Haute Cuisine:Eins auf die Rübe

Der Molekular-Star Ferran Adrià nimmt demnächst eine Auszeit. Feinschmecker aus aller Welt interessiert daher nur eine Frage: Was wird bloß aus der Haute Cuisine? Zehn Sterneköche zur Zukunft der Spitzenküche.

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Karotte; Jochen Luebke/ddp

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Der Molekular-Star Ferran Adrià nimmt demnächst eine Auszeit. Feinschmecker aus aller Welt interessiert daher nur eine Frage: Was wird bloß aus der Haute Cuisine? Zehn Sterneköche zur Zukunft der Spitzenküche. Von Maren Preiß

"Wir Italiener sollten uns anderen Kulturen gegenüber mehr öffnen. Immer verteufeln wir die Produkte, die aus dem Ausland kommen! Wir sollten sie in Ruhe ansehen, sie analysieren, mit ihnen experimentieren. Im Moment arbeitet ein indischer Koch in meiner Küche, den ich im Sommer in Sri Lanka kennengelernt habe. Er bringt mir bei, wie man ein Curry macht - und ich lehre ihn die Zubereitung von Pasta. Avantgarde bedeutet nicht in jedem Fall, alles hinter sich zu lassen. Wenn wir nur nach vorne rennen, riskieren wir, den Kontakt zur Realität zu verlieren. Deshalb wird Entschleunigung wichtiger werden. Dinge brauchen Zeit, um zu reifen. Lassen wir die Kühe in Ruhe ihr Gras fressen, damit Milch und Käse zum Abbild ihrer Region werden. Das gilt genauso für die Karotte. Sie wird übrigens die neue Foie gras!"

Zwei-Sterne-Koch Massimo Bottura, Eigentümer der "Osteria Francescana" in Modena, Italien.

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Lamborghini; Getty

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"Heute verfügen alle Spitzenköche über dasselbe Wissen. Das heißt aber nicht, dass die Kochkunst an ihr Ende gekommen ist, im Gegenteil! Gerade weil alle Spitzenköche über dasselbe Know-how verfügen, wird die Küche einen Aufschwung erfahren. Sicher wird die Haute Cuisine immer etwas Seltenes und Teures bleiben, wie Autos und Uhren auch. In der Gastronomie allgemein wird es aber deutliche Veränderungen geben. Die Qualität der Gerichte wird steigen, zum einen, weil die Köche mehr wissen, zum anderen, weil die Gäste mehr wissen und anspruchsvoller geworden sind. Die Zukunft der französischen Küche sehe ich positiv. Frankreich ist heute die größte Küchenschule der Welt. Um ihr Handwerk zu erlernen, sind die meisten der heute bekannten Köche nach Frankreich gekommen oder haben das Metier bei französischen Köchen im Ausland gelernt. Unter meinen Mitarbeitern sind mehr als 40 verschiedene Nationalitäten vertreten."

Alain Ducasse, Sterne-Rekordhalter aus Frankreich und Besitzer des "Alain Ducasse au Plaza Athénée" in Paris

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Paprika; ddp

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"Was bedeutet Fortschritt überhaupt? Wollen wir die Qualität der Küche verbessern? Oder einfach nur verrückte Sachen kochen? Wer meint, dass heute theoretisch jeder gute Koch dasselbe Gericht zubereiten kann, der liegt falsch: Neben den Produkten und der Technik spielt die Sensibilität eine enorme Rolle. Ein Gericht ist schließlich kein Bücherregal, das man richtig oder falsch zusammenschrauben kann. Fortschritt bedeutet vor allem auch die Rückbesinnung auf unser kulinarisches Erbe. Nehmen wir mal Kartoffeln, Tomaten und Paprika: Sie kamen vor 500 Jahren nach Europa, heute gibt es in den verschiedensten Regionen Europas so viele verschiedene Arten von Kartoffeln, Tomaten und Paprika. Wir müssen uns das Besondere einer Gegend vergegenwärtigen. Es gibt heute zu viele schlechte Kopien."

Alex Gares, Küchenchef im "Soneva Fushi by Six Senses" im Baa Atoll der Malediven

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Holz; dpa

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"Zutaten mal beiseite: Was wird aus dem Gast? Die Spitzenküche sollte den Generationswechsel mehr berücksichtigen. Jüngere Gäste scheuen sich oft davor, einen Fuß in ein Restaurant zu setzen, das zu den 50 besten in der Welt gehört. Ein Toprestaurant muss sich auch im Interieur der Zeit anpassen. Wir haben unser Lokal deshalb vollständig umgestaltet. Im ,Le Calendre' soll der Gast in lockerer Atmosphäre genießen, ohne jeden Zwang. Tische und Lampen haben wir selbst entworfen und von Handwerkern fertigen lassen. Um die Distanz zum Tisch aufzuheben, verzichten wir auf Tischdecken. Eine Kutte macht ja noch keinen Mönch, im Gegenteil: Durch den direkten Kontakt mit 180 Jahre altem Eschenholz wird der Gast sinnlich berührt. Und von seinem Tisch hat er jetzt einen direkten Einblick in die Küche."

Massimiliano Alajmo, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneter Chefkoch im "Le Calendre", dem Restaurant seiner Familie in Rubano, Italien

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Avocado; ddp

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"Die Zukunft der Haute Cuisine? Die Gegenwart ist die Zukunft. Für mich geht es auch übermorgen noch darum, Zutaten wiederzufinden, die zum kulinarischen Erbe des Baskenlandes gehören, aber von der Landkarte verschwunden sind. Die Natur ist immer noch die beste Fabrik. Um unsere kulturelle Identität zu bewahren, müssen wir unsere regionalen Produkte erhalten. Dazu wird es nötig sein, den Kontakt zu den Produzenten zu intensivieren. Ich habe jetzt angefangen, wild wachsende Gemüsesorten wie Rapunzel, Schwarzwurzel und die rote Distel anbauen zu lassen. Öko-Gemüse wird der neue Luxus schlechthin: Die Avocado zum Beispiel verarbeiten wir wie eine vegetarische Stopfleber. Neue stilbildende Impulse werden aus Japan, China und dem Amazonasgebiet kommen."

Josean Martínez Alija, Chefkoch im "Restaurante Guggenheim" in Bilbao, Spanien

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Hardanger Fjord; Norwegen; ddp/Gaby Bohl

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"Es wird bald wieder eine neue, stilbildende Kochnation geben. Und das wird ziemlich sicher Skandinavien sein! Die skandinavische Küche kann auf eine Fülle von natürlichen Produkten zurückgreifen, es gibt tolle Gewässer dort und das Fischangebot ist einfach phänomenal. Genau diese sogenannte ,wilde Ware' wird in Zukunft den neuen Luxus ausmachen: Regionale Produkte wie natürlich aufgewachsene Tiere oder Gemüse aus dem eigenen Garten - im Gegensatz zu Tieren aus Massenzuchthaltung oder Aquakultur. Gleichzeitig wird sich die Verwendung von Produkten und Zutaten durch die Globalisierung weiterhin verändern. Durch den internationalen Handel und Reisen in verschiedene Länder werden immer neue Lebensmittel oder seltene Kräuter in die jeweils einheimische Küche integriert werden."

Dirk Luther, Zwei-Sterne-Koch im "Restaurant Meierhof" in Glücksburg an der Ostsee

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Speck; Wurstproduktion; ddp

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"Stillstand? Den wird es nie geben, nicht bei uns. Wir haben aber sehr wahrscheinlich das Ende einer Ära erreicht; einer Ära, in der neue Technologien und neue Chemikalien Möglichkeiten geschaffen haben, die vorher in der Küche nicht denkbar waren. Heute sind wir in der Lage, alles Mögliche mit dem Essen anzustellen. Aber ist diese neue Anything-goes-Mentalität gut? Ich denke: nein. In den nächsten Jahren wird es eher darum gehen, Gerichte zu erfinden, die es so nur an einem bestimmten Ort und von einem bestimmten Koch zubereitet geben kann. Wildwachsende Zutaten, Wurzeln, Rinden, Blätter, Beeren und Blüten von Wildpflanzen werden dabei eine große Rolle spielen, weil sie eine große emotionale Kraft haben. Auch alte Techniken werden wiederentdeckt werden, wie Räuchern oder Pökeln. Die Küche wird stärker die Kultur und Persönlichkeit des Kochs widerspiegeln. Und das Ergebnis wird immer neu sein."

Daniel Patterson, Besitzer des französischen Lokals "Coi" in San Francisco, USA

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Rentner; Natur; iStock

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"Bei all den gesundheitlichen Problemen weltweit wird das Thema Gesundheit auch in der Spitzenküche einen größeren Stellenwert bekommen. Überhaupt wird man in Zukunft mehr auf die Bedürfnisse seiner Gäste eingehen. Deshalb wird irgendwann auch der Dresscode unwichtiger werden: Der Gast soll sich auch in einem Spitzenrestaurant entspannen und wohlfühlen - warum soll er dort nicht seine Lieblingsjeans tragen und einen Pullover? Die Restaurants auf dem Land haben das zum Glück schon länger verstanden. In mein Restaurant kommen immer mehr Städter, weil sie die familiäre, ländliche Atmosphäre schätzen."

Ana Roš, Chefköchin im "Hisa Franko" in Kobarid, Slowenien

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Gewürze; dpa

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"Die Zeiten von Hummer und Kaviar sind definitiv vorbei. Scheinbar einfache Produkte in Top-Qualität - so wird sich Luxus in Zukunft definieren. Eine super Makrele ist für mich viel mehr wert als ein gezüchteter Steinbutt. Die Zukunft gehört auch den vergessenen Kräutern und Gemüsesorten, Austernkraut zum Beispiel oder schwarze und violette Karotten. Muss man denn dauernd die Artischocken aus der Bretagne holen? Nach dem Salztrend rollt jetzt eine Gewürzwelle an, mit den verschiedensten Gewürzmischungen. Vadouvan, ein fermentiertes Gewürz aus Indien, gibt einem Gericht den entscheidenden Kick. Was Aromen betrifft, wird die arabische Küche in Zukunft sehr interessant für uns werden. Sie hat auch tolle Techniken wie zum Beispiel das Kochen in der Erde. Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir uns eines Tages von Pillen ernähren werden."

Juan Amador, Molekularkoch und Besitzer des "Amador" in Langen, Hessen

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Salz; ddp

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"Die Zutaten werden noch wichtiger werden. Wir sollten versuchen, ein Produkt nicht auf Teufel komm raus zu verfremden, sondern seinen eigenen Charakter hervorzuheben. Klingt einfach, ist es aber nicht: Ein Koch muss viele Tricks anwenden, um das Beste aus einem Produkt herauszuholen. Nehmen wir zum Beispiel Meersalz. Ich koche gern auf einem Salzbett. Dazu bereitet man einen Tee aus Kräutern zu, mit Salbei, Lorbeer, Majoran. Den Aufguss füllt man in einen Zerstäuber. Die herausgefilterten Kräuter werden mit grobem Meersalz, ganzen Pfefferkörnern und Wacholderbeeren vermischt, die Masse wird auf eine heiße Fläche gestrichen und auf 120 Grad erwärmt. Auf diesem aromatisierten Salzbett gart man Fisch oder Fleisch und benetzt sein Kochgut zwischendurch immer wieder mit dem Kräuterspray. Der Aufwand? Groß! Aber das Ergebnis ist einzigartig."

Tomaž Kavcic Besitzer des "Pri Lojzetu" in Vipava, Slowenien

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(SZ vom 13.03.2010/Bildauswahl Lena Jakat)

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