Glauben:Warum die Taufe warten kann

Pope Benedict XVI baptise a baby during a mass in Sistine Chapel at the Vatican

Papst Benedikt XVI tauft ein Baby in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.

(Foto: REUTERS)

Ist eine Kindstaufe heute überhaupt noch zeitgemäß? Immer mehr Eltern verzichten auf dieses uralte, christliche Ritual - aus guten Gründen.

Von Michael Neudecker

Das Baby schreit, das Mikrofon ist an, man kann das Schreien auch ganz hinten noch gut hören. Es ist kalt und dunkel, jedes Wort hallt nach in diesem alten Gemäuer, ein Mann, der ein altertümliches Gewand trägt und eine Art Schal, schöpft kaltes Wasser aus einem Kessel, er spricht ernst, schaut ernst. Er schüttet dem Baby das Wasser über den Kopf, der Vater hält das Kind ein bisschen höher, damit der Mann gut hinkommt mit dem Wasser, das Schreien offensichtlich ignorierend. Und niemand schreitet ein. Dann ist es vorbei. Dann ist das Baby getauft.

Bitte: Muss das sein?

Seit ein jüdischer Prophet, der Johannes hieß, im dritten Jahrzehnt nach Christus begann, die Menschen mit Wasser aus dem Jordan in einem Reinigungsritual zu taufen, übergießen die Christen ihre Neumitglieder mit Wasser oder tauchen sie gleich ganz unter.

Ein Ritual, das anfangs vor allem für Sterbende gedacht war

Anfangs wurden vor allem Sterbende getauft, dann kam die Kirche auf die Idee mit der Erbsünde. Die besagt: Weil Adam und Eva sich einst von Satan verführen ließen, sind alle Menschen Sünder. Helfen kann da nur die Nähe zu Gott, beziehungsweise: die Zugehörigkeit zur Kirche, besiegelt durch die Taufe. Martin Luther, der Reformator des 16. Jahrhunderts, formulierte die Notwendigkeit der Taufe noch ein bisschen drastischer, er sagte: In der Taufe werde unser alter Adam ersäuft. Der "alte Adam", so Luther, sei eine böse Macht, die dem Menschen jegliche Orientierung und Lebensfreude nimmt.

Angesichts der hohen Säuglingssterblichkeit begannen die Menschen dann, Neugeborene zu taufen, zur Sicherheit. Menschen, die im Zustand der Erbsünde sterben, kommen ja in die Hölle, niedergeschrieben im Konzil von Basel, Ferrara und Florenz im 15. Jahrhundert, gültig bis heute. Ungetaufte Kleinkinder bleiben zwar angeblich verschont, kommen aber nicht in den Himmel, sondern: in den Limbus, eine Zwischenwelt. Wie es da aussieht, ist nicht beschrieben, aber gemütlich kann es nicht sein. Womöglich ist es dort kalt und dunkel, und jedes Wort hallt nach.

Der Christ hat eine berechtigte Angst vor Hölle und Vorhölle, deshalb wurden katholische Hebammen vom Vatikan noch in den 1950er-Jahren dazu aufgerufen, die Neugeborenentaufe als Pflicht zu sehen. Und bei Risikoschwangerschaften wurden bisweilen - ja, tatsächlich - Taufen durch Injektion von Weihwasser durchgeführt.

Laut Papst Benedikt kommen auch ungetaufte Kinder ins Paradies

Der Kardinal Joseph Ratzinger, späterer Papst Benedikt XVI., war kein Anhänger der Limbus-Sache. 2007 entschied er, die Lehre sei als theologische Meinung zu betrachten, nicht als anerkannte Lehre; die Theologen im Vatikan, hieß es, seien der Meinung, dass ungetaufte kleine Kinder, die sterben, direkt ins Paradies kämen.

So viel nun in aller Kürze zur Historie des Taufens, die man schon kennen muss, um eine Antwort zu finden auf die Frage, was das alles soll.

Es gibt, was die Taufe betrifft, drei Lager. Erstens: die Befürworter. Wer an den christlichen Gott glaubt, für den ist es eine Herzensangelegenheit, sein Kind taufen zu lassen. Er geht davon aus, dass es durch die Taufe einen Schutz bekommt, und dass es in den kulturellen Rahmen hineingehoben wird, den das Christentum bildet, mit seinen Traditionen und Ritualen, die ja durchaus schön sein können. Das zweite Lager bilden die Gegner, meist Atheisten. Wer nicht an Gott glaubt, für den ist es selbstverständlich, sein Kind nicht taufen zu lassen - wieso auch? Und drittens: die Zweifler. Wer sich irgendwo zwischen gläubig und ungläubig sieht, beginnt, Fragen zu stellen. Ist es okay, wenn das Kind ungetauft aufwächst? Darf es am Religionsunterricht teilnehmen, wenn seine Freunde das auch tun? Wird es zum Außenseiter?

Zahl der Kindstaufen ist stark zurückgegangen

Laut Statistischem Bundesamt ist die Entscheidung gegen die Taufe längst keine Ausnahme mehr. Im Jahr 2012 wurden bundesweit nur noch 168 048 Kinder von der evangelischen und 167 505 von der katholischen Kirche getauft, so wenige wie nie. Vor 50 Jahren war die Zahl in beiden Kirchen mehr als doppelt so hoch.

Viele Menschen trauen der Kirche nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so wie früher. Und sie glauben, ihre Kinder könnten und müssten für sich selbst entscheiden. Sicher, andere sehen es eher so: Warum nicht einfach mal das Baby taufen lassen? Es kann sich ja später noch gegen Kirche und Glaube entscheiden. Oder?

Nun ja.

Die Antwort darauf hat ein Richter des Verwaltungsgerichts Augsburg vor drei Jahren sehr deutlich formuliert: "Die Taufe kriegen Sie nicht mehr los." Ein Vater hatte dagegen geklagt, dass seine von ihm geschiedene Frau die gemeinsame, vierjährige Tochter hatte taufen lassen, gegen seinen Willen. Er wollte den Ritus annullieren lassen, denn er bezweifelte nach den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, dass seine Tochter dort gut aufgehoben ist. Der Richter erachtete seine Argumente als nachvollziehbar, stellte aber fest, dass ein weltliches Gericht da nicht eingreifen könne.

Auch theologisch ist die Taufe unwiderrufbar. Wer getauft ist, bleibt Christ, auch dann, wenn er aus der Kirche austritt. Die Taufe ist ein Sakrament, das man empfängt, kein Abo, das man abschließt.

Einige Kinder empfangen Taufe und Kommunion am selben Tag

Die Wahrheit ist außerdem, dass den stark sinkenden Zahlen der Kindstaufen in den vergangenen Jahren nur gering sinkende, stagnierende oder sogar leicht steigende Zahlen bei den Taufen im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter gegenüberstehen. Es ist schließlich nicht nur möglich, die Entscheidung der Eltern gegen die Taufe zu korrigieren - es ist sogar recht einfach: Taufe und Erstkommunion in der dritten Schulklasse direkt hintereinander durchzuziehen, ist ein Prozedere, das zunehmend in Mode kommt. Und mit 14 Jahren ist man nach Ansicht der Kirche ohnehin reif genug, um sich selbständig zum Glauben zu bekennen.

Und vorher? Kann ein Kind anfangen, an Gott zu glauben, wenn es nicht getauft wurde? Diese Frage ist im Grunde hinfällig. Das Ritual selbst ist ja nur der erste Schritt, der Eintritt in die christliche Gemeinschaft. Ohne eine entsprechende Grundüberzeugung der Eltern, ohne einen auch im Alltag gelebten Glauben ist das Ganze nur eine Zeremonie in einem alten Gemäuer, bei der einer schreit.

Bleibt die Frage: Wird ein Kind ausgegrenzt, wenn es ungetauft in die Schule kommt? Der Umgang mit dem Religionsunterricht ist in Deutschland prinzipiell im Grundgesetz geregelt, im Detail aber ist er Sache der Bundesländer. Das heißt: Es wird jetzt leider kurz kompliziert.

Auch ungetaufte Schüler dürfen am Religionsunterricht teilnehmen

In manchen Ländern ist der Religionsunterricht relevant für die Versetzung in die nächste Klassenstufe, in anderen nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen; in manchen wird er von der Schule organisiert, in anderen von den Kirchen; in manchen müssen sich die Schüler anmelden, in anderen gelten sie automatisch als Teilnehmer, können sich allerdings abmelden, wenn sie nicht wollen. In wieder anderen Bundesländern können die Schüler wählen, ob sie das Fach Religion besuchen oder ein Alternativfach wie Philosophie oder Ethik. Aber im Prinzip gibt es keine Ausgrenzung. Wer nicht getauft ist, aber trotzdem in den Religionsunterricht gehen möchte, darf das, auch wenn dazu in den meisten Ländern ein paar Formalitäten zu erledigen sind.

In Bayern, wo der Anteil der Gläubigen an der Bevölkerung am höchsten ist, geht das so: Der Erziehungsberechtigte (oder der volljährige Schüler selbst) stellt einen Antrag beim Schulleiter, und wenn das für die Region zuständige Ordinariat beziehungsweise der zuständige Dekan zustimmt, wird der Schüler zum regulär benoteten Teilnehmer. Die Zusage muss nur einmal gegeben werden, sie gilt dann für die restliche Laufbahn an der betreffenden Schulart.

Das Sakrament ist kein Abo, das man wieder kündigen kann

Wozu der Aufwand? Für die Schulen sei es einfach aus logistischen Gründen wichtig zu wissen, wie viele Schüler am Religionsunterricht teilnehmen wollen, teilt das Kultusministerium mit. Der Behörde seien im Übrigen keine Fälle bekannt, wo es Probleme gegeben hätte. Im Schuljahr 2013/14 hätten insgesamt 58 600 ungetaufte Schüler in Bayern am Religionsunterricht teilgenommen.

Kompliziert? Ach was.

Alles in allem gibt es keine gravierenden Unterschiede im Leben eines ungetauften zu dem eines getauften Kindes - jedenfalls keine, die mit der Taufe zusammenhängen. Mal abgesehen von der Chance, Ministrant zu werden, und bei der Familienfeier zur Erstkommunion im Mittelpunkt zu stehen. Unentschlossene Eltern können also beruhigt sein, sie müssen nicht in einen unaufhebbaren Ritus einwilligen, von dem sie nicht überzeugt sind. Wenn ihr Kind seinen alten Adam ersäufen will, kann es das später problemlos selbst erledigen.

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