister wurde er mit Ferrari später doch noch. Fünf Mal.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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