Glaubensbekenntnis:Übers Fremdsein

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(Foto: dpa)

Schriftstellerin Petra Morsbach über ihre inneren Impulse, und warum hypermoralische Nervensägen ihre Heiligen sind.

Protokoll von Matthias Drobinski

Je älter ich werde, desto weniger kenne ich mich aus: die menschliche Existenz ist so komplex und gleichzeitig so nichtig, daß ich nicht mehr glaube, sie verstehen zu können. Und doch liegt mir an ihr; nicht um meinet-, sondern um ihretwillen. Meine physischen und geistigen Kräfte lassen nach, doch meine inneren Imperative sind keine Spur schwächer geworden.

Es sind moralische Imperative. Im sozialen Bereich die Üblichen: Gerechtigkeit, Mitgefühl usw. - das, was wir aus den zehn Geboten und der Bergpredigt kennen. In meiner schriftstellerischen Arbeit Wahrhaftigkeit: die aufrichtigste Wahrnehmung und Gestaltung des Lebens, derer ich fähig bin. Beides ist leider teuflisch schwer. Die Kunst sowieso: man ist nicht immer fähig, und mit den Ansprüchen wächst die Ohnmacht. Das Leben: widersetzt sich der Moral; ohne Kampf geht man unter, mit Kampf verliert man sie, Kompromisse kompromittieren. Meine Imperative reiben mich also auf. Nebenbei sind sie karriereschädigend.

Woher kommen diese Imperative? Ich weiß es nicht. Ich muß es nicht wissen, da sie ständig präsent sind. Die Bibel, übrigens, lese ich als andauernde Reflexion dazu. Das neue Testament ist ein gewaltiges Drama mit vielen Rollen, Positionen, Disputen, anrührendem Pathos, hohen Träumen und fatalem Versagen. Manchmal, wie in den Monologen der Propheten, erfährt man den Widerstand der Welt indirekt - aus den Klagen und Tiraden. Die Propheten unterschieden sich in Charakter und Begabung, doch ihrer Zeit galten sie vermutlich alle als hypermoralische Nervensägen. Ich gebe zu, daß ihnen meine Sympathie gehört.

Ich bewundere Leute mit einem starken Gewissen, die ihren Prinzipien folgen, auch wenn es ihnen nicht direkt nützt: solche wie den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der gegen alle Widerstände in Justiz und Gesellschaft die Auschwitz-Prozesse durchsetzte. Oder wie Edward Snowden, den alle kennen. Oder den russischen Marineoffizier Grigorij Pasko, den kaum einer kennt und der in den 90er Jahren öffentlich machte, dass Russlands Marine Atommüll im Japanischen Meer verklappte; er kam für Jahre ins Lager. Sogar wir in Bayern haben zivile Helden wie den ehemaligen Finanzbeamten Wilhelm Schlötterer, der sich zu Zeiten von F.J. Strauß weigerte, die Korruption in seinem Ministerium mitzutragen, wo fast alle sich vor Strauß als Würmer kringelten. Schlötterer hat nach seiner Pensionierung zwei spannende Analysen dazu geschrieben; Politik und Leitmedien haben sie kaum beachtet.

Wozu das Ringen um eine höhere Kultur in einem Umfeld, das sich gegen diese Kultur wehrt? Auch das weiß ich nicht. Es muß einfach sein. Wenn es die Welt nicht verbessert, dann hindert es sie vielleicht daran, noch schlechter zu werden. Unsere unbegreiflich bezaubernde, blamierte, mißhandelte Erde: mein Verstand sagt mir, daß sie nicht zu retten ist. Und in jedem Fall, mit dem ich zu tun bekomme, rege ich mich wieder auf und denke: schlechte Prognose. Aber vielleicht schaffen wir diesmal eine Ausnahme.

Die Schriftstellerin Petra Morsbach, 59, lebt in Starnberg. 2013 erhielt sie den Bayerischen Literaturpreis.

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