Günther Krabbenhöft übers Altern:"Lebt wild und gefährlich!"

Ältester Hipster Deutschlands

Kein Hipster, trotzdem hip: Günther Anton Krabbenhöft aus Berlin.

(Foto: privat)

Irgendwann im Spätsommer tauchte ein Bild im Netz auf, das einen sorgsam und sehr modisch gekleideten älteren Herren in Berlin zeigte. Blogs wurden auf ihn aufmerksam, verehrten ihn als Stilgott, schließlich nannte ihn die US-Cosmopolitan "Deutschlands ältesten Hipster", der in den Hauptstadt-Clubs gefeiert werde. In der Tat ist Günther Anton Krabbenhöft gerade schwer angesagt in Berlin.

Einiges wurde ihm aber auch angedichtet, wie der Gehypte bei einem Tässchen Kakao in seinem Stammcafé "Chocolateria Sünde" in Kreuzberg erzählt. Wie immer trés chic in dunkler Jeans, edler Weste, rotem Einstecktuch und Hut - in Weinrot, wie man es derzeit trägt.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

SZ: Herr Krabbenhöft, Sie sind weder ein Hipster noch 104 Jahre alt. Wieso wird das ständig kolportiert?

Krabbenhöft: Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist. Eine Freundin, die DJane in London ist, fragte mich im Sommer: Weißt du eigentlich, was hier los ist, Günther? Da habe ich zum ersten Mal davon gehört.

Auslöser war ein Foto, das ein Tourist am Kottbusser Tor von Ihnen gemacht haben soll, und das sich über die sozialen Netzwerke stark verbreitete. Davon wusste auch Ihre Werbeagentur nichts?

Nein, die Agentur hatte mich schon vorher auf der Straße angesprochen, da war ich aber eher in der Kartei. Inzwischen haben die ziemlich viel zu tun mit mir. Und den Touristen hatte ich eigentlich gebeten, das Foto nicht auf Facebook zu stellen. Jetzt müssen wir mal gucken, wo das überall aufgetaucht ist.

Halten wir fest: Sie sind nicht 104, sondern 70 Jahre alt. Sie sind kein Hipster, sondern eher wie ein Dandy gekleidet. Und Sie mögen Hipster nicht mal besonders?

Ich mag nicht, wenn Leute in der Masse untergehen. Viele junge Leute denken zwar, dass sie individuell aussehen, aber sie tun es nicht. Weil jeder sich so kleidet wie die anderen. Ich mag es, wenn sich jemand wirklich Gedanken über sein Äußeres macht, einen eigenen Stil hat. Wer als junger Mensch in der Masse untergeht, rennt im Alter genauso wie die jetzigen Rentner in beigen Jacken rum und ist unsichtbar. Das sind genau dieselben Leute.

Sie benehmen sich allerdings ein bisschen wie ein Hipster, denn Sie gehen neuerdings gerne ins Berghain. Wie kam das?

Ich habe immer schon gerne getanzt, aber irgendwann, so mit 50, dachte ich: Die jungen Leute wollen mich nicht mehr dabei haben. Auf privaten Partys war ich aber immer derjenige, der am längsten getanzt hat. Im Februar war ich dann an einem Sonntagnachmittag in der U-Bahn unterwegs und wurde von zwei jungen Mädchen angesprochen, die meinen Style mochten. Die meinten: Komm doch mit ins Berghain! Und weil ich das schon immer mal sehen wollte, bin ich mitgegangen.

Sie wussten, was Sie da erwartet?

Ja, ich wusste von den Türstehern, den Darkrooms, und der Musik, die ich schon vorher interessant fand. Und die Mädchen haben mir dann ganz entzückend alles genau gezeigt, wo man was machen darf und wo nicht. Das war ein unglaubliches Gefühl, durch diese düsteren mysteriösen Hallen zu laufen, unter diesem dröhnenden Beat, wo an jeder Ecke Licht aufflackert, und die abgefahrensten Gestalten an einem vorbeihuschen, manche auch ohne Kleidung.

Die Tür war also kein Problem?

Nein, das war so: Die jungen Damen vor mir wurden nach ihrem Ausweis gefragt. Da habe ich gefragt, ob ich auch meinen Ausweis zeigen muss. Später habe ich mal den berühmten Türsteher, der an dem Abend nicht da war, auf einer Party kennengelernt. Ich weiß jetzt, dass es denen nicht aufs Äußere ankommt. Man muss ausstrahlen, dass man diese Party will.

Und Sie wollen diese Party seitdem immer wieder?

Ja, ich gehe oft ins Berghain, letzten Sonntag war ich wieder da. Ich habe auch andere Clubs ausprobiert, das Sisyphos, Kater Blau, Ritter Butzke oder Farbfernseher. Aber es geht nichts über das Original. Unbeschreiblich, was da passiert: Diese Energie, die einen da beim Tanzen durchflutet, das ist etwas ganz Wunderbares. Die jungen Leute kommen auf mich zu und loben mich und meinen Groove und meinen Stil. Das würden die ja nie mit einem Erwachsenen machen, wenn sie das nicht ernst meinen würden. Wenn ich diesen Zuspruch nicht hätte, würde ich das gar nicht tun. Wie ich da von jungen Mädchen angehimmelt werde - kaum zu glauben. Manche würden mich vielleicht gerne als Opa haben.

"Das Berghain lässt sich gut in meinen Alltag integrieren"

Ein zweiter Frühling?

Naja, ich tanze einfach gerne. Früher hätte ich mich das nie getraut, ich wäre mir komisch vorgekommen unter den Jungen. Aber jetzt ist es eben so gekommen und ich finde das ganz toll. Außerdem lässt sich das Berghain gut in meinen Alltag integrieren.

Inwiefern?

Ich gehe sonntags mittags hin und tanze sieben, acht Stunden. Seitdem kann ich mein anderes Fitnessprogramm sein lassen, ich brauche nur noch ein bisschen Krafttraining nebenher. Ansonsten kann ich meine Tage ganz normal gestalten wie vorher, mit viel Kultur und Theater. Die Nächte durchtanzen und erst um ein Uhr nachts anfangen, wie man das woanders macht, könnte ich nicht. Ich habe in meinem Leben so lange gearbeitet, ich könnte gar nicht länger schlafen - um sieben Uhr wache ich auf.

Sie waren Koch - warum nicht Designer oder Stylist, wenn Ihnen das Styling so liegt?

Das hätte mir wohl gut gefallen, ja. Aber ich war niemand, der aufbegehrt hat, sondern habe gemacht, was meine Eltern mir vorgegeben haben. Und das war dann eben Koch. Am Anfang war es schwer für mich, aber es war okay. Ein ganz normaler Beruf.

Aber Sie könnten es jetzt noch machen. Schließlich leben Sie gerade Ihre Leidenschaften aus. Viele junge Leute fragen Sie nach Stylingtipps.

Ja, wenn mich jemand als Stylingberater haben will - gerne! Ich bin aber ein Typ, der die Dinge eher auf sich zukommen lässt. Ich lebe ansonsten von meiner kleinen Rente und bin damit eigentlich zufrieden.

Und woher kommt nun ihr Style?

Ich habe mich immer schon mit Mode beschäftigt. In Hannover, wo ich aufgewachsen bin, sind wir früher sogar im Minirock rumgerannt, als der Minirock für den Mann gerade rauskam. Mit Römersandalen dazu! Das haben wir aber schnell wieder sein lassen. Als ich vor über 30 Jahren nach Kreuzberg kam, habe ich mich auch im hier typisch alternativen Look vor allem schwarz gekleidet - aber immer schon besonders, mit einem persönlichen Twist. Ich habe mich immer wieder verändert, und damit auch meine Kleidung. Sie sollte zu mir passen.

Nicht jeder macht sich damit so viel Mühe, gerade die Deutschen kleiden sich gerne praktisch. Das lag Ihnen nicht?

Nein, denn ich mache mir ja auch über mein Inneres viele Gedanken. Ob das alles im Einklang ist. Deshalb habe ich mich zuletzt auch zwei Jahre lang aufs Land zurückgezogen, um zu mir selbst zu finden. Nur ich und eine Wochenzeitung, das kann ich nur empfehlen. Da lernt man sich selbst gut kennen. Dazu gehört eben auch, dass man weiß, was man tragen kann. Altersgemäße Kleidung war mir immer wichtig. Aber es durfte nie zu perfekt sein.

Was raten Sie Leuten, die heute jung sind?

Lebt wild und gefährlich!

Gehen Ihre Enkel auch mit Ihnen tanzen?

Nein, die kommen eher, wenn sie Geld wollen (lacht). Aber ich habe so lange Zeit alle meine Pflichten erfüllt. Jetzt bin ich mal dran und kann machen, was ich will.

Sie haben Ihre Tochter zehn Jahre lang alleine aufgezogen - und zwar antiautoritär, was Ihnen beiden jetzt leid tut, sagten Sie in einem Interview. Warum?

Es war die Zeit der 68er. Ich selbst bin konservativ erzogen worden und wollte alles besser machen. Meine Tochter sagt mir heute, sie hätte gerne mehr Grenzen und Vorgaben gehabt. Und ich sehe das heute auch ein bisschen anders als damals.

Was halten Sie von den heutigen Helikoptereltern?

Ganz schlimm. Wir haben damals bei Partys die Kinder nebenan in den Jacken schlafen lassen, dann sind die eben mal später ins Bett gekommen, na und? Was da heute passiert, kann ich nicht nachvollziehen. Auch wenn junge Männer ihre Kids stolz wie Oscar vor sich hertragen: Was soll das? Kinder zu bekommen, ist ein ganz natürlicher Vorgang, keine Leistungsschau!

Sehen Sie einen Unterschied zwischen der heutigen Generation und der Ihren damals, als Sie jung waren?

Es gibt keine wirklichen Unterschiede, nur andere Umstände. Die großen Dinge bleiben gleich. Damals, nach dem Krieg, hatten wir das Gefühl, dass alles aufwärts geht. Ich bin 1945 geboren: die erste Generation, die durchgehend Frieden in Europa erlebt hat. Krisen gibt es immer zwischendurch, und die Jugendarbeitslosigkeit ist schon ein Problem. Aber dass sich jetzt viele so gestresst fühlen, liegt doch daran, dass wir inzwischen wahnsinnig viele Informationen haben und sie trotzdem nicht alle verarbeiten können.

"Ich hätte nichts dagegen, auf der Tanzfläche zu sterben"

Waren Sie jemals Mitglied in einer Partei?

Mitglied nicht, aber ich habe immer eher links gewählt.

Was ist der Unterschied zwischen der Flower-Power-Ära und der Techno-Bewegung, in der Sie sich jetzt tummeln?

Ach, so unterschiedlich ist das nicht. Früher hat man sich eben zugedröhnt zum Tanzen. Die Leute sollen das ruhig ausprobieren; sie werden merken, dass sie sich davon zu viel versprechen.

In Technokreisen wird aber auch nicht wenig konsumiert. Schon mal was von den neuen Drogen probiert?

Nein, da reicht mir die Musik. Ich trinke auch kaum Alkohol. Ich verstehe die jungen Leute nicht, die da hingehen und nur rumstehen. Ich würde die am liebsten schütteln.

Das liegt vielleicht daran, dass nicht jeder so gerne tanzt wie Sie.

Aber zum Tanzen geht man doch da hin! Wenn ich Gespräche führen will, gehe ich in eine Bar, aber doch nicht ins Berghain! Aber ich will niemandem Vorschriften machen. Es soll wirklich jeder machen, was er will. Ich merke nur meine Endlichkeit und bin froh, dass ich das überhaupt nochmal erleben darf.

Dann reden wir über Endlichkeit. Glauben Sie an Gott?

An Gott in dem Sinne nicht, aber ich glaube an etwas, was uns zusammenhält. Und sei es eine Art von Energie.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Ich habe jahrelang in der Sterbebegleitung mit Aidskranken gearbeitet. Damals dachte ich, ich hätte die Angst überwunden. Aber jetzt weiß ich: Jeder stirbt alleine, es kann jederzeit passieren. Wenn ich Glück habe, hält ein guter Freund, von denen ich glücklicherweise seit 30 Jahren einige habe, dabei meine Hand. Wenn ich Pech habe, werde ich vom Auto angefahren und verrecke jämmerlich im Staub. Niemand weiß das. Das ist die letzte große Herausforderung.

Geht jemand wie Sie in ein Altersheim?

Ich bin schon vor über 30 Jahren nach der Trennung von meiner Frau mit meiner Tochter in das Haus gezogen, in dem ich jetzt wohne. Zusammen mit mehreren fast Gleichaltrigen, die alleinerziehend oder Single oder ähnliches waren. Wir helfen uns untereinander. Ich hoffe, dass ich da so lange wohnen kann, wie es nur geht.

Also eine Art früh bezogene Alters-WG?

Ja, so ähnlich. Ich hätte aber auch gar nichts dagegen, wenn ich auf der Tanzfläche sterben würde. Die Leute drum rum täten mir halt leid. Aber dann müssten sie eben mal eine Stunde pausieren und danach weiter tanzen. Am allerliebsten wäre mir, sie würden um mich herum raven zu meiner Beerdigung. Das hätte ich früher nie gedacht, aber seit ich dieses mystische Gefühl kenne, dieses absolute Glücksgefühl, das ich beim Raven habe, kann ich mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen für diesen Moment.

Sie sehen aber ziemlich fit aus. Irgendwelche Krankheiten, die Sie - oder jetzt, nach dem Interview, einen Clubbetreiber - beunruhigen müssten?

Nein, gar nichts. Meine Mutter ist 94 geworden. Wenn ich Glück habe, und ich bin ihr sehr ähnlich, kann ich noch lange tanzen gehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: