Haushalt, Kinder, Pflege:Who cares?

Geriatric nurse talking to age demented senior woman in a nursing home model released Symbolfoto pro

Wer kümmert sich, wenn alle immer mehr arbeiten?

(Foto: imago/Westend61)
  • Zur Care-Arbeit oder Fürsorgearbeit gehören Tätigkeiten des Haushalts, der Kinderbetreuung und der Pflege. Auch wenn diese Aufgaben in den meisten Fällen nicht bezahlt werden, tragen sie zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftssystems bei.
  • Doch wenn möglichst viele Menschen Vollzeit arbeiten, bleibt nur wenig Zeit für Fürsorgearbeit.
  • Noch immer wird der größte Anteil der Care-Arbeit von Frauen übernommen.
  • Gerade in der Pflege offenbaren sich dramatische Missstände. Dem Staat ist es bislang nicht gelungen, geeignete Gegenmaßnahmen anzubieten.
  • Notwendig wäre ein grundsätzlich anderer Blick auf den Bereich, der nicht nach der ökonomischen Logik der Effizienz funktioniert.

Von Sarah K. Schmidt

Frauen können besser bügeln - sagen in einer Umfrage 81 Prozent der 18- bis 44-jährigen Männer. Fast 70 Prozent derjenigen, die einen Angehörigen pflegen, fühlen sich einer Befragung der Techniker Krankenkasse zufolge gestresst, 40 Prozent erschöpft und ausgebrannt. Etwa 150 000 bis 200 000 Migrantinnen leben Schätzungen zufolge bei Pflegebedürftigen, um diese zu versorgen - sie sind oft rund um die Uhr im Einsatz, 95 Prozent arbeiten schwarz.

Care-Arbeit oder auch Fürsorgetätigkeit nennt sich das Konglomerat aus Haushalt, Pflege und Kinderbetreuung, das so oft übersehen wird, wenn über die Bedingungen von Arbeit diskutiert wird. Dabei ist dieser Bereich nicht weniger bedeutsam für die Gesellschaft. Ohne dieses fürsorgliche Rückgrat wären Erwerbsarbeit, Konzerne, Kapitalismus gar nicht möglich.

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alles zur aktuellen Recherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Sorgetätigkeiten ermöglichen erst die Entwicklung des Einzelnen

Denn wie könnte eine Gesellschaft funktionieren, wenn es nicht Menschen gibt, die Babys versorgen? Die Kinder zu kompetenten mündigen Bürgern erziehen? Die jene pflegen, die am Ende eines langen (Arbeits-)Lebens auf Hilfe angewiesen sind? Eva Senghaas-Knobloch ist Soziologin und Professorin für Arbeitswissenschaft an der Universität Bremen und forscht seit Jahren zur Care-Arbeit. Sie sagt: "Sorgetätigkeiten ermöglichen überhaupt erst Wachstum und Entwicklung des Einzelnen und schaffen gesellschaftlichen Zusammenhalt."

Doch die fortschreitende Ökonomisierung und der demographische Wandel setzen den Care-Bereich immer stärker unter Druck. Für die Betroffenen macht sich keine Lobby stark - zum einen, weil es um die geht, die nicht in der Lage sind, ihre Interessen mit Nachdruck zu vertreten, zum anderen, weil der Care-Bereich gerne verdrängt und ausgeklammert wird. Hier verdichten sich all die unaufgelösten Widersprüche, enttäuschten Wünsche und verratenen Ideale unseres modernen Lebens.

Erwerbsarbeit definiert, welche Tätigkeiten Wert haben und welche nicht

Ein wichtiger Grund für das miese Image der Care-Arbeit ist der Arbeitswissenschaftlerin Senghaas-Knobloch zufolge ein von alltäglichen Sorgetätigkeiten bereinigtes Konzept von Arbeit als Erwerbsarbeit. "Dieses prägt spätestens seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, welchen Tätigkeiten wir buchstäblich einen Wert, nämlich einen Lohn beimessen und welchen nicht." Schuften im Büro oder in der Fabrik wird entlohnt, wird wertgeschätzt. Schuften im Privaten, im Haushalt nicht.

Das zweite Problemfeld der Care-Arbeit: die leidige Geschlechterfrage. Waren es doch über Jahrzehnte die Frauen, die fürs Putzen, Kochen, Kümmern zuständig waren, während Vati das Geld nach Hause brachte. Zum ersten Mal über den Haufen geworfen wurde dieses eherne Familienkonzept mit seinen eingeschränkten Rollen von der Emanzipationsbewegung. "Die Frauen haben sich einen direkten Zugang zu Berufstätigkeit, finanzieller Unabhängigkeit und der damit verbundenen Anerkennung erkämpft", sagt Senghaas-Knobloch.

Gleichzeitig sei jedoch dieser Kampf für Gleichberechtigung "von ultraliberal-ökonomischen Politikstrategien zur Erhöhung von Wettbewerbsfähigkeit" vereinnahmt worden. Der Politik und Wirtschaft kommen die hochmotivierten Frauen, die endlich auch im Berufsleben glänzen wollen, gerade recht: Sind diese doch geradezu prädestiniert dafür, die Fachkräftelücke zu schließen, die der demographische Wandel aufzureißen beginnt.

Kinder wickeln und Eltern pflegen - das erledigen Frauen parallel zum Job

Gerade erst hat die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie im SZ-Magazin beschrieben, was die Frau zum idealen Mitglied einer neoliberalen Gesellschaft macht: "Sie soll unabhängig sein, Geld verdienen und eine Karriere anstreben." Ständig müssten Frauen sich selbst und allen dabei beweisen, wie perfekt sie sind. Bestraft würden die, "denen das Management ihres Lebens nicht gelingt", so McRobbie weiter.

Und zum Lebens-Management gehört für Frauen auch weiterhin die Care-Arbeit. Denn was die toughen Feministinnen und die patenten Wirtschaftspolitiker nicht umsetzen konnten oder wollten, ist parallel zur beruflichen Gleichberechtigung der Frauen im gleichen Maße die Männer zur Übernahme von Fürsorgeaufgaben zu bringen. Die Konsequenz: Kinder wickeln, staubsaugen und die kranken Eltern pflegen - das erledigen viele Frauen heute noch parallel zu ihrem Job.

Dass trotz einer Kanzlerin und einem Heer bestens ausgebildeter Akademikerinnen auch im Jahr 2015 noch eine Frauenquote notwendig ist, um die Unternehmen an weibliche Führungskräfte zu gewöhnen, zeigt, wie weit im beruflichen Feld der Weg zu echter Gleichberechtigung von Männern und Frauen noch ist. Noch drastischer zeigt sich dies jedoch im Privatleben - spätestens dann, wenn das erste Kind geboren wird.

"Bis zu diesem Moment sagen sehr viele Paare: Wir teilen uns alle Bereiche, Beruf und Hausarbeit fair auf", beobachtet die Soziologin Senghaas-Knobloch. Ist dann das Baby da, stellt sich die Situation ganz anders dar - Paare fallen in die alten Rollenklischees zurück, die sie zumeist noch von ihren eigenen Eltern kennen. "Sobald die finanzielle Rechnung aufgemacht wird, um zu entscheiden, wer beruflich aussetzt oder kürzer tritt, gibt die immer noch oft schlechter bezahlte Frau ihren Job auf", nennt Senghaas-Knobloch einen der Hauptgründe.

Hier kommt es dann außerdem noch zu den Wechselwirkungen mit der Arbeitswelt, die auch im Berufsleben die Benachteiligung von Frauen weiter betonieren. Denn wer im Beruf pausiert, verbaut sich noch immer Karrierechancen. Wer Teilzeit arbeitet, wird schlechter bezahlt. Und beim zweiten Kind ist das Gehaltsgefälle dann noch größer.

Elterngeld - Maßnahme mit homöopathischem Effekt

Sicher, Maßnahmen wie das Elterngeld zeigen durchaus einen Effekt - der aber wohl eher einer homöopathischen Behandlung gleichkommt. Gerade einmal 30 Prozent der Väter nutzen die Elternzeit und setzen beruflich aus, um sich um den Nachwuchs zu kümmern (oder endlich eine Weltreise zu machen). Knapp 80 Prozent derer, die pausieren, wählen den kürzest möglichen Zeitraum, um die finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen zu können: also zwei Monate. Der Datenjournalist Björn Schwentker konstatiert: "Der Trend geht eher zu einer finanziellen Mitnahmementalität denn zu echter Arbeitsteilung am Wickeltisch."

Was die wichtigste und nicht zu unterschätzende Erkenntnis vieler Väter sein dürfte: was für ein knallharter Job diese Sache mit dem Haushalt und der Kinderversorgung ist. Immerhin werden sie ihrer Partnerin hierfür etwas mehr Hochachtung entgegenbringen, wenn sie sich nach zwei Monaten Care-Praktikum wieder in den Beruf zurückkehren. Es bleibt abzuwarten, wie sich das seit Anfang des Jahres geltende Elterngeld Plus auswirkt. Deutlich mehr Erfolg für die Gleichberechtigung verspricht wohl ein anderes politisches Projekt: die 32-Stunden-Woche.

Ähnliche Herausforderungen am Anfang und am Ende des Lebens

Doch so unbefriedigend viele Lösungen für die Kinderbetreuung auch sein mögen - hier stehen staatliche Mittel in größerem Umfang bereit, hier wächst zumindest merkbar die Bereitschaft der Unternehmen, sich auf die Bedürfnisse junger Eltern einzustellen. An beidem mangelt es im Bereich der Pflege alter, gebrechlicher Menschen. In diesem Feld der Care-Arbeit offenbaren sich dramatische Defizite.

"Dabei stehen am Ende des Lebens ganz ähnliche Herausforderungen wie am Anfang des Lebens", sagt die Care-Expertin Senghaas-Knobloch. Sehr junge und sehr alte Menschen seien in ganz besonderem Maße auf Fürsorge angewiesen. "Nur, dass man bei einem Kind weiß, dass dieses an Weisheit, Körperkraft und Geschicklichkeit zulegen und in absehbarer Zeit den Kindergarten und die Schule besuchen wird." Bei alten Menschen hingegen wisse man nicht, wie schnell sie die Kräfte verlassen. Die große Frage, die sich Senghaas-Knobloch zufolge stellt: "Wie kann man diesen unabsehbaren, langsamen Prozess des Alterns und auch des Vergehens von Leben würdig begleiten?"

In zu vielen Fällen wird auf diese Frage noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Steht doch dieser Unterbereich der Care-Arbeit ganz speziell unter Druck. Zum einen führt der demographische Wandel dazu, dass es zwangsläufig immer mehr alte Menschen gibt, von denen viele irgendwann Unterstützung brauchen. Heute sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums etwa 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig. In den kommenden 15 Jahren werden Prognosen zufolge etwas mehr als 700 000 Personen dazukommen, 2040 wird die Zahl bei 3,64 Millionen liegen.

Gleichzeitig wurde seit den Neunzigerjahren der Pflegebereich, wie das gesamte Gesundheitswesen, stärker privatisiert und unter ökonomischen Gesichtspunkten von Effizienz und Kostenersparnis organisiert. "Solange es nur um etwas zusätzliche Unterstützung im Alltag geht, funktionieren ein Pflegedienst oder Pflegegeld gut", sagt Senghaas-Knobloch. Große Schwierigkeiten tun sich ihrer Einschätzung nach besonders dann auf, wenn eine Rundumbetreuung erforderlich ist.

Viele Menschen mittleren Alters stehen unter dreifacher Belastung

Auf drei Säulen ruht dieser Pflege-Bereich, eine bröckeliger als die andere: Betreuung durch Angehörige, Betreuung durch Migrantinnen und Betreuung durch professionelle Pflegedienste und -heime. Ein großer Teil der Pflegebedürftigen, etwa 70 Prozent, werden zu Hause betreut - in vielen Fällen vom Partner oder von den Kindern. Wieder sind es vor allem die Frauen, die Töchter, Schwiegertöchter, Ehefrauen, Schwestern oder Nichten, die sich kümmern - und die besonders unter Druck stehen. Viele von ihnen arbeiten nebenbei. Auf viele Angehörige komme gerade im mittleren Alter gar eine Dreifachbelastung zu, so schon der Befund früherer Familienberichte: Neben dem Job müssen Kinder umsorgt werden - und gleichzeitig melden sich die Eltern mit ersten Gebrechen und Verfallserscheinungen.

Bringen sich Männer in die Pflege von Angehörigen ein - häufig handelt es sich dann um die Ehefrau - stehen diese noch einmal stärker unter Druck, berichtet die Wissenschaftlerin aus der Forschungslandschaft. "Viele haben den Anspruch, alle Anforderungen parallel hinzukriegen." Selbst die Hilfsangebote, die es gibt, beispielweise die Pflegezeit, würden von ihnen nicht wahrgenommen. "Pflegende Ehemänner oder Söhne versuchen, die Pflegeaufgaben oft parallel zu ihrem Vollzeitjob zu lösen und haben hoffentlich zumindest einen verständnisvollen Chef." Solche zeitliche Dauerbelastung schlage sich häufig auch auf die Gesundheit nieder.

Der Staat und die Unternehmen versagen

Egal ob für Frauen oder Männer - dem Staat ist es noch nicht gelungen, Maßnahmenpakete zu schnüren, die pflegende Angehörige tatsächlich mittel- oder auch langfristig entlasten. Von etwa 400 000 berufstätigen Pflegenden in Deutschland machen im Jahr durchschnittlich 135 von der sogenannten Familienpflegezeit Gebrauch, während derer die Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduziert werden kann und ein Kündigungsschutz besteht. Die Beantragung ist kompliziert, finanziert werden kann die Auszeit über zinslose Darlehen, die im Nachgang aber eine substanzielle finanzielle Belastung darstellen.

Von einem Großteil der Unternehmen dürfen Arbeitnehmer auch nur wenig Verständnis und Unterstützung erwarten, wenn sie wegen eines Pflegefalls kürzer treten wollen. Gerade erst hat eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Zentrums für Qualität in der Pflege ergeben, dass zwar zwei Drittel der befragten Firmen die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege für wichtig halten, der Großteil (72 Prozent) aber keine Angebote bietet, um diese zu ermöglichen.

Schwarz beschäftigte Migrantinnen springen ein

Viele Menschen leben jedoch in anderen Städten als die Eltern, sind zu stark eingespannt in sonstige Verpflichtungen oder schrecken vor der großen Aufgabe zurück, sich selbst um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Eine gängige Lösung: Eine externe Person lebt bei dem Kranken und übernimmt die Pflege. Zumeist handelt es sich hierbei um Menschen aus dem Ausland, und - Überraschung - wieder sind es Frauen, die eine Care-Tätigkeit übernehmen.

Tausende Migrantinnen sind in dieser Form beschäftigt, häufig schwarz, jenseits von staatlicher Kontrolle. Sie sind oft isoliert, ohne die Möglichkeit, ihre Arbeitnehmerrechte wahrzunehmen. Diese häufig gut ausgebildeten Frauen aus Osteuropa fehlen dann wiederum in ihren Heimatländern, weiß Senghaas-Knobloch: "Dort werden Fachkräfte absaugt, was zu einer schwierigen sozialen Situation führt."

Wie dramatisch die Situation wiederum in vielen Pflegeheimen ist, ist bekannt: "Minutenpflege", die jeden Handgriff taktet, schlecht bezahltes Personal am Rande des Burnouts, prekäre Anstellungsverhältnisse. Gar eine Verfassungsklage wurde im vergangenen November angestrengt, die den Gesetzgeber "zur Einhaltung verfassungsrechtlicher Verpflichtungen" bewegen soll. Ein einmaliger Fall: Die Klage sei juristisch wagemutig und spektakulär, vor allem aber sei sie menschlich bewegend, kommentierte Heribert Prantl den Fall in der SZ. "Man liest sie fast mit Tränen in den Augen - beschämt über die Zustände in der stationären Pflege für alte und demente Menschen und betroffen davon, dass man über kurz oder lang selbst in die geschilderte Not geraten könnte." Kein Wunder also, dass viele das Thema Pflege am liebsten verdrängen - bis sie oder ein Angehöriger selbst davon betroffen sind.

Der grundsätzliche Blick auf Care-Arbeit muss sich ändern

Wie also wollen, wie können wir die Fürsorge, das Kümmern in Zukunft organisieren - in einer Arbeitswelt, die den Einzelnen weiter unter Druck setzt. Die Ansprüche werden immer höher: Maximal flexibel und ständig verfügbar sollen sie sein, die Arbeitenden. Soziale Sicherungsnetze brechen weg. Die Zahl der Selbstständigen ohne ausreichende Altersvorsorge steigt, die Schere zwischen Armen und Reichen öffnet sich immer weiter.

Die Arbeits-Expertin Senghaas-Knobloch hält es für unerlässlich, die Beschäftigungsverhältnisse all derer, die in der Alten- und Krankenpflege tätig sind, besser zu gestalten, sei es im privaten Haushalt oder in Einrichtungen: "Das betrifft eine ordentliche Bezahlung und ordentliche Arbeitsbedingungen - sodass in dem Bereich Menschen gern tätig sein und bleiben wollen." Gleichzeitig sei mehr Phantasie und Experimentierfreude gefragt, wenn es um neue Konzepte und Organisationsformen für Pflege geht: "Wie lässt sich zum Beispiel die Nachbarschaft einbinden, wie lässt sich die Idee des Mehrgenerationenhauses praktikabel gestalten?"

Doch das alles wird nicht oder nur minimal helfen, wenn sich der grundlegende Blick auf Care, auf Fürsorge nicht ändert. "Es ist kein Bereich, der nach ökonomischer Logik organisiert werden kann", sagt Senghaas-Knobloch. Schließlich gehe es hier darum, Leben zu gestalten. "Wie wollte man denn hier das Effizienzprinzip anlegen, die Arbeitsproduktivität steigern, wenn es doch darum geht, Zeit möglichst gut auszufüllen?"

Care-Arbeit als Chance

Die Organisationslogik muss also eine andere sein. Der französische Vordenker Pierre Rosanvallon schlägt vor, auch Beziehungen als "öffentliches Gut" zu betrachten - so könnten Sorgetätigkeiten, die ja letztlich zu einem großen Teil aus Beziehungspflege bestehen, aufgewertet werden. Die norwegische Soziologin Kari Wærness wiederum hat den Begriff der "Fürsorgerationalität" entwickelt, der honoriert, dass Care-Arbeit nach einer anderen Logik funktioniert und organisiert werden muss als Wirtschaftsprozesse. Mit dem Manifest "Care macht mehr" setzt sich eine Initiativgruppe für gesellschaftlich-politische Veränderungsprozesse ein.

"Sich um andere kümmern zu können und zu sollen, ist eine wichtige Lebenserfahrung", sagt Senghaas-Knobloch. Welche Care-Aufgaben eine Person mit welcher Unterstützung übernimmt, könne ganz unterschiedlich sein. Doch gerade in einer digitalisierten Welt, die sich immer schneller um den Einzelnen dreht, könnten diese Aufgaben Bodenhaftung wiederherstellen. "Die Bedürftigkeit von Menschen am Anfang und am Ende des Lebens zu erfahren, ist etwas, was helfen kann, die Körperlichkeit als eine Grundbedingung der menschlichen Existenz zu erkennen."

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