Glaubensbekenntnis:Sibylle Lewitscharoff

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Glauben hat sehr viel mit der Fähigkeit zu tun, sich selbst zurückzustellen und für andere Menschen da zu sein und ihnen zu helfen. Die großherzige Großmutter bleibt dafür ein noch immer unerreichbares Vorbild.

Protokoll von Hannes Vollmuth

Über den Glauben zu sprechen, ist nicht leicht, er gilt ja als rückständig. Ich posaune auch nicht ständig durch die Gegend, woran und wie ich glaube, aber wenn das Gespräch darauf kommt, zögere ich nicht, auch etwas dazu zu sagen. Mein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Psychoanalytikern: Die nehmen meinen Glauben sehr gutmütig hin, wie einen Tick.

Mein Glaube ist sehr stark mit der Person meiner Großmutter verbunden. Sie war eine liebenswerte Frau, die mir den Glauben in seiner schönsten Form erklärt und vorgesungen hat. Meine Großmutter war auch ein angesehenes Mitglied in ihrer Gemeinde, ein gutherziger, hilfsbereiter Mensch. Wenn jemand krank war, hat sie ihn königlich bekocht. Ich bin dann gemeinsam mit ihr ausgerückt zum Essen verteilen. Meine Großmutter hat auch immer alles hergegeben, wenn jemand in Not war, sie hat geholfen.

Bis heute sehne ich mich danach, selbst so ein guter Mensch zu sein wie meine Großmutter. Aber der bin ich nicht geworden. Ich habe mich nach dem Tod meiner Großmutter zunächst auch vom Glauben entfernt, vor allem als das Thema Trotzki am Horizont erschien. Ich zog für das Studium nach Berlin, aber Geschichte und Kunstgeschichte fand ich grauenhaft langweilig. Ich kam dann zufällig zu den Religionswissenschaften, und plötzlich war ich wieder fasziniert. Das Thema schlug eine direkte Verbindung zu meiner Kindheit.

Wenn ich manchmal nachts ein Gebet spreche, empfinde ich sofortige Erleichterung. Nur die Gemeindeanbindung, wie meine Großmutter sie gelebt hat, habe ich nie hinbekommen. Das unterscheidet mich dann leider doch: Mein modernes Leben als Schriftstellerin ist ein zu egoistisches.

Glauben ist für mich eine Vorsterbeübung. Ich stelle mir vor, dass ein Mensch, der etwas Gutes im Leben bewirkt hat, auch hoffnungsvoller und beruhigter stirbt. Jemand, der von sämtlichen Egoismen durchs Leben gejagt wird, stirbt in meiner Vorstellung fatal. Zur Erlösung gehört für mich, dass man seinen Mitmenschen wohlwollend begegnet ist, dass man sich hat erweichen lassen durch die Nöte der anderen Menschen. Da sehe ich eine Parallele zur Literatur. Auch die Literatur kann einen berühren, einen trösten, auch Literatur hat eine Kraft, die indirekt zum Guten führt. Die wirkliche gehobene Literatur bewirkt, was auch die Religionen wollen: dass der Mensch als Gemeinschaftswesen besser funktioniert.

Für meine Dresdner Rede im vergangen Jahr wurde ich im Nachhinein scharf kritisiert. Ich habe ein paar dumme Sätze reingepackt. Aber das ganze Anliegen war nicht dumm: Es war ein Aufruf gegen die Haltung, dass der Mensch für alles selbst verantwortlich sein soll. Die Vorstellung ist doch entsetzlich, für Krankheiten, für Kinderlosigkeit und schwere Unfälle selbst verantwortlich zu sein. Ich fühle mich viel erleichterter, wenn ich weiß, das Schicksal hängt über mir. Deshalb sage ich auch immer wieder: Mein Schicksal liegt in Gottes Hand und nicht in meinen Händen.

Sibylle Lewitscharoff , 61, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. 2013 erhielt sie den renommierten Büchner-Preis.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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