Gesundheits-Studie:Armes krankes Kind

Mehr als 17.000 Kinder im Alter von drei bis 17 Jahren hat das Robert Koch Institut auf ihre Gesundheit gecheckt. Die Ergebnisse sind erschreckend.

In einer europaweit einzigartigen Studie hat das Robert Koch Institut die Gesundheit von Kindern in Deutschland im Alter von drei bis 17 Jahren gecheckt. Die Untersuchung an mehr als 17.000 Teilnehmern zeigt, dass der Nachwuchs besonders in sozial schwachen Familien häufig übergewichtig ist und an Angst, Depressionen und Essstörungen leidet.

Kinder aus sozial schwachen Familien sind häufiger übergewichtig, treiben weniger Sport und leiden häufiger unter Ängsten und Depressionen.

Das ist ein Ergebnis von KiGGS, einer bislang europaweit einmaligen Kinder- und Jugendgesundheitsstudie mit mehr als 17.000 Teilnehmern, die das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin jetzt vorgestellt hat.

Fast jedes siebte Kind zwischen drei und 17 Jahren in Deutschland ist demnach übergewichtig, und mehr als sechs Prozent leiden unter Fettsucht, so genannter Adipositas.

Bei Kindern aus ärmeren Familien und Migrationsfamilien sowie bei Kindern, deren Eltern ebenfalls übergewichtig sind, ist das Risiko für Übergewicht sogar deutlich höher.

Auch bei Essstörungen wie Magersucht oder Ess-Brech-Sucht ist der Anteil der auffälligen Jugendlichen mit niedrigem sozioökonomischem Status mit 27,6 Prozent fast doppelt so hoch wie der in oberen Sozialschichten.

Insgesamt zeigt laut Studie mehr als jeder fünfte der Elf- bis 17-Jährigen bereits Auffälligkeiten beim Essverhalten, wobei der Anteil bei den Mädchen mit knapp 29 Prozent deutlich höher ist als bei den Jungen (15,2 Prozent).

Nicht nur Ess-Störungen beobachteten die Fachleute bei vielen Kindern. Auch psychische Auffälligkeiten sind offenbar recht häufig. So wurden bei 22 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen Hinweise auf Störungen des Sozialverhaltens (10 Prozent), Ängste (7,6 Prozent) und Depressionen (5,4 Prozent) beobachtet.

Auch hier stellten die Experten fest, dass ein niedriger Sozialstatus, aber auch ein ungünstiges Familienklima mit vielen Konflikten mit einer bis zu vierfach erhöhten Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeiten einherging.

Problematischer Bewegungsmangel

Zwar spielen fast acht von zehn Kindern bis zehn Jahren fast täglich im Freien, und jedes zweite treibt mindestens einmal in der Woche Sport.

Auch bei den Elf- bis 17-Jährigen geben 84 Prozent an, sie strengten sich mindestens einmal in der Woche so an, dass sie ins Schwitzen und außer Atem geraten.

Allerdings sind der Studie zufolge Kinder aus Migrantenfamilien oder "mit niedrigem Sozialstatus" wesentlich seltener aktiv.

Auch zeigten sich in der Studie trotz der positiven Bewegungszahlen häufig Auffälligkeiten in der Motorik. So können den Daten zufolge 43 Prozent der Kinder bei einer Rumpfbeuge nicht bis zur Fußsohle hinunter reichen.

Mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen sind nicht in der Lage, mehr als zwei Schritte auf einem drei Zentimeter breiten Balken rückwärts zu balancieren.

Die Ergebnisse zum Standweitsprung deuten den Angaben zufolge auf einen Rückgang der "Kraftfähigkeit" um 14 Prozent seit 1976 hin.

Allergien und Passivrauchen

Zu den häufigsten Gesundheitsproblemen zählen mittlerweile Allergien: Laut KiGGS leiden 16,7 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter einer allergischen Erkrankung, wobei hier Kinder aus Migrantenfamilien oder ärmeren Familien deutlich weniger betroffen sind.

Auch Kinder mit mehreren Geschwistern oder frühem engen Kontakt in Kindereinrichtungen sind weniger anfällig. Dies stützt laut Studie die bereits bekannte "Hygienehypothese", wonach ein geringer Kontakt zu Krankheitserregern und anderen Allergenen mit einem erhöhte Risiko für spätere Allergien verbunden ist.

Nicht abgenommen hat die Belastung der Kinder durch das Passivrauchen. Noch immer lebt etwa jedes zweite Kind in einem Raucherhaushalt, wobei die Urinuntersuchungen darauf hindeuten, dass die Belastung sogar zugenommen hat.

Politiker wollen mehr Vorbeugung anbieten

Die Politik werde die Informationen nutzen, noch mehr und gezieltere Vorbeugung anzubieten, erklärte die parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk.

Der Kinder- und Jugendsurvey sei richtungsweisend. Er ermögliche nicht nur Aussagen darüber, was Kinder krank mache, sondern auch, was die Gesundheit fördere.

Studienleiterin Bärbel-Maria Kurth vom Robert Koch-Institut hofft, dass die Ergebnisse "die Basis für eine bundesweite Gesundheitsberichterstattung zu Kindern und Jugendlichen", und Ansatzpunkte für gezielte Interventionen und Präventionsstrategien liefert. "Erstmals gibt es nun verknüpfbare Daten aus den verschiedenen Ebenen des gesundheitlichen Geschehens der Heranwachsenden."

Für die Studie wurden zwischen 2003 und 2006 insgesamt 17.641 Kinder und Jugendliche befragt und untersucht. Finanziert wurde KiGGS vom Bundesministerien für Gesundheit sowie für Bildung und Forschung.

Die Erhebung soll erstmals ein umfassendes Bild von der Gesundheit der Heranwachsenden in Deutschland liefern. Bislang fehlt häufig repräsentative Aussagen zur Verbreitung etwa von Übergewicht.

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