Heiligsprechung:Mutter Teresa - Samariterin der Slums

Heiligsprechung: Die 1997 verstorbene Mutter Teresa, hier im Jahr 1993, wird an diesem Sonntag in Rom heiliggesprochen.

Die 1997 verstorbene Mutter Teresa, hier im Jahr 1993, wird an diesem Sonntag in Rom heiliggesprochen.

(Foto: AP)

Der "Engel von Kalkutta" wird heiliggesprochen. Doch in Indien ist die Überzeugung gereift, dass mehr nötig ist als selbstlose Nächstenliebe, um die Massen aus dem Elend zu holen.

Von Arne Perras

Die meisten ihrer Bewunderer wollten nicht so lange warten. Sie verehrten Mutter Teresa schon zu Lebzeiten wie eine Heilige. Als "Teresa der Slums" huldigte ihr einst das amerikanische Magazin Life, sie erhielt den Verdienstorden der britischen Königin und den Friedensnobelpreis. Die Bewunderung, die ihr ihre Bescheidenheit und das Engagement für die Armen in Kalkutta eintrugen, brachte die Nonne zu den Mächtigen dieser Welt. Ihr Ruhm führte sie ins Weiße Haus und vor die Vereinten Nationen, machte sie im hohen Alter zu einem globalen Popstar der Barmherzigkeit.

19 Jahre nach ihrem Tod wird nun Papst Franziskus die Ordensfrau, die 1910 als Anjezë Gonxha Bojaxhiu in Skopje zur Welt gekommen war, offiziell in die Gemeinschaft der Heiligen der katholischen Kirche aufnehmen. Damit dürfte das Symbolhafte ihres Lebens noch stärker in den Vordergrund rücken: Mutter Teresa, Ikone und Lichtgestalt, ein Vorbild der Barmherzigkeit und selbstloser Nächstenliebe. Dieses Bild haben Millionen auf allen Kontinenten verinnerlicht. Der Heiligenkult wird sie dem Irdischen entrücken, ihre menschlichen Züge verklären. Aber jedes Leben hinterlässt Spuren. Und nicht immer passen sie ins Bild.

Nur in vertraulichen Briefen offenbarte Mutter Teresa ihre tiefen Glaubenszweifel

In Debatten über Mutter Teresa tauchen manche Fragen immer wieder auf. Vor allem: Woher nahm diese zierliche Frau ihre Kraft? Erforderte ihr Wirken nicht ein unerschütterliches Gottvertrauen? Wie sonst hätte sie ihre Existenz so kompromisslos in den Dienst der Ärmsten stellen können? Wie sonst hätte sie die Arbeit mit all den Kranken, Verlassenen und Sterbenden im Moloch Kalkutta durchgestanden? "Nur der Glaube konnte ihr so viel Kraft geben", sagt der Inder Navin Chawla. Er hat eine Biografie von Mutter Teresa geschrieben. Und diese Einschätzung hat er auch nicht geändert, als diese Briefe auftauchten, sehr private Briefe von Mutter Teresas Hand. Vor einem Jahrzehnt erregten sie Aufsehen. Denn sie erschütterten die Vorstellungen, die sich die Welt von der Ordensfrau gemacht hatte.

Sie wollte sie nach ihrem Tod vernichtet sehen, doch 2007 gelangten sie dann doch an die Öffentlichkeit - mit dem Segen des Vatikan. Statt Vertrauen in Gott spiegeln sich in diesen Bekenntnissen Zweifel wider, manchmal ist es gar bittere Verzweiflung: "Es wird mir gesagt, dass Gott mich liebt, doch ist die Realität der Dunkelheit, der Kälte und der Leere so überwältigend, dass nichts davon meine Seele berührt." So schrieb sie im Jahr 1959. Und das war nicht das einzige Mal, dass sie in diesen Briefen an einen vertrauten Seelsorger von einem Gefühl der Verlassenheit sprach.

Biograf Chawla war überrascht, als er von den Briefen erfuhr. In einem Gespräch kurz vor der Heiligsprechung erzählt er nun, dass er von solchen Gedanken bei der Ordensfrau nie etwas gespürt habe. "Und ich habe viele hundert Stunden mit Mutter Teresa verbracht." Kritiker deuteten die Bekenntnisse allerdings als Beleg für den Vorwurf, sie habe ihre fröhliche Frömmigkeit nur vorgetäuscht, ihr Gesicht verschleiert, eine Maske getragen. Der Autor Chawla hält dagegen: "Kein Mensch kann seinen Glauben ein ganzes Leben lang vorgaukeln." Gerade Momente des Zweifelns hätten ihren Glauben stärker gemacht und sie zu ihrer selbstlosen Arbeit befähigt.

Wie immer man diese Zeugnisse einschätzt, eines ist kaum zu bestreiten: Das Leben von Mutter Teresa war nicht frei von Momenten seelischen Leids, von inneren Zweifeln und Widersprüchen.

Mutter Teresas Engagement wird nicht nur in Kalkutta, sondern auch in anderen Teilen Indiens gewürdigt. Christen sind auf dem Subkontinent eine Minderheit, doch der vorherrschende Hinduismus gilt in seiner moderaten Ausprägung als eine Religion, die vieles einbezieht und wenig ausschließt. Dazu passt auch ein Satz von Mutter Teresa, die einmal sagte: "Ich liebe alle Religionen."

"Als Inder sind wir stolz auf die Heiligsprechung", verkündet Premier Modi

Zur Feier in Rom wird eine hochrangige indische Delegation anreisen, geführt von Außenministerin Sushma Swaraj. Premier Narendra Modi hat Mutter Teresa in seiner monatlichen Radioansprache gepriesen. "Als Inder sind wir stolz auf die Heiligsprechung", sagte er. Die extreme Hindu-Rechte dürfte dem allerdings kaum zustimmen, aus ihren Reihen waren immer wieder giftige Attacken zu vernehmen. Sie werfen Mutter Teresa vor, sie habe sich nur um die Armen gekümmert, um sie so leichter zum Christentum zu bekehren.

Seitdem der Hindu-Nationalist Modi regiert, fühlen sich Hardliner seiner Partei ermuntert, ein schärferes, nationalistisches Programm voranzutreiben. Hindus sollten ihre Dominanz zementieren, und Minderheiten müssten sich unterordnen, so schwebt es der Rechten in Indien vor. Die Vorwürfe gegen Mutter Teresa sind indes nicht neu und wurden mehr oder weniger polemisch auch von anderen erhoben.

Zweifelhafter "Leidenskult"

Zudem gab es immer wieder Kritiker, die in ihrer Arbeit einen zweifelhaften "Leidenskult" zu erkennen glaubten, gar eine Besessenheit mit dem Tod. Auch die Zustände in ihren Häusern wurden bemängelt. Die medizinische Versorgung sei mangelhaft gewesen und der Umgang mit Geld intransparent, warf man ihr vor. Für die Anhänger Mutter Teresas waren dies nie überzeugende Argumente, zumal die Vorwürfe oft aus der Distanz gemacht wurden, ohne nähere Kenntnis der Verhältnisse in Kalkutta.

Hilfe nur, um arme Seelen zu bekehren? Vertraute der Ordensfrau haben dieses als Vorwurf gemeinte Motiv für ihre Arbeit vehement zurückgewiesen. Schwester Blessila, die man in diesen Tagen telefonisch in Kalkutta erreicht, gehört zu jenen, die das Werk der Mutter Teresa fortsetzen. Am Sonntag werde sie sich die Feier in Rom im Fernsehen ansehen und ein Dankesgebet sprechen. Was ihr in Erinnerung ist von Mutter Teresa? "Sie hat in jedem Menschen ein Kind Gottes gesehen", sagt Blessila. "Und so hat sie auch jeden einzelnen behandelt." Das Waisenkind in der Gosse, den armen Alten, der einsam den Tod erwartete. Den Kranken, den alle anderen aufgegeben hatten. Ob es Christen, Hindus oder Muslime waren, habe für sie keine Rolle gespielt.

Die Bilder von der "Heiligen in der Gosse", die jahrzehntelang um die Welt gingen - sie haben auch die Vorstellungen von der Armut in Asien geprägt. Kalkutta, der Ort ihres Wirkens, wurde zum Inbegriff dieses Elends. Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul nannte die Millionenmetropole "die deprimierendste aller Städte". Die Bilder vom Abgrund in Kalkutta werden nicht so schnell verschwinden, sie haben sich längst verselbständigt als mahnende Symbole eines Leidens, das es gar nicht geben dürfte. Nicht zu übersehen ist aber, dass sich viele Inder gegen das Elend in ihrem Land stemmen, dass sie mühsam daran arbeiten, die Kluft zu schließen. Und sie haben oft das Gefühl, dass barmherziges Samaritertum nicht ausreicht, um die Massen aus dem Elend zu ziehen.

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