Handys und das Krebsrisiko:Die Angst vor der Technik

Erstmals deutet eine Studie darauf, dass intensive, langjährige Handy-Nutzung eine seltene Form von Gehirnkrebs fördern könnte. Die Reaktion: Ein wildes Durcheinander öffentlicher Meinungen und medialer Darstellungen.

Patrick Illinger

Das Verhältnis zwischen Mensch und Technik ist seit jeher von einem gewissen Irrsinn geprägt.

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein erzeugte die Aussicht auf technische Neuerungen ein grenzenlos euphorisches Bild von der Zukunft.

Noch in den Fünfzigerjahren wurden auch deutsche Hausfrauen mit der Ankündigung atombetriebener Küchen verzückt. 30 Jahre später, nach Seveso, Harrisburg und Tschernobyl, war das öffentliche Ansehen der Technik auf ein Minimum gefallen.

Sogar Gerätschaften ohne medizinisches Bedrohungspotential wurde kurzerhand sozialer Sprengstoff angedichtet. So entstand in den 1970er Jahren zum Beispiel das Märchen vom Jobkiller Computer.

Heute reagiert die moderne Gesellschaft meist tief gespalten auf neue Technologie. Das zeigt sich an Beispielen wie Transrapid, Gentechnik, Kernenergie und Windkraft. Besonders viel Uneinigkeit kam mit dem Mobilfunk auf.

Während ein Teil der weltweit 1,7 Milliarden Handy-Telefonierer derzeit mit kultischer Verehrung nach Cupertino blickt, wo der Multimedia-Konzern Apple am iPhone bastelt, vereinen sich allerorten besorgte und erregte Mobilfunkgegner. Im süddeutschen Oberammergau hat sich der eine oder andere verschreckte Bewohner bereits zum Schlafen in den Wald verzogen.

In diesem Spannungsfeld war eigentlich erwartbar, was passieren würde, wenn, wie in der vergangenen Woche, erstmals eine epidemiologische Studie den Verdacht begründet, dass eine - wohlgemerkt extreme und langjährige - Nutzung des Handys eine seltene Form von Gehirnkrebs fördern könnte.

Statt einer sachlichen Diskussion folgte ein wildes Durcheinander öffentlicher Meinungen und medialer Darstellungen: Wer sowieso längst überzeugt war, dass Mobilfunk nur ein gefährlicher Freilandversuch am lebenden Menschen ist, sieht sein Weltbild endlich bestätigt. Handyfreunde halten die Studien-Ergebnisse schlicht für unmöglich und suchen krampfhaft nach Schwachstellen.

Die Wissenschaftler selbst erschrecken vor dem Echo ihrer Daten und weisen darauf hin, dass ein normaler und sogar häufiger Gebrauch eines Handys kein erhöhtes Risiko darstellt. Nur mit den reinen Fakten will sich die Öffentlichkeit in Sachen Mobilfunk kaum noch ernsthaft beschäftigen.

Diese lauten seit der vergangenen Woche: Erstmals ist im Zusammenhang zwischen Handys und Krebs ein medizinisch wichtiger, statistischer Schwellenwert überschritten worden. Aber Unsicherheiten bleiben, weil die Fallzahlen klein sind, und es schwer ist, von Patienten im Nachhinein genau zu erfahren, wie viel sie in der Vergangenheit telefoniert haben.

Die Wirkung von Mobilfunk auf den biologischen Organismus sollte nun weiter untersucht werden, fordern zu Recht die beteiligten Wissenschaftler.

Handys sind keine Massenvernichtungswaffen

Besorgte sollten jedoch zur Kenntnis nehmen, dass Handys keine Massenvernichtungswaffen sind. Es gibt zwar ein Risiko, doch muss es sehr klein sein. Der zurzeit diskutierten Studie zufolge könnte es sein, dass zwei von 100.000 äußerst viel und jahrelang telefonierenden Menschen deshalb einen seltenen Tumor namens Gliom bekommen. Aber das müssen weitere Studien bestätigen.

Solche Aussagen befriedigen nicht den verständlichen Wunsch vieler Menschen nach klaren Einschätzungen. Doch die Methodik seriöser Wissenschaft ist von großem Wert. Dazu gehört, stets offen dafür zu bleiben, das vermeintlich Gesicherte zu ergänzen, zu korrigieren oder gar komplett umzustürzen.

Der wahre Wert der Wissenschaft liegt weniger in dem gewonnenen Wissen, als in der Art und Weise, wie Erkenntnis erlangt wird. In diesem Prozess ist es ausgeschlossen, die Unschädlichkeit einer Technik endgültig zu beweisen. Das sollte weder Mobilfunkfreunde noch deren Gegner dazu verleiten, aus selbstgemachten Einschätzungen und kollektiven Befürchtungen die eigene Wahrheit zu basteln.

Zwischendurch muss man sich auch den Luxus einer Gesellschaft vergegenwärtigen, in der über kleine statistische Risiken diskutiert werden kann, nachdem viele große Gefahren aus der Geschichte der Menschheit verbannt worden sind, vom Säbelzahntiger bis zu den Pocken.

Wo es Noroviren (unangenehm, aber harmlos) in die Schlagzeilen schaffen, hat es eine biologische Gemeinschaft weit gebracht, gemessen daran, dass der Mensch von Natur aus kein unangreifbarer Android ist.

Auch eine aufgeklärte Menschheit muss mit Gefahren leben. Natürlich ist die Frage berechtigt, ob das Risiko einer neuen Technik eine grundsätzlich andere Kategorie bildet, als biologische Unwägbarkeiten.

Doch lässt sich dieser Diskurs nicht entkoppeln, schließlich lebt die industrialisierte Menschheit gut damit, dass Bedrohungen aus der Natur erst mit neuer Technik beherrschbar wurden. Spannend ist auch das Gedankenspiel, ob sich die Menschheit heute für eine neue Technik entscheiden würde, wenn sie wüsste, dass diese allein in Deutschland jährlich 5000 Menschen tötet.

Diese Technik gibt es längst. Sie nennt sich Auto und müsste mindestens so viele Bürgerinitiativen und Studien auslösen wie Funkmasten in der Nachbarschaft.

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