Gothic-Mode:Todschick

Kleid mit Blut: Mode und Kunst entdecken morbiden Glamour und schaffen eine schwarze Epoche.

Miriam Stein

Zu keiner Zeit des Jahres hat man die Vergänglichkeit unmittelbarer vor Augen. Die Blätter fallen von den Bäumen und legen knochige Äste frei, aufziehende Kälte kündigt die dunkle Jahreszeit an - in diesmal auch noch sowieso dunklen Zeiten.

Gothic-Mode: Die Zwillinge Kate und Laura Mulleavy setzen in ihrer Herbst/Winter Kollektion 2008/2009 auf Gothic-Chic.

Die Zwillinge Kate und Laura Mulleavy setzen in ihrer Herbst/Winter Kollektion 2008/2009 auf Gothic-Chic.

(Foto: Screenshot: style.com)

Eine passendere Saison hätte sich die Ausstellung "Gothic: Dark Glamour" nicht aussuchen können, die noch bis Ende Februar 2009 im Museum at the Fashion Institute of Technology in New York zu sehen ist. "Dark Glamour" zeigt die weltweit größte Sammlung von 50000 Kleidungsstücken und Accessoires, die der dunklen Seite der Modegeschichte entstammen. Und die ist umfangreich: Schon im 18. Jahrhundert stellte der italienische Dichter Giacomo Leopardi die Verwandtschaft von Vergänglichkeit, Tod und Mode her. Von ihm stammen folgende Zeilen, die als Inschrift über der Ausstellung stehen:

"Ich bin die Mode, deine Schwester", erklärt die Mode dem Tod.

Der erwidert überrascht: "Meine Schwester?"

Darauf die Mode: "Erinnerst du dich nicht? Wir sind beide Kinder der Vergänglichkeit."

Angesichts der lebens- und jugendverlängernden Maßnahmen medizinischer und kosmetischer Natur, die den Alltag heute prägen, könnte man diese Ausstellung als unzeitgemäß bezeichnen. Doch tatsächlich ist der Glamour der Vergänglichkeit aktueller denn je. Valerie Steele, Yale-Doktorandin der Kulturhistorik und Kuratorin von "Dark Glamour", gilt als Koryphäe auf dem Gebiet extremer Mode.

In zahlreichen Veröffentlichungen fügte sie schon High-Heel- und KorsagenFetisch in den kulturhistorischen Kontext. Laut Valerie Steele gibt es keinen eindeutig kausalen Zusammenhang zwischen kulturellen Strömungen und der Faszination der Popkultur mit dem Abgründigen. "Wie die Gewissheit der eigenen Vergänglichkeit", so Valerie Steele, "verschwindet die Anziehungskraft der Dunkelheit niemals ganz aus der Mode".

Die Erotik des Makaberen

Seit Alexander McQueen vor einem Jahr schwarze Magie und Hexenjagd thematisierte, verweisen immer mehr Modeschöpfer auf Tod, Vergänglichkeit und die Erotik des Makabren. Besonders stark hat sich der Sog des Horrors auf die New Yorker Laufstege ausgewirkt. Von Rodarte über Monique Lhuillier bis Zac Posen - überall dort sieht man in dieser Saison Schwarz, das in Kombination mit Samt, Tüll und Spitze den typischen Gothic-Touch bekommt. Auch in Europa ist der Trend angekommen: In London kreiert Gareth Pugh Furchteinflößendes mit kreideweißen Gesichtern, in Paris garniert Givenchys Riccardo Tisci düstere Kleider mit Kruzifix-Ketten und schwarzem Lippenstift.

Die Nachwuchsstars der New Yorker Szene, die Zwillinge Kate und Laura Mulleavy, haben als Chefdesignerinnen von Rodarte bisher mit eleganter, zarter Mode überzeugt. Herzstück der neuen Kollektion sind "Blut-Roben", für die sie sich vom koreanischen Horrorfilm "A Tale of Two Sisters" inspirieren ließen, und ganz besonders vom Filmplakat, das die kindlichen Protagonistinnen in blutverschmierten Kleidern zeigt.

"Blut-Roben"

Die roten Einfärbungen auf den schneeweißen Rodarte-Seidenkleidern sind Blutspritzern nachempfunden - die Trägerin sieht aus, als sei sie einer Messerstecherei nur knapp entkommen. In einem Gespräch, das Schauspielerin und Rodarte-Fan Natalie Portman für das Interview-Magazin mit ihr geführt hat, sagt Kate Mulleavy: "In den Filmen werden immer die gleichen Bilder verwendet. Geister-Mädchen mit Haaren vorm Gesicht, blutverschmiert und wunderschön. Wir wollten blutige Kleider machen."

Das Ergebnis ist verstörend: Darf ein Designer mit so offenkundig gewalttätigen Bildern spielen? Vielleicht - wenn es alle machen: Autorin Cintra Wilson nannte den Trend, der von Rick Owens und Alexander McQueen angeführt wird, kürzlich in der New York Times "Haute Goth".

Das Gothik-Bild wurde bislang von Vertretern der "Emo"-Bewegung repräsentiert, deren Anhänger meist unter zwanzig sind. Als Emos bezeichnen sich Teenager, die sich mit Bands wie My Chemical Romance und Fall Out Boy identifizieren. Das Erscheinungsbild mit weißem Make-up und schwarzem Eyeliner zu schwarzen Klamotten lässt sich irgendwo zwischen Schock- und Karnevalsverkleidung einordnen.

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Todschick

Die Grundidee der Gothic-Kultur ist von Rodartes konzeptionellen Blut-Roben ebenso weit entfernt wie von Emo. Ihren wahren Ursprung hat die Bewegung in der Subkultur. Von der Post-Punk-Sängerin Siouxsie Sioux in den späten 70er Jahren über Winona Ryders Darstellung des klugen Goth-Mädchens Lydia in Tim Burtons "Beetlejuice" von 1988, bis zur Kultfigur Enid Coleslaw in Daniel Clowes Comic "Ghost World" von 1993, verkörpern Goth-Teenager den klassischen Sonderling im Sozialgefüge der US-Highschool-Welt.

Gothic-Mode: Auf dem Mera Luna Fest in Hildesheim treffen sich einmal im Jahr die Anhänger der Gothic-Szene. Ihr Stil inspiriert die Modedesigner.

Auf dem Mera Luna Fest in Hildesheim treffen sich einmal im Jahr die Anhänger der Gothic-Szene. Ihr Stil inspiriert die Modedesigner.

(Foto: Foto: ddp)

Zur Schau getragene Todessehnsucht

"Goths" sind schüchterne und sensible Beobachter, die sich in ihrem angepassten Umfeld fremd und von der Gesellschaft verraten fühlen. Das Gefühl der Einsamkeit und des Ausgestoßenseins findet in weißer Schminke und schwarzer, morbider Kleidung, zerrissenen Strumpfhosen und schweren, schwarzen Stiefeln, in einer zur Schau getragener Todessehnsucht, ihren Ausdruck. Ein Goth stilisiert sich durch Kleidung und Outfit zum ultimativen Außenseiter.

Mit diesem Bild und der Gefühlswelt der Goth-Teenager arbeitete zu Beginn des neuen Jahrtausends eine Gruppe junger US-Künstler. Sie ließ Bilder der Vampir-, Geister- und Zombie-Kultur, Ideen von Tod und Vergänglichkeit, Isolation, Gewalt, Terror und Perversion in ihre Arbeiten einfließen. Ihre berühmtesten Vertreter - darunter Banks Violette, David Noonan, Barnaby Furnas, Gabríela Friðriksdóttir und Terence Koh - sind heute Stars der Kunstwelt.

"Mich interessiert eine visuelle Sprache, die überzeichnet, ermüdend und überladen von Bedeutungen ist, wie in der Teenager-Gothkultur", erklärte Banks Violette dem Szene-Magazin Dazed&Confuzed, dessen Titel er im Oktober zierte. Ein echter Violette beläuft sich dieser Tage um 60000 US-Dollar für ein Bild (Christy's) und ab 100000 für eine Skulptur.

Die breite Masse aber tut sich in diesem Herbst immer noch schwer mit der dunklen Seite der Mode. Als Ende September in Los Angeles die Emmy-Awards verliehen wurden, liefen einige TV-Stars an einem Spätsommerabend mit gewagten Outfits über den roten Teppich.

Debra Messing etwa, der Rotschopf aus der beliebten Serie "Will&Grace", präsentierte sich in einem sehr figurbetonten Kleid der Modedesignerin Monique Lhuillier, das aus verschiedenen Lagen zarter, schwarzer, halb-durchsichtiger Spitze bestand. Die US-amerikanische Schauspielerin sah in den Augen der Kritiker zwar sexy aus, aber viel zu traurig für das große TV-Event. "Lass den Kopf nicht hängen, Debbie!", riefen ihr Tage später die US-Klatschblätter hinterher.

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Todschick

Gothic-Mode: Bei der Oscar-Verleihung im Jahr 2000 hat sie bereits mit ihrem Outfit provoziert: Angelina Jolie.

Bei der Oscar-Verleihung im Jahr 2000 hat sie bereits mit ihrem Outfit provoziert: Angelina Jolie.

(Foto: Foto: gettyimages)

Messings Outfit war kein Ausrutscher; es ist eines von vielen düsteren Kleidern, das man derzeit auf öffentlichen Veranstaltungen sieht. Auch Renée Zellweger, America Ferrera und die neue Stil-Ikone Anne Hathaway trugen bereits öffentlich Trauer. Mary-Kate Olsen war es, die den Trend als eine der ersten wagte: Schon im März 2007 erinnerte sie mit schwarzem Gewand, weißem Teint und blutroten Lippen an Morticia Adams, die Mutter der morbiden Sitcom-Familie.

Depressive "Misfits"

Nur eine war noch früher dran. Angelina Jolie nahm ihren Oscar im Jahr 2000 in einem düsteren Kleid entgegen. Für diesen Auftritt erntete sie damals verstörte bis wütende Kritik. Man unterstellte der Schauspielerin nicht nur Respektlosigkeit vor dem Dress-Code der Oscars, sondern auch vor der Ehrung selbst: Den wichtigsten Preis der Branche verliehen zu bekommen, sei ein Grund zum Feiern - und nicht für eine offen zur Schau gestellte Depression, hieß es damals in der Presse.

Angelina Jolie ist mittlerweile erfolgreich aus der Welt des depressiven "Misfits" ausgebrochen, indem sie sich ein Familien-Paradies geschaffen hat, in dem kein Platz mehr für ihre einst so dunklen Begierden ist. Trotzdem: Wo Sehnsucht nach Harmonie, Schönheit und Perfektion existiert, ist auch das Dunkle, Abseitige, das Wissen um das Scheitern der Perfektion, um die Vergänglichkeit der Schönheit immer zugegen.

Fast könnte man die großen Trends dieses Modejahres, die pastellfarbigen, süßen Babydolls und nun die strengen, dunklen Goth-Roben als dialektisch bezeichnen. Vergänglichkeit bleibt eben auch im Jahr 2008 die einzige Konstante der Modewelt.

Heute, am Vorabend von Allerheiligen, feiert man im Angelsächsischen Halloween, die Nacht, in der sich die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und der Toten öffnen und, so sagt man, die Geister Krankheiten über die Menschen und Fäule über die Ernte bringen. Um sie in die Flucht zu schlagen, maskieren sich Bauern mit schrecklichen Kostümen. Sie tanzen ums Feuer und beschwören die Geister der Nacht, sie mögen ihre Häuser und die Ernte verschonen.

Ein kleines Horror-Kostüm von schauriger Schönheit gegen die Geister der Zeit schadet nicht - ob man es nun Emo, Haute Goth oder auch einfach nur Mode nennen möchte. Der dunkle Glamour jedenfalls war nie aktueller als in diesem Herbst.

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