Glaubensbekenntnis:Zeruya Shalev

Zeruya Shalev

Zeruya Shalev, 56, ist die erfolgreichste israelische Schriftstellerin. Am 14. September erscheint ihr Roman "Schmerz" auf Deutsch.

(Foto: Eric Feferberg)

Als Kind liebte die israelische Bestseller-Autorin die Bibelgeschichten ihres Vaters. Heute weiß sie nicht, ob sie Atheistin ist oder nicht.

Protokoll von Ronen Steinke

Hänsel und Gretel oder Cinderella kannte ich als Kind nicht, dafür aber Josef, Moses, Saul, Rebecca, Adam und Eva . . . Mein Vater hat mir jeden Abend Bibelgeschichten vorgelesen. Die Erzählungen über König David faszinierten mich besonders. Der Kampf des jungen David gegen den übermächtigen Goliath nicht so sehr, das war mir zu militaristisch. Aber die vielen Geschichten über Zwischenmenschliches, die Liebe zwischen David und Jonathan etwa, dem Sohn von König Saul, und wie das Saul zur Weißglut getrieben hat. Und ich liebte die biblischen Frauen. Meistens wurden sie als sehr schlau beschrieben.

In meiner Jugend wollte ich dann unbedingt Sozialarbeiterin oder Psychologin werden - mich mit menschlichen Beziehungen beschäftigen. Und in meinen zwei Jahren als Wehrpflichtige in der israelischen Armee bekam ich einen tollen Job dafür: Die anderen Rekrutinnen konnten zu mir kommen und ihr Herz ausschütten. Leider habe ich entdeckt, dass ich nicht so eine gute Therapeutin bin, denn ich habe mich so stark mit den Soldatinnen und ihren Problemen identifiziert, dass ich mich oft furchtbar aufgeregt oder geweint habe. Am Ende waren sie es, die mich getröstet haben, nicht umgekehrt. Gewiss eine revolutionäre Methode der Therapie. Aber so musste ich mir eine neue berufliche Perspektive suchen, und so schrieb ich mich an der Uni für Bibelwissenschaften ein. Das war die Heimkehr zu den Geschichten meiner Kindheit.

Ich zähle nicht zu den Juden, die glauben, dass Gott Moses die Bibel diktiert hat. Ich glaube, dass die Bibel großartige Literatur ist, die von vielen Autoren über Hunderte Jahre fortentwickelt wurde. So viele Autoren, so viele verschiedene Stile gibt es dort nebeneinander: Es gibt Passagen, die furchtbar fundamentalistisch sind, aber auch ganz wunderbar fortschrittliche, inspirierende.

Mit meinen eigenen Kindern heute feiere ich all die jüdischen Feste, aber das ist nicht unbedingt eine religiöse Angelegenheit. Ich schätze, auch in Deutschland feiern Leute ja Weihnachten, die nicht religiöse Christen sind, es ist einfach eine schöne Sache. Ob ich Atheistin bin, habe ich noch nicht entschieden. Ich ändere hin und wieder meine Meinung.

Ich liebe das Gefühl, wenn ich über die Straßen meines Jerusalem gehe und eine säkulare Studentin im sehr kurzen Kleid neben einen Ultraorthodoxen sehe, dazu einen Araber, einen Touristen . . . Ich mag die Mischung. Ich mag es nicht, wenn es homogen wird. Ich war ein bisschen erschrocken neulich, als ich mit meinem Sohn auf einem Spielplatz in unserem Viertel Rechavia war - und erstmals waren alle anderen Kinder dort ultraorthodox. Wobei, unsere Nachbarn von Gegenüber sind auch sehr orthodox und auch sehr nett, sie lassen ihre Kinder mit unserem Sohn spielen, sie kommen zu uns ins Haus. Ich habe ihnen versprochen, dass ich am Sabbat nicht den Fernseher laufen lasse, wenn ihr Sohn bei uns spielt. Wenn Orthodoxe so offen sind, komme ich prima klar.

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