Globalisierung:Von der Kette lassen

Wo man auch hinreist: Die Einkaufsstraßen sehen alle gleich aus. Wo, bitte, gibt's noch was mit Lokalkolorit?

Alex Bohn

Kürzlich, auf der Via Condotti in Rom, ist die Globalisierung wieder einmal eine blöde Idee. Denn die Via Condotti in Rom sieht aus wie die Passeig de Gràcia in Barcelona. Hier wie dort steht die gleiche Zara-Filiale mit ihren glanzpolierten Steinböden, den weiß geputzten Wänden und Kleiderstangen, an denen die Imitate der gängigen Highstreet-Marken hängen. Aber nicht nur das. Die ganze Szenerie wirkt identisch. In Sichtweite liegt, egal ob in Italien oder Spanien, der Burberry-Flagship-Store. Noch eine Firmierung in silbernen Lettern, noch mal Glasfassade, das Personal hier vielleicht ein wenig diskreter, die Trenchcoats selbstredend schöner als nebenan, aber alles in allem: same same.

Globalisierung: Mailand? Paris? London? Gedränge auf den globalisierten Einkaufsstraßen dieser Welt.

Mailand? Paris? London? Gedränge auf den globalisierten Einkaufsstraßen dieser Welt.

(Foto: Foto: dpa)

Draußen, auf der Straße, fühlt man sich wie auf der Kölner Ehrenstraße. Denn die Jungs sehen hier genauso aus wie dort. Die gleichen Puma-Turnschuhe, rosafarbene Polo-Shirts mit hochgestellten Kragen, blonde Strähnchen im Haar. Die Orientierung funktioniert nur per Ausschlussverfahren: Es gibt keinen Starbucks, nur anständigen Espresso.

New Yorker Chic am Hamburger Gänsemarkt

Also muss es Rom sein. Der Dunkin Donuts auf der Via di San Vincenzo, der 1999 eröffnete, hielt sich nicht lange. Starbucks hat es erst gar nicht versucht, zum Glück. Nur weil die Globalisierung kein neues Phänomen ist, nervt sie deswegen nicht weniger. Noch vor wenigen Jahren konnte man aus einer westlichen oder westlich orientierten Metropole Dinge mitbringen, die es hierzulande noch nicht gab. Nicht jede Zwölfjährige wusste, dass Marc-Jacobs-Taschen begehrenswert sind und die Sachen von Urban Outfitters so viel besser als jene von H&M. Sie konnte es nicht wissen, schließlich gab es Urban Outfitters damals nur in New York. Nicht in Hamburg, am Gänsemarkt. Von diesem Herbst an aber schon.

Es gibt genug Menschen, die es nicht weiter stört, wenn sich die Einkaufsboulevards von Rom, Barcelona, New York immer mehr ähneln (ebenso wie Mailand, Paris, London, St. Moritz, Stockholm, und so fort). Sie freuen sich sogar, Nescafé gereicht zu bekommen, statt des lokal gerösteten Kaffees, von dem man Magengrimmen bekommt. Es macht ihnen auch nichts aus, dass die Mode genauso aussieht wie zu Hause. Eine solche Welt, in der sich zunehmend alles gleicht, finden diese Menschen nicht langweilig, sondern beruhigend.

Für Tayfun Mumcu, den Mann mit der leisen Stimme und den flinken Augen, ist so eine Welt nichts. Mumcu, der mit seiner randlosen Brille, den Jeans und dem dunkelblau gestreiften Hemd aussieht, wie Innenarchitekten eben aussehen, lebt und arbeitet in Istanbul. Seinen Laden, Midnight Express, den er mit seiner Frau, der Designerin des Labels, Banu Bora, führt, muss man erst einmal finden. Er liegt zwar in einer bekannten Einkaufsstraße im Bezirk Galatasaray, vis- à-vis einer Filiale der australischen Kaffeehauskette Gloria Jeans, aber versteckt, in einem Apartment im zweiten Stock. Dort reicht Mumcu türkischen Tee und Sesamkringel und lässt den Besucher auf einem riesigen alten Sofa Platz nehmen, zwischen riesigen Kissen.

Mumcu erklärt, was man auf den ersten Blick nicht sieht: "Die Kissen sind aus alten Teppichen gemacht. Sie werden in einer Webtechnik gefertigt, die heute niemand mehr praktiziert, weil sie zu zeitaufwendig ist. Ich kaufe sie auf dem Land in Anatolien, reinige, zerschneide sie. Dann nähe ich sie neu zusammen." Alles, was Tayfun Mumcu und seine Frau in ihrem Showroom ausstellen, verweist auf die Kultur, in der sie leben: "Kommerzielle Verwertbarkeit interessiert uns nicht. Alles, was wir anbieten, ist Ausdruck des heutigen, weltoffenen Istanbul."

Weiter: Wie eine Bäckerin in der Schweiz der Globalisierung standhält.

Von der Kette lassen

Bei Midnight Express findet man Mode von lokalen und international bekannten Designern wie Bora Aksu, der auf der London Fashion Week zeigt. Für Möbel und Accessoires arbeitet Mumcu mit alteingesessenen Nähereien und Goldschmieden zusammen, die auf dem traditionellen Grand Bazaar vertreten sind. Jedes einzelne Produkt, das man bei Midnight Express findet, verknüpft Tradition und aktuellen Lebensstil.

Das ist spannender als eine andere Attraktion, die Besuchern in Istanbul gern vorgeführt wird: die Akaretler Häuser. Früher wohnten hier, in direkter Nähe des Hafens von Besiktas, Palast-Arbeiter. Jetzt residieren in den renovierten Häusern im neoklassizistischen Stil westliche Luxusmarken. Marc Jacobs, Lanvin, Chloé, Marni und Jimmy Choo, am Ende der Straße thront eine Filiale des amerikanischen Luxushotels W. Zu entdecken gibt es hier, zumindest aus westlicher Sicht, nichts Neues. Hier, auf der Prachtstraße Sair Nedim, ist Istanbul genauso überflüssig wie St. Moritz auf der Via Serlas.

Durietta Buzzetti würde nie eine Tasche in der Via Serlas kaufen. Buzetti lebt fünfzehn Autominuten entfernt, in Maloja, einem Ort mit dreihundert Einwohnern. Hier gibt es zwei Läden, den Kiosk Pöstli und die Latteria, die Durietta Buzetti führt. Fast jeden Tag steht die Frau mit der hellen Haut und den hellbraunen, langen Haaren hinter der alten Glastheke. Oft unterhält sie sich mit ihren Kunden, über alltägliche Dinge, das Wetter, die Familie. Und immer wirkt sie vergnügt. Sie verkauft ausschließlich lokale Produkte: Lebensmittel aus dem Bergell-Tal und dem benachbarten, italienischen Valle di Poschiavo. Frischen Joghurt und Milch, Birnenbrot, Honig, Bündner Fleisch, Liköre. Auch Keramik und Kosmetikprodukte von Soglio.

"Für mich ist es eine ganz normale Entscheidung, nur lokale Produkte anzubieten. Hier leben bloß dreihundert Leute, auch das Poschiavo-Tal ist winzig, das muss man unterstützen." Die Latteria ist ein unspektakulärer Laden, kaum zwanzig Quadratmeter groß. Aber bis auf den Nescafé gibt es hier nur Dinge, denen man ihre Herkunft anmerkt - und die beste Kastanientorte der Welt. Durietta Buzzetti bezieht sie von einer Bäckermeisterin aus Castasegna.

Die Pasticceria Salis ist ein Familienbetrieb, mit der Torte hat die Tochter des Hauses im vorigen Jahr die Silbermedaille im Bäckermeisterwettbewerb der Schweiz gewonnen. Auch wenn die Torte ein Gewinner ist, die Latteria ist es nicht: "So richtig rentiert sich der Laden nicht. Deswegen sperre ich ihn im Frühjahr für acht Wochen zu. Es gibt Leute im Ort, die denken, dass ich das mache, weil ich so viel damit verdiene, aber das stimmt nicht. Als ich den Laden vor drei Jahren vom Bauernverein übernahm, wollten sie ihn eigentlich schließen. Aber ich finde es wichtig, die lokale Kultur zu fördern."

Globaler Schrott

Wenn man genau genug hinsieht, findet man immer wieder Menschen, die sich für den Erhalt lokaler Kultur und Produktion interessieren. Sie handeln nicht mit schnöden Souvenirs wie Miniaturen des Eiffelturms oder IHeartNewYork-T-Shirts. Sie sorgen dafür, dass die lokale Kultur sichtbar bleibt - die durch die Omnipräsenz der globalen Marken aus dem Blickfeld zu rutschen droht.

Auch auf der Torstraße, im Berliner Bezirk Mitte, ist die Welt noch ausreichend vielfältig. Zwar ist der Hackesche Markt mit Filialenvon Puma, Tommy Hilfiger und Diesel nur knapp außer Sichtweite, aber hier existieren dunstige Eckkneipen, kleine Galerien, Änderungsschneidereien und ein alteingesessenes Geschäft für Pantoffeln friedlich nebeneinander. So auch Stue, der Laden von Heike Marie Rädeker und Ilke Penzlien. Das Lokalkolorit, das die beiden pflegen, ist dänisch. Sie bieten eine Auswahl dänischer Möbel und Gebrauchsgegenstände des 20. Jahrhunderts an. Die sind in dem kleinen Laden so ausgestellt, dass er aussieht wie eine gemütliche, stilvolle Wohnung, in der man gern leben würde. Genau deswegen schätzen Rädeker und Penzlien ihre Produkte:

"Uns gefällt die dänische Alltagskultur. Selbst die einfachsten Dinge sind gut entworfen und hochwertig produziert. Aber das Design ist unaufgeregt und zeitlos." Ihre Möbel kaufen sie in Dänemark bei kleinen Händlern ein, arbeiten sie geringfügig auf und verkaufen sie dann weiter. Ihren Laden nutzen sie auch als Ausstellungsfläche. Hier präsentieren sie die Arbeit der Berliner Modedesignerin Jaqueline Huste mit ihrem Label Wolfen, Porzellan der in Berlin lebenden Japanerin Megumi Fukuoka, die Arbeit des Architekten Tarek Massalme: "Das ergibt sich ganz natürlich. Egal, ob es Leute sind, mit denen wir zusammenarbeiten, oder die wir vorstellen, früher oder später kommen sie ganz von selbst hier in den Laden."

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Weiter: Lokalkolorit - nur etwas für Langweiler?

Von der Kette lassen

Lokalkolorit - nur etwas für Langweiler?

So könnte es sich auch ergeben haben, dass die New Yorker Humberto Leon und Carol Lim auf das Modelabel Wolfen aufmerksam wurden, das sie in ihrem Laden Opening Ceremony repräsentieren. Wenn man in New York mal wieder schlechte Laune entwickelt, weil der Broadway zwischen Bleecker und Canal Street jede Downtown-Coolness eingebüßt hat und nicht viel mehr bietet als die üblichen Ketten - Footlocker, Armani Exchange, Zara, Club Monaco, Starbucks und Pottery and Barn - muss man nur zweimal richtig abbiegen, um auf 35 Howard Street hinter der Fassade eines typischen New Yorker Ladengeschäfts Opening Ceremony zu entdecken.

Das Landestypische ist hier Konzept. Je ein Jahr lang repräsentiert Opening Ceremony ein ausgewähltes Land. Stellt die interessantesten Modedesigner vor, verkauft deren Kollektionen, zeigt landestypische Accessoires und Print-Magazine. Aber Leon und Lim beschränken sich nicht auf die Präsentation der von ihnen ausgewählten Landesvertreter. Sie schulen ihre Belegschaft so, dass sie interessierten Kunden alles über das Gastland und das jeweilige Label erzählen kann. Wo wird produziert, wer steht hinter dem Label, was hat es für eine Geschichte, was zeichnet das Label aus? "Wir sind Modenerds", sagt Humberto Leon. "Unser Wissen wollen wir teilen. Außerdem lieben wir es, zu reisen und immer neue Dinge zu entdecken, die es hier nicht gibt."

Wer Lokalkolorit schätzt, muss nicht Mitglied im Heimatverein sein. Es ist beruhigend zu wissen, dass es noch Leute gibt, die diese Erkenntnis teilen. Selbst wenn sich Städte weltweit immer mehr gleichen, gibt es noch genügend Orte, an denen kulturelle Eigenheiten zelebriert wird. Für bessere Geschichten taugt das Neue, Andere und Spezielle sowieso. Was für eine Story ist es bitte, wenn man erzählt, dass der Caramel Frappuccino in Los Angeles genauso schmeckt wie in Mailand und Berlin?

Und wer in einem Hundert-Einwohner-Dorf wohnt und sich wünscht, der Weltanschluss möge in Gestalt einer Zara-Filiale neben der Schützenhalle geschehen, der sollte seinen Wunsch vielleicht noch einmal überdenken.

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