Hartz-IV-Möbel:Für Herumhocker

24 Euro kostet der Hartz-IV-Sessel, den der Berliner Architekt Le van Bo entworfen hat. Für ein Designer-Möbel ist das spottbillig - doch bequem und stylisch sitzt nur, wer über handwerkliches Geschick verfügt.

Oliver Herwig

Hartz-IV-Möbel: Klingt wie ein Wort, das manchen Leuten herausrutscht, wenn sie im Möbelhaus durch die Fundgrube stromern. Jene Tiefpreis-Abteilungen, die vollgestellt sind mit ausrangierten Möbeln und ramponierten Einrichtungsgegenständen, die nicht mehr unbedingt schön sind, aber billig.

Hartz IV Stuhl Möble Le van Bo

Design-Objekte für lau: Der Berliner Designer Le van Bo hat den Hartz-IV-Sessel kreiert.

(Foto: Cem Guenes)

Aber es gibt ihn wirklich, den Hartz-IV-Sessel. Und er ist ein Design-Objekt, das man sich für kleines Geld selber bauen kann. Der Erfinder des Sessels, Le van Bo, ein junger Berliner Architekt und ehemaliger Hartz- IV-Empfänger, möchte mit dem Möbelstück Menschen ermutigen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Sein Sessel kostet 24 Euro, die detaillierte Bauanleitung verschickt der einstige Hip-Hopper aus dem Wedding gratis per Mail.

Den Rest müssen die Bastler selbst erledigen. Mehr als 700 Anleitungen hat der Architekt im letzten halben Jahr verschickt, an Studenten, Lehrer, Rentner, Arbeitslose und ,,Hartzer'', wie er sie nennt, in Deutschland, Skandinavien, Kanada, den USA. In seinem Blog hartzivmoebel.blogspot.com schreibt er: ,,Wer nicht viel Geld hat, tendiert dazu, sich mit Dingen zu umgeben, die einen gewissen Luxus demonstrieren. Sessel sind letztendlich auch ein Statussymbol. Der 24-Euro-Sessel plädiert für eine bescheidene Lebensqualität ohne Schnickschnack, aber dafür mit zeitloser Eleganz.''

Geld haben die meisten seiner potentiellen Abnehmer nicht. Aber sie haben Zeit. Warum also nicht einen Tag in einer Werkstatt verbringen, um am Ende des Tages einen Sessel nach Hause zu tragen? Die Frage ist nur: Wie soll man ein Möbel bauen, wenn man noch nie eine Hobbyhandwerkerbibel gelesen und kein Werkzeug zu Hause hat? Man kann sich an eine der offenen Werkstätten in Deutschland, Österreich und in der Schweiz wenden. Noch besser ist: Man kennt jemanden, der eine Profi-Werkstatt hat.

Samstagvormittag im Baumarkt

9.45 Uhr

Hartz IV Stuhl Möble Le van Bo

Trotz wenig Geld nicht auf Design verzichten: Le van Bos Hartz-IV-Sessel kann man sich für kleines Geld selber bauen.

(Foto: Cem Guenes)

Es gibt schönere Orte an einem Samstagvormittag als den kalt ausgeleuchteten Baumarkt. Ein Brett muss her, ein großes. Ganz hinten in der Halle ragen Leimholzplatten wie Riesenkaugummis aus ihren Ständern. Buche und Eiche scheiden aus, viel zu teuer. Kiefer passt zu unserem klammen Geldbeutel. Zwei Meter auf 40 Zentimeter, 18 Millimeter stark. ,,Naturwuchs aus heimischen Hölzern'' steht auf dem Zettel hinter der Folie. Fichte für 9,99 Euro. Gut, dass der Heimwerker-Freund mitgekommen ist. Er zückt seine Kundenkarte. Zehn Prozent Rabatt. Spart noch mal einen Euro. Mehr brauchen wir nicht, der Sessel kommt angeblich ohne Schrauben, Nägel und Winkel aus.

10.15 Uhr

In Le van Bos Blog steht: ,,Das Brett im Baumarkt zurechtschneiden lassen. Kostet nichts. Die Maßen sind so handlich, sie passen sogar in den Rucksack, so dass ihr kein Auto braucht, sondern nur U-Bahn oder Fahrrad, um Euren Sessel zu transportieren.'' Uns wurde im Baumarkt gesagt, sie dürften keine Zuschnitte unter zehn Zentimetern vornehmen. Wir müssen wohl selber ran an die Säge. Ein Regen aus Spänen schießt hinter dem Stahlblatt in die Luft, dann fällt der erste Streifen Holz zu Boden. Stück für Stück zerlege ich das Brett in seine Einzelteile. 16 Latten sortieren, kurz verschnaufen. Das sind die Beine? Und das dicke Teil wird die Seitenwange? Und was ist überhaupt eine Seitenwange?

10.35 Uhr

Die Armlehne soll laut Bauplan verzinkt werden, damit der Sessel hält. ,,An den Eckverbindungen eines Stuhls erkennt ihr die Seele des Designobjektes'', heißt es in Le van Bos Blog. ,,Schwalbenschwänze wären perfekt'', meint Tobias, der Heimwerker-Freund - das sind Verbindungen, die ineinandergreifen wie Puzzleteile. Nur müssten wir diese von Hand anreißen, vorsichtig am Riss sägen und mit dem Stemmeisen herausbrechen. Selbst die im Bauplan vorgesehenen einfachen Fingerzinken gleichen einer Geduldsprobe.

Das Holz ist störrisch und bricht immer an der falschen Stelle. Nach dem zweiten Versuch grinst Tobias. ,,Es geht auch anders.'' In seiner Profi-Werkstatt steht ein Nutscheibenfräser, acht Millimeter stark. Dumm nur, dass bei je drei Fingerzinken pro Holzstück zwei Millimeter übrig bleiben bei den Armlehnen. Die sind nämlich fünf Zentimeter stark. Schön sieht das nicht aus. Aber die Optik stellen wir mal hinten an. Nach fast einer Stunde Einrichten fräst sich die Maschine in kaum fünf Minuten durch die Fichte. Hartholz wäre entschieden besser gewesen, aber doppelt so teuer.

Lego war einfacher

Hartz IV Stuhl Möble Le van Bo

Der junge Berliner Architekt Le van Bo ist selbst ehemaliger Hartz- IV-Empfänger und möchte mit dem Möbelstück Menschen ermutigen, ihr Leben in die Hand zu nehmen.

(Foto: Cem Guenes)

11.40 Uhr

Sechs Latten liegen auf dem Tisch. Wir stecken die Armlehne probeweise zusammen, das Holz klemmt und quietscht, will sich nicht verzahnen. Das soll später der Weißleim besorgen. Und die Schraubzwingen. Zuvor alle Stücke markieren. ,,Zusammenzeichnen'', sagt Tobias. Damit die restlichen Teile halten, müssen wir sie dübeln. Das geeignete Werkzeug dafür heißt Langlochbohrmaschine.

12.15 Uhr

Die restlichen Bohrungen - und es sind noch unzählige - müssen wir mit der normalen Bohrmaschine hinkriegen. Was passt noch mal wie zusammen? Langsam verschwimmen die Teile zu einem dreidimensionalen Brei. Wieder und wieder wandert der Finger über den Bauplan. Einzeichnen, anreißen, bohren. Die Finger zittern, der Bohrer wabbelt ins Holz. Das Teil kann man vergessen. Lego war einfacher.

12.35 Uhr

,,Eigentlich sollten wir nach dem Durchdübeln alle Flächen schleifen, die Kanten brechen'', sagt der Profi-Handwerker. Bitte was? Das Sägerau muss weg. Also werfen wir eine Profi-Handschleifmaschine mit integriertem Staubsauger an. Mit Schmirgelpapier wäre man eine gute Stunde beschäftigt gewesen.

12.45 Uhr

Die Lehne verspannen. Vier Zwingen legen sich an die Seiten des Holzquadrats und pressen die Teile zusammen. Weißleim bindet nach zwei Stunden ab. Der hier muss nur acht bis 15 Minuten eingespannt bleiben und härtet dann weiter aus. An einer Ecke wollen die Dübel nicht so, wie ich es will. Die bekommt einen zusätzlichen Eisenwinkel. Sieht nicht gerade wie ein Designobjekt aus, zugegeben.

Der Weg zum Designobjekt

Hartz IV Stuhl Möble Le van Bo

Le van Bo schreibt auf seinem Blog: "Der 24-Euro-Sessel plädiert für eine bescheidene Lebensqualität ohne Schnickschnack, aber dafür mit zeitloser Eleganz.'"

(Foto: Cem Guenes)

13.00 Uhr

Fast drei Stunden vorbei. Das Möbel sieht aus wie ein Patient auf der Intensivstation, zusammengehalten von stählernen Bandagen. Aber das Teil sieht langsam aus wie ein Sessel.

13.30 Uhr

Die beiden Armlehnen halten, die Lehne ebenso, nun müssen die restlichen Querverstrebungen ran. Vier Stangen recken sich in die Luft. Wie aber muss die Lehne ran? Immer wieder im Plan nachschauen und abmessen. Zehn Zentimeter von der Kante, dann gedachte Linie ... ich steige aus. Tobias zückt den Bleistift und setzt die Markierungen.

13.50 Uhr

Alles eingezeichnet. Noch immer keine Brotzeit gemacht. Der Magen bellt. Wir entschließen uns, die restlichen 14 Verbindungen nicht mehr zu dübeln, sondern zu verschrauben.

Den Stuhl neu erfinden

Hartz IV Stuhl Sessel Le van Bo

Der Hartz-IV-Sessel verändert nicht die Welt, sondern unseren Bezug zu ihr. Am Ende liebt man das Teil, auch wenn es vielleicht mehr wackelt als ein Ikea-Schaukelstuhl.

(Foto: Cem Guenes)

14.25 Uhr

Der Sessel wackelt. Holzdübel wären bestimmt besser gewesen. Aber verschraubt ist verschraubt. Wir müssten jetzt nur noch das Rückenteil und die Sitzfläche mit Jute-Gurten bespannen, wie es Le van Bo empfiehlt. Aber wir haben keine Nerven mehr dafür. Sitzen kann man auch so.

,,Konstruieren statt konsumieren'', lautet das Motto des Hartz-IV-Sessels. Von jedem Stück möchte sein Erfinder Le van Bo ein Foto. Auf Nachfrage erzählt er, wie alles begann, und zwar mit einer lockeren Türklinke, die er zum Schmied brachte. Der schaute ihn ungläubig an und meinte, ein Mann müsse so etwas selber machen. ,,Das hat mich angespornt, an der VHS einen Handwerker-Wochenendkurs zu besuchen'', erinnert sich Le van Bo. ,,Aus einem Brett gelang mir dort der Entwurf zu einem Sessel.''

Der bekennende Bauhaus-Fan nennt seine vier Vorbilder: Gerrit Rietvelds ,,Crate Chair'' von 1938, Erich Dieckmanns Armchair von 1928, Marcel Breuers Wassily-Sessel von 1925 und natürlich Mies van der Rohes Barcelona Chair von 1929. Mit ein wenig Phantasie erkennt man sie alle im 24-Euro-Stuhl. Nur das Wort Designer kann Le van Bo nicht leiden. ,,Jeder, der gestaltet, ist ein Gestalter'', entgegnet er. Leute wie Konstantin Grcic mögen den Stuhl vielleicht immer neu erfinden. Das könne er nicht - und er sei sich auch gar nicht so sicher, warum man eigentlich jedes Jahr zur Möbelmesse den Stuhl neu erfinden müsse.

So philosophiert der Konstrukteur gern über wahren Luxus, der mit Geld nichts zu tun habe. Sondern eben eher mit Zeit. Le van Bo spricht von ,,wunderbarer Entschleunigung''. Die alte Diskussion: ,,Es wird zu schnell gelebt'', klagte schon Henry David Thoreau vor 150 Jahren in ,,Walden. Oder Leben in den Wäldern'' und riet zu ,,Einfachheit der Lebensführung und Erhöhung der Bestrebungen.''

Der Hartz-IV-Sessel braucht keinen theoretischen Überbau. Er verändert nicht die Welt, sondern unseren Bezug zu ihr. Am Ende liebt man das Teil, auch wenn es vielleicht mehr wackelt als ein Ikea-Schaukelstuhl.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: