Gourmet ist out:Sterneküche auf Sparflamme

Dem Niedergang geweiht: Warum sich viele Gourmet-Restaurants den teuren Betrieb nicht mehr leisten können.

Marten Rolff

Der Tod kam plötzlich und ohne Vorwarnung: Als das Sternelokal Schreieggs Post im schwäbischen Thannhausen Ende Januar seine Winterpause beendete, waren die Auftragsbücher voll. 19 Großereignisse - Geschäftsessen, Hochzeiten, Familienfeste - waren bereits gebucht; die Krise, von der alle Welt sprach, schien anderswo stattzufinden. Bis das Telefon zu klingeln begann und die Stornierungen nicht mehr abrissen. Keine zwei Wochen dauerte es, dann seien die Bücher leer gewesen - und fast leer geblieben, sagt Geschäftsführer Nils Goltermann. Ende Mai hat er Hotel und Restaurant zugesperrt. Bis auf weiteres zumindest.

Gourmet ist out: Viele Gänge, wenige Gäste: Impression aus einem Sternelokal.

Viele Gänge, wenige Gäste: Impression aus einem Sternelokal.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

Geschichten wie die von Goltermann hört man jetzt häufig aus der Spitzengastronomie, fast im Monatsrhythmus fällt irgendwo ein Stern vom Himmel. Ebenfalls im Mai schloss Sternekoch Christian Henze sein Landhaus Henze in Probstried im Oberallgäu; nach eigenen Angaben, um sich stärker neuen Konzepten zu widmen. Und am Sonntag wird das Berliner Hotel The Ritz-Carlton mit "aufrichtigem Bedauern" sein Gourmetrestaurant Vitrum dichtmachen.

Es ist das vierte Edellokal, das die Hauptstadt binnen weniger Monate an die Krise verliert. Bei dem neuen Restaurant, das im Herbst im Luxushotel eröffnen soll, "wird es sich nicht um ein Haute-Cuisine-Projekt handeln, das letztlich nur eine kleine Gruppe von Connaisseuren anspricht", wie es in der bemüht optimistischen Presse-Erklärung etwas gestelzt heißt. Auch will das Hotel bei der Planung des Restaurants mehr auf die Wünsche der Berliner eingehen. Auf die kulinarischen Bedürfnisse der Bewohner einer Stadt also, in der auf die Frage nach einem guten Lokal gern die Currywurstbude am Brandenburger Tor empfohlen wird. Charmanter als das Ritz-Carlton hat in Berlin wohl lange keiner eine Bankrotterklärung formuliert.

Fehler werden nicht verziehen

Für die seit Jahren vom Erfolg gehätschelten Nobelwirte ist das Image ihrer Marke überlebenswichtig. Und so zieren sich einige noch auszusprechen, worüber der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) seit Wochen klagt: Der Umsatz der Gastronomie ist im ersten Drittel von 2009 um knapp sechs Prozent eingebrochen - "und die Luxussparte trifft es besonders hart", wie Dehoga-Sprecherin Stefanie Heckel erklärt. Hauptgrund seien die massiven Sparzwänge in der Wirtschaft. Geschäftsessen, Tagungen oder Incentive-Wochenenden finden praktisch nicht mehr statt, was vor allem die besseren Restaurants und Hotels trifft.

Nils Goltermann sieht die vorläufige Schließung seines Restaurants auch "als vorbeugende Maßnahme, die wir uns zum Glück finanziell leisten können." Der schwäbische Gastro-Unternehmer will damit vor allem seinen hart erarbeiteten guten Namen schützen. Einsparungen würden nur einen "schleichenden Qualitätsverlust" mit sich bringen. In einem Sterne-Lokal sei der Gast zur hohen Erwartungshaltung geradezu verpflichtet. Wenn er nun von zwei statt von vier Kellnern umsorgt werde, merke er das natürlich, sagt Goltermann. "Und Fehler werden in der Luxussparte nicht verziehen."

Bei Schreieggs Post will man deshalb "das Gewitter abwarten" und Ende des Jahres mit neuem Konzept eröffnen. "Das Tal der Tränen", so glaubt Goltermann, stehe den Nobelrestaurants erst noch bevor; auch weil nicht klar sei, wann in der Wirtschaft das Geld wieder lockerer sitzt. Und wer noch Geld habe, halte es womöglich jetzt für das falsche Signal, in einem Gourmettempel gesichtet zu werden.

Wie der Gaststättenverband sieht auch Goltermann vor allem die kommende Woche mit Sorge. Vom ersten Juli an wird Frankreich die Mehrwertsteuer für seine darbende Gastronomie von 19,6 auf 5,5 Prozent senken. Belgien und Tschechien wollen dem Beispiel in sechs Monaten folgen. Deutschland wird die im Mai von der EU beschlossene Liberalisierung der Mehrwertsteuer hingegen nicht umsetzen. Gastronomen befürchten daher eine weitere Verschärfung des Wettbewerbes, Gourmets im Südwesten könnten künftig in die dann günstigeren Spitzenrestaurants im nahen Elsass oder in den Ardennen pilgern. Natürlich werde Luxus weiter seine Zielgruppe finden, so glaubt man auch beim Gaststättenverband, doch werde dabei das Preis-Leistungs-Verhältnis die entscheidende Rolle spielen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum steife Kellner und Luxuslebensmittel wie Hummer, Kaviar und Stopfleber nicht mehr zeitgemäß sind.

Abschied von Hummer und Kaviar

Der Schnickschnack hat sich folgerichtig zuerst verabschiedet. Mancher Fondsmanager etwa, der sich stilsicher und selbstironisch wähnte, wenn ihm nicht minder gierige Event-Caterer ägyptische Heuschrecken an Geleerasen servierten, bestellt seit Herbst beim Pizza-Service. Und das Berliner Shiro i Shiro ("Goodbye und Sayonara. Was bleibt ist die Erinnerung."), durfte sich bei seiner Alles-muss-raus-Versteigerung Ende Mai ein letztes Mal vergewissern, wie sehr die Gäste vor allem seine Designermöbel schätzten.

Abschied von Hummer und Kaviar

Sternekoch Christian Henze, der die Schließung seines Landhauses seit drei Jahren geplant haben will, glaubt, dass sich auch unter den Gästen der Edelgastronomie gerade ein Bewusstseinswandel vollzieht. Die sinkenden Besucherzahlen seien "ein Albtraum für die Sterneküche". Doch habe das Publikum heute "andere Bedürfnisse". Steife Kellner und Luxuslebensmittel wie Hummer, Kaviar und Stopfleber hält er für nicht mehr zeitgemäß, die Kosten für zu hoch. "Welcher Gast ist heute noch bereit, 43 Euro für einen Hauptgang auszugeben?", fragt Henze. Er will den Luxussektor mehr für junge Leute öffnen. Statt zu jammern solle man künftig mit günstigeren Zutaten auf Sterneniveau kochen, findet Henze, der Umfragen zufolge Deutschlands beliebtester Koch ist, aber mit einem Michelin-Stern nicht zur absoluten Topliga zählt.

Die Zukunft werde auch "ein Stück ehrlicher", sagt Nils Goltermann. Noch stärker werde der Erfolg eines Lokals von Namen, Bekanntheit und Standort abhängen. Ein Edelrestaurant auf dem Land oder in einem weniger besuchten Ferienort zu führen müsse man sich künftig sehr ernsthaft überlegen. Auch werde sich vielleicht mancher Koch den Aufwand für die Gastrokritiker sparen und lieber riskieren, auf seinen Stern zu verzichten. Dafür werde die Bindung zum Gast noch wichtiger als zuvor, erklärt Goltermann.

So werden einige Sterneköche überdenken müssen, ob sie Gäste, die zu laut mit dem Besteck kratzen, weiter hinauskomplimentieren. Derzeit sei es mancherorts üblich, erzählt der Ex-Koch eines Toplokals im Saarland, an allzu gewöhnliches Publikum Karten zu verteilen: "Bitte beehren Sie uns nie wieder", steht dort sinngemäß drauf. Für solche Notizen kann man sich wohl künftig das Papier sparen.

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