Handwerk:Vollholz voraus

Früher trugen viele Schiffe Galionsfiguren, heute verzieren vor allem Millionäre ihre Yachten damit. Besuch beim Ehepaar Hartmann, das mit seinen Skulpturen in einer völlig neuen Welt landete.

Von Peter Burghardt

Sie nahm ein Blatt Papier und zeichnete, so begann auch diese Mission für die Weltmeere. Birgit Hartmann skizzierte eine sirenenhafte Frau mit wallendem Haar und einem exotischen Muschelhorn an den Lippen. Der Auftraggeber wird bald in die Südsee segeln, da war dies das passende Motiv. Das Holz stammt aus einem Walnussbaum, der am Rande Bremens gefallen ist, ganz in der Nähe dieser Werkstatt. Claus Hartmann sägte, schlug und schnitzte die Galionsfigur wochenlang aus dem Stamm. Passgerecht musste sie sein, windschnittig und seefest. Am Ende polierte er das Werk mit salzwasserresistentem Öl und brachte es in die Elsflether Werft, nur ein paar Kilometer entfernt, dort lag der Zweimaster Avontuur auf Kiel.

Am Bug des weißen Frachtseglers geht die Muschelfrau nun auf ihre Reise, sie ist die 39. Galionsfigur der Hartmanns. Das Schmuckstück gehört zu einer Geschichte, die von Mythen handelt, von Monarchen und Magnaten. Niemand kann sie besser erzählen als diese beiden Künstler aus Harriersand, einer Insel in der Weser. Wer außer ihnen baut überhaupt noch berufsmäßig Galionsfiguren?

Die Avontuur - Abenteuer - gefiel ihnen sofort, denn sie soll Ladung wie früher mit Windkraft bewegen, ohne die Natur zu verpesten. "Da haben wir einen Sonderpreis gemacht", sagt Claus Hartmann. Der Kapitän und Unternehmer Cornelius Bockermann ließ den holländischen Schoner aus dem Jahre 1920 kürzlich an der Unterweser umbauen. Dann fuhr das fertige Schiff an Hartmanns wildem Garten vorbei nach Bremerhaven. Durch die Nordsee ging es weiter Richtung Azoren, Karibik, Panamakanal und Pazifik nach Cairns, wo die Avontuur zwischen Australien und Polynesien ihren Dienst aufnehmen soll.

Schon Einbäume wurden früher verziert, um die Elemente gnädig zu stimmen

Weitere Kreationen sind in Hartmanns Atelier zu bewundern, es liegt in einem Bauernhaus, einem eingewachsenen Idyll zwischen Deich und Fluss. Als Kind verbrachte Claus Hartmann mit seinen Eltern hier die Ferien. Sein Vater war Architekt und bastelte gerne Spielzeug - das Geschick hat er geerbt. Inzwischen lebt das Ehepaar mit Tochter und Sohn auf diesem einsamen Hof am Ufer und pflegt hinter windschiefen Bäumen eine Kunst, die jeder kennt und kaum mehr jemand beherrscht. Die Hartmanns haben eine Marktlücke entdeckt, die ihr Leben verändert hat, dabei gab es einst in jeder Hafenstadt einen sogenannten Schiffsbildhauer und Vergolder. Schon Einbäume wurden früher verziert, um die Elemente gnädig zu stimmen. Das Meer, der Mensch, die Weite, die Einsamkeit. Große Themen. "Unsere Vorfahren haben ihre Welt beseelt mit Geschichten, Göttern, Wesen", sagt Claus Hartmann. Der 58-Jährige mit den grauen Bartstoppeln sitzt jetzt in Jeans und T-Shirt sehr entspannt unter einem alten Schiffsmodell in seinem enormen Wohnzimmer, einem umgebauten Heuschober.

Galionsfiguren Atelier

Claus und Birgit Hartmanns neuestes Werk, ein schwerer Galionsmann, streckt dem Ziel eine Friedenstaube entgegen. Er soll ein russisches Schiff namens Mir (Frieden) zieren.

(Foto: Action Press)

Die martialischen oder pompösen Skulpturen an Galeeren und Galeonen sollten früher Angst einjagen, Macht demonstrieren und den Kurs sichern, ehe Kanonen, Logistik und Dynamik wichtiger wurden als Aberglaube und Romantik. Später kam die Ära der Klipper und Dampfer, und längst schleppen Containerriesen globalisierte Waren über die Ozeane. Da verkamen Nixen oder Löwen im Zweifel zum Ballast.

Aber die Faszination der Figuren hat sich gehalten. Claus Hartmann hat gehört, dass manche Besatzungen angeblich noch immer abheuern, wenn die Galionsfigur fehlt. "Wer weiß denn schon, wie die Welt wirklich tickt", sagt er, "was sie zusammenhält, und ob es die Fabelwesen nicht gibt. Keine Ahnung." So verwandelte sich Claus Hartmann vom werdenden Arzt in einen der letzten Schiffsbildhauer und Vergolder und stieß mit seiner Partnerin bis ins Reich von Königen und James Bond vor.

Er war nach dem Zivildienst erst Heilpraktiker geworden und hatte danach Medizin studiert, bevor ihm vor 22 Jahren diese Idee kam. Wieso nicht nebenbei jene Gestalten formen, die ihn schon in jungen Jahren so fasziniert hatten? Mehrere seiner Vorfahren waren Seeleute, sein Urgroßvater hatte immer wieder historische Relikte von seinen Reisen mitgebracht. Außerdem suchte der Enkel nach kreativer Abwechslung. "Wollt ihr eine Galionsfigur?", erkundigte sich Claus Hartmann, als er in der Elsflether Werft 1994 ein Segelschiff entdeckte. Er präsentierte Fotos und Schnitzereien, und "die haben zugeschlagen". Dazu passte, dass er in jenem Jahr eine junge Grafikerin kennenlernte, seine heutige Frau Birgit.

Der erste Auftrag war ein Glücksgriff: die Lili Marleen des Reeders Peter Deilmann, dem auch das Traumschiff MS Deutschland gehörte. Sie blätterten Bildbände durch und entschieden sich für eine klassische Version. Claus Hartmann verleimte Kiefernholz und legte los, die weiß getünchte Lili wurde schließlich mit Bolzen unter dem Klüverbaum befestigt. Deilmann ist längst gestorben, und die Lili Marleen fährt heute unter malaysischer Flagge vor Asien. Aber immer noch mit Hartmanns Lili. Es folgte der Dreimaster Großherzogin Elisabeth, die Hartmanns lieferten ein Modell der Namensgeberin im Faltenrock. Sie erkannten, dass sich mit Galionsfiguren Geld verdienen und eine Tradition bewahren ließ. Es machte Spaß. Sie wurden Profis.

Claus Hartmann

"Wer weiß denn schon, wie die Welt wirklich tickt. Was sie zusammenhält, und ob es die Fabelwesen nicht gibt. Keine Ahnung."

Das Paar fuhr im Campingbus zu Windjammerparaden wie dem Hamburger Hafengeburtstag, der Hanse Sail in Rostock oder der Kieler Woche und bot seine ungewöhnlichen Dienste an. Claus Hartmann hatte gedacht, als erfolgreicher Kunstmensch müsse man durchgeknallt sein, doch es funktionierte. Sie bestückten Schiff um Schiff, für fünfstellige Summen pro Galionsfigur.

1997 bekam der Großtoppschoner Fridtjof Nansen einen Inuit mit Kapuzenanorak aus gemasertem Ulmenholz, bewaffnet mit einer Knochenharpune. Der norwegische Polarforscher, nach dem das Schiff benannt ist, hatte viel mit arktischen Jägern zu tun gehabt, daher das Design. Der Signora del Vento aus Italien schufen die Hartmanns 1998 eine Schönheit mit Friedenstaube, die zu schweben scheint. Für die Sedov aus Russland restaurierten sie 1999 die kyrillischen Initialen und das Wappen der Fischereiakademie Murmansk. Die Khersones von der Krim erhielt eine vergoldete Möwe, die Roter Sand eine weiße Möwe aus Eiche. Zum Portfolio der Firma gehören auch die berühmte Gorch Fock, die Alexander von Humboldt II, die Mare Frisum oder der Viermaster Sea Cloud, eine luxuriöse Kreuzfahrt-Bark.

Ein Höhepunkt war erreicht, als der schwedisch-monegassische Geschäftsmann Mikael Krafft zur Jahrtausendwende seinen Edelfünfmaster Royal Clipper schmücken ließ. Birgit Hartmann passte Kraffts Tochter Marie eine Gipsmaske an, nach dieser Vorlage wurde das Gesicht für die Kopie aus Lerche modelliert. "Weiß du noch, wie du die Augen geschnitzt hast?", fragt Claus Hartmann. "Die Pupillen kamen heraus, als ob sie sich bewegen."

Über eine Holzfigur landeten die Hartmanns in der High Society

Birgit und Claus Hartmann luden die Holz-Marie auf einen Anhänger, schleppten sie nach Rotterdam und montierten. An der Jungfernfahrt der Royal Clipper nach London durften sie in einer Suite teilnehmen, in Cannes gaben sie ihrem Werk den letzten Anstrich. Zur Schiffsweihe flog Schwedens Königin Silvia ein, sie sprach leise und gewählt. Auch 007-Darsteller Roger Moore und seine dänische Millionärsgattin waren geladen. Man schlief an Bord und stand beim Smalltalk an der Bar.

Galionsfiguren Atelier

Auf ihrem Hof auf der Weserinsel Harriersand entwerfen und schnitzen die Hartmanns windschnittige Figuren.

(Foto: Action Press)

So landeten die Hartmanns über eine Holzfigur in der High Society. Mikael Krafft öffnete ihnen die Tür zur Yacht-Show in Monaco, sie stellten dort aus und besichtigten die Superreichen. "Fette Partys, der schiere Wahnsinn", berichtet Claus Hartmann. "Skurrile Szene, interessant. Und anstrengend." Sie nahmen die Exkursionen zum Jetset mit Humor, wohnten zwischen all den Millionärsvillen in preiswerten Hotels und kehrten gerne zurück in ihr Biotop, wo sie nun auf einer walförmigen Holzbank in die Sonne blinzeln.

Ihr Job braucht Zeit und gewährt Muße. Wozu Aufregung und Stress? Birgit Hartmann lobt den Charme von Roger Moore. Weniger vergnügt erinnert sie sich an arabische Multimillionäre, die Frauen öffentlich ignorieren. Die Hartmanns erzählen von russischer Freude an teuren Yachten und von betuchten Kunden, deren Namen sie nicht einmal kennen, weil sie die Aufträge für die Galionsfiguren über Mittelsmänner bekamen.

Immer mal wieder wünschen sich Interessenten auch Dekoration für ihr Zuhause. Die Skulpturen oder Reliefe aus Harriersand landeten bei einer Witwe eines Industriellen vom Starnberger See oder in einem Haus auf Spiekeroog. Der Schauspieler Maximilian Schell erhielt einen Preis für sein Lebenswerk, den Birgit Hartmann entworfen hatte - eine handliche Plastik.

Der Muskelmann aus Eiche ist ein Kontrast zu den üblichen Meeresdamen

Galionsfiguren sind Kunst und Handwerk zugleich, es geht um sanfte Formen und schwere Geräte. Vor dem Feinschliff fliegen Späne. Sie sollen nicht nur hübsch aussehen und Sagen oder Menschen verkörpern, sondern auch Wind und Wetter standhalten. Die Gorch Fock der Bundesmarine verlor ihren Albatros seit 1958 fünfmal. 2002 lieferten die Hartmanns Ersatz aus Eschenholz, 2003 ging auch dieser Albatros verloren - diesmal in der stürmischen Biskaya. Nummer sechs besteht aus karbonverstärktem Kunststoff, der Bund der Steuerzahler rügte die Kosten von 114 000 Euro.

Handwerk: Und so sieht es aus, wenn eine der Figuren montiert ist: Die Meerfrau, die in ein Muschelhorn bläst, ist ebenfalls eine Kreation der Hartmanns.

Und so sieht es aus, wenn eine der Figuren montiert ist: Die Meerfrau, die in ein Muschelhorn bläst, ist ebenfalls eine Kreation der Hartmanns.

"39 Schiffe, auf allen Weltmeeren", sagt Claus Hartmann. Das ist ihre Bilanz. Da kann kein Konkurrent mithalten, auch wenn in Mexiko, den USA, Holland oder Australien vereinzelt Tischler und Bildhauer ähnliche Arbeiten schreinern. Manchmal schaut Claus Hartmann im Internet nach, wo seine Galionsfiguren gerade unterwegs sind. Kap Hoorn, Elbe, Ägäis. Neue Projekte sind in Planung, zum Beispiel für ein indonesisches Segelschulschiff. Ein Deal mit dem russischen Segelschulschiff Mir war bereits vereinbart. Der grob behauene Muskelmann aus Eichenholz, Kontrast zu den üblichen Meeresdamen, hängt in der Werkstatt tonnenschwer an einer Kette, in der erhobenen linken Hand eine Taube. Mir bedeutet Frieden. Der Streit zwischen der EU und Moskau hat die Pläne fürs Erste gebremst, doch Claus Hartmann ist zuversichtlich.

Wenn es nicht klappt, dann bekommt den Koloss halt jemand anders. So wie vor einiger Zeit im Falle der hölzernen Harfenspielerin für den Dreimastschoner der Kelly-Family. Die Iren zögerten so lange, bis die Hartmanns die Galionsfigur Spaziergängern aus der Pfalz verkauften, die zufällig an ihrem Haus vorbeikamen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: