Grippe - Gefahr und Schutz:"Die Zeit ist reif für eine neue Pandemie"

Mehr als 20 Millionen Menschen starben 1918 bis 1920 an der Spanischen Grippe. Hans-Dieter Nothdurft erklärt, warum - und welche Gefahr heute droht.

B. Lutz-Temsch

Die Bilder der großen Grippe-Pandemien des vergangenen Jahrhunderts zeigen ein apokalyptisches Bild: Säle voll mit Kranken, Pflegepersonal mit Mundschutz, leidende und sterbende Menschen. Professor Hans-Dieter Nothdurft vom Münchner Tropeninstitut erklärt, warum bei den Pandemien so viele Menschen starben, und welche Gefahr heute droht.

Grippe - Gefahr und Schutz: Die Spanische Grippe breitete sich rasend schnell aus - hier eine Aufnahme aus einem Hospital in Kansas.

Die Spanische Grippe breitete sich rasend schnell aus - hier eine Aufnahme aus einem Hospital in Kansas.

(Foto: Foto: The Inside Story - Nicholls H, PLoS Biology Vol. 4/2/2006, e50 http://dx.doi)

sueddeutsche.de: An der Spanischen Grippe sind zwischen 1918 und 1920 mindestens 20 Millionen Menschen gestorben. Wie kam es zu dieser hohen Zahl an Toten?

Hans-Dieter Nothdurft: Die Spanische Grippe hat sich sehr rasant über ganz Europa bis nach Russland und dann weiter nach Grönland ausgebreitet. Man weiß heute, dass der Erreger damals schon das Vogelgrippevirus war, das durch eine Mutation auf den Menschen übergehen konnte.

sueddeutsche.de: Wie konnte sich dieses Virus so schnell ausbreiten?

Nothdurft: Das lag genau an dem Umstand, vor dem man sich auch heute wieder fürchtet: Grundsätzlich haben die Menschen durch den Kontakt mit Grippeviren eine gewisse Immunität entwickelt. Wenn sich ein Virenstamm aber nun verändert, kann diese Immunität völlig verlorengehen.

Deshalb sind bei der Spanischen Grippe auch hauptsächlich junge Leute gestorben. Man befürchtet, dass sich wieder ein neues Virus entwickelt und es zu einer neuen Pandemie kommt - wie 1918 bei der Spanischen, 1957 bei der Asiatischen und 1968 bei der Hongkong-Grippe. Seitdem gab es keine Pandemie mehr. Nach Meinung vieler Experten ist die Zeit "reif" für eine neue - man weiß nur nicht, ob das morgen oder nächstes Jahr passieren wird.

sueddeutsche.de: Warum mutieren die Viren?

Nothdurft: Das hat zweierlei Ursachen: Zum einen ist das Grippevirus ein sehr instabiles Virus, das sich sehr leicht unter natürlichen Bedingungen verändert. Deswegen muss jährlich neu geimpft werden, und zwar gegen den Stamm, der weltweit als der wahrscheinlichste ermittelt wird. Zum anderen hat das Virus nicht nur den Menschen als Reservoir, sondern auch viele Tiere, zum Beispiel Schweine und Geflügel - deswegen besteht ein sehr hohes Potential an Vermischungsmöglichkeiten.

sueddeutsche.de: Und aus diesen Vermischungsmöglichkeiten ergibt sich dann der neue Stamm ...

Nothdurft: Genau. Und im Tierreich existiert ein hochvirulentes Virus, das H5N1, das sogenannte Vogelgrippevirus, das aber bisher den Sprung zum Menschen kaum geschafft hat.

sueddeutsche.de: Aber es hat ihn geschafft.

Nothdurft: Ja, es gab weltweit insgesamt 300 menschliche Erkrankungsfälle, weil das Virus nur schlecht von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Wenn sich das ändert, dann wäre die Situation komplett anders.

sueddeutsche.de: Wie viele sind von den 300 gestorben?

Nothdurft: Mehr als die Hälfte.

sueddeutsche.de: Ist diese hohe Mortalität für einen solchen mutierten Stamm normal?

Nothdurft: Ja. Man geht davon aus, dass ein verändertes Grippevirus etwa 30 Prozent der Menschheit befallen würde. Und von diesen 30 Prozent kann knapp die Hälfte sterben - es handelt sich also um unglaublich hohe Zahlen.

sueddeutsche.de: 1918 gab es noch keinen Impfstoff - könnte man heute schon bei Beginn der Epidemie impfen?

Nothdurft: Deswegen werden sogenannte Mock-up-Impfstoffe entwickelt: Wir verfügen über die Technologie, einen Impfstoff gegen ein bestimmtes Virus zu entwickeln und diesen in großer Anzahl zu produzieren. Wir gehen davon aus, dass man diese Virusart relativ schnell ändern und den Impfstoff somit auf die entsprechende Situation einstellen kann. Das würde allerdings noch immer bedeuten, dass man mindestens sechs bis acht Wochen braucht, um einen wirkungsvollen Impfstoff zur Verfügung zu haben.

sueddeutsche.de: Was geschieht in dieser Zeit ohne Impfstoff?

Nothdurft: Dafür haben Staat und Bundesländer Reserven an Grippemitteln eingelagert, die für die Behandlung eingesetzt werden können.

sueddeutsche.de: Sind in diesem Katastrophenplan auch Quarantänestationen vorgesehen?

Nothdurft: Dieses Szenario wurde wieder aufgegeben. Eine Weile hatte man sogenannte Fieberkliniken im Konzept. Aber jetzt ist geplant, dass man die Präparate über das normale klinische System, also Apotheken und Hausärzte abgeben würde. Und vor allem würden die sogenannten Ersthelfer bevorzugt mit diesen Präparaten bedient werden - also diejenigen, die für die Aufrechterhaltung von Gesundheit, Sicherheit und Ordnung zuständig sind wie Polizei, Feuerwehr und medizinisches Personal.

sueddeutsche.de: Weg von der Epidemie durch mutierte Viren - wie viele Menschen erkranken jährlich in Deutschland an der Grippe?

Nothdurft: Das ist wegen einer hohen Dunkelziffer schwer zu sagen, aber man geht davon aus, dass in Deutschland jährlich etwa 4000 Menschen an Grippe sterben. Davon sind vor allem Ältere und Säuglinge betroffen. Deswegen wird in Deutschland grundsätzlich jedem über 60 empfohlen, sich gegen Grippe impfen zu lassen.

sueddeutsche.de: Ist diese Impfung tatsächlich sinnvoll?

Nothdurft: Sie ist nicht ideal, weil sie anders als zum Beispiel die Impfung gegen Tetanus nicht hundertprozentig schützt, sondern nur einen Schutz von 50 bis 80 Prozent bietet - aber das ist immer noch besser, als wenn man nicht geimpft ist.

sueddeutsche.de: Woran sterben die Menschen - an der Grippe selbst oder an Begleiterkrankungen?

Nothdurft: Meistens an den Komplikationen der Grippe. Die echte Virusgrippe ist ein Krankheitsbild mit sehr hohem Fieber und einem Befall der Luftröhre, so dass schließlich eine Lungenentzündung entstehen kann. Daran und an den sich ergebenden Herz-Kreislauf-Problemen kann man sterben. Das Problem ist, dass es kaum eine Behandlung gibt. Es gibt zwar Medikamente, diese müssen jedoch in den ersten zwei bis drei Tagen eingenommen werden, damit sie wirksam sein können.

sueddeutsche.de: Es ist also sehr wichtig, dass man gleich zu Beginn einer Grippe zum Arzt geht?

Nothdurft: Genau. Eine echte Virusgrippe erkennen Sie schnell, man verwechselt sie in der Regel nicht mit einer Erkältung oder einem grippalen Infekt. Sie kommt sehr plötzlich, mit hohem Fieber, starkem Husten und unter Umständen Atemnot. Sie legt den Erkrankten so lahm, dass er nicht aus dem Bett kommt. Eine echte Virusgrippe vergessen Sie nicht so schnell.

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