Glaubensbekenntnis:Negar Taghizadeh

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(Foto: privat)

Wer in einem Gottesstaat, in dem es keine Meinungsfreiheit gibt, öffentlich über seinen Glauben sprechen möchte, muss eine eigene Sprache finden. Die iranische Schriftstellerin erzählt, wie sie mit dieser schwierigen Situation umgeht.

Protokoll von Ronen Steinke

Meiner Meinung nach ist Schreiben der schwierigste Beruf der Welt, und hier in Iran gibt es einige besondere Schwierigkeiten. Das Land hat gesellschaftliche und politische Eigenheiten: Eine Autorin muss hier Meisterin in der Kunst sein, schreibend Hindernisse zu umschiffen, bildhafte Sprache einzusetzen, eine Art Undercover-Diktion in ihren Texten zu verwenden, vor allem, wenn es um den Glauben geht. Hier gelten einige Rahmenbedingungen; von Autoren wird verlangt, sie zu befolgen. Einige Situationen lassen sich deshalb gar nicht literarisch beschreiben, und in diesem Fall muss die Autorin Metaphern oder indirekte Sprache verwenden, um mit ihrer Geschichte fortzufahren. Autoren in anderen Ländern verwenden nicht unbedingt diese Art von Tricks und Bildern.

Moral ist in jedem Land etwas anderes, trotzdem gibt es auch universelle Gemeinsamkeiten. Manchmal scheint es, als inspizierten die Menschen die Moral nur deshalb so genau, um sie hinterher bestreiten oder zerstören zu können. Aber manchmal ist auch genau das nötig - das Zerbrechen ist die Voraussetzung, um ein besseres Verständnis der Wirklichkeit zu erlangen.

In meinen Geschichten lehne ich es ab zu urteilen. Ich überlasse das den Lesern. Das Setting, die Charaktere und ihre Schwierigkeiten sind ein Akt der Autorin. Aber es liegt dann am Leser, ob er die Charaktere verdammt oder ihnen vergibt. Die sozialen und wirtschaftlichen Umstände sind das wichtigste, wenn man eine Figur in einer bestimmten Ära erschafft. Als Autorin mag man dieser Person vielleicht noch bestimmte zusätzliche Fakten auferlegen wollen. Aber es ist doch schwer, dabei von den einmal gesetzten Umständen unabhängig zu denken; sie bleiben das Entscheidende.

Wenn man eine Kurzgeschichte oder einen Roman in die Hand nimmt, klassisch oder zeitgenössisch, dann sucht man normalerweise nicht nach richtig oder falsch. Sondern es leitet einen als Leserin ein Bedürfnis, das in der Welt der Fakten nicht gestillt wird. Zweifellos formen Ideologie und Glauben einer Gesellschaft auch den Charakter einer Person und auf diese Weise letztlich auch deren künstlerisches Werk. Die wichtigste Eigenschaft einer Künstlerin aber sollte sein, Humanität in Kunst zu reflektieren, indem sie zwar die Umstände, in denen sie lebt, aufgreift und behandelt, dann aber zu einer universellen Erzählung abstrahiert und erweitert.

Es gibt Autoren, die stattdessen ihre Erzählung wie eine Landkarte für die aktuellen Probleme der Gesellschaft entwickeln und schließlich auch eine Lösung anbieten, eine Moral der Geschichte. In Iran ist das aber eher selten. Dann gibt es auch Autoren, die das gemeinsame Leid erspüren und bei deren Lektüre man eine verallgemeinerbare Einsicht erlangen kann. So etwas kann es genauso in einer Gesellschaft geben, in der die Meinungsfreiheit garantiert ist wie in einer Gesellschaft, in der ein Autor seine Botschaft so gestalten muss, dass sie nicht zensiert wird.

Negar Taghizadeh, geboren 1984, lebt als Schriftstellerin in Teheran. Ihre Romane und Erzählungen wie "Kastanienbäume" sind auf Persisch und Englisch erschienen.

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