Gesetzentwurf zum assistierten Suizid:Es geht nie allein um den Schmerz der Sterbenden

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Körperliche Lähmung und geistiger Stillstand sind gleichbedeutend mit Sinnlosigkeit und Tod: Die Ängste der Gesunden bestimmen die Diskussion um Sterbehilfe. Ein neuer Gesetzentwurf soll Angehörige und andere nahestehende Personen nun unter Straffreiheit stellen. Doch das ist der falsche Ansatz: Nicht das Strafgesetzbuch muss geändert werden, sondern die Qualität der Betreuung Todkranker.

Werner Bartens

Es sind die Ängste der Gesunden, die immer wieder die Diskussion um die Sterbehilfe begleiten. Es geht in der Debatte nie allein um den Schmerz und die Not der Kranken. Die Unversehrten sind es, die sich das Ausmaß des Leidens, des Siechtums, der Lähmung und der Auszehrung als so unvorstellbar groß ausmalen, dass sie die Möglichkeit eines selbstgewählten Endes nicht missen wollen, sollten sie selbst einmal von schwerer Krankheit gezeichnet sein.

Wenn Ärzte und Pflegekräfte glaubhaft vermitteln können, dass sie Todkranken Schmerzen nehmen und das Leben erleichtern können, lässt der Wunsch nach Sterbehilfe nach. (Foto: dpa)

Der Entwurf, mit dem das Justizministerium von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Sterbehilfe im Strafgesetzbuch neu regeln will, sieht zwar weiterhin vor, dass die "absichtliche und gewerbsmäßige" Sterbehilfe unter Freiheitsstrafe steht. Wer als Angehöriger oder andere nahestehende Person und "nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer" anwesend ist, soll demnach jedoch künftig straffrei ausgehen.

Das heißt übersetzt, dass auch Ärzte und Pflegekräfte in einer derart nahen Beziehung zum Todkranken stehen können, zum Beispiel der langjährige Hausarzt oder die vertraute Pflegerin.

Ärzte sind keine Sterbehelfer

Die Ärzteschaft ist mehrheitlich über diesen Passus empört, hat sie doch erst auf dem vergangenen Ärztetag ein Verbot jeglicher Form organisierter Sterbehilfe gefordert und sich dagegen verwahrt, beim assistierten Suizid einen Beitrag zu leisten. Ärzte sind keine Sterbehelfer und wollen es auch nicht werden. Sie können vielmehr entscheidend dazu beitragen, die Angst vor Leiden und Sterben wenn nicht zu nehmen, dann doch zu lindern.

Aus vielen Erhebungen ist schließlich bekannt, unter welchen Umständen der Wunsch nach Sterbehilfe nachlässt: sofern Ärzte und Pflegekräfte glaubhaft vermitteln können, dass sie Todkranken Schmerzen nehmen und das Leben erleichtern können, wenn es auf natürliche Weise mit ihnen zu Ende geht. Wer sich hingegen im Krankheitsfall vernachlässigt und schlecht versorgt glaubt, in seinem Kummer wie Schmerz allein gelassen, der ist eher bereit, der Forderung nach Sterbehilfe zuzustimmen.

Die gefühlte wie die tatsächliche Qualität der Betreuung entscheidet mit darüber, wie ausgeprägt der Wille ist, seinem Leben ein Ende zu setzen. Daher sollte an der Qualität der Betreuung etwas geändert werden - und nicht das Strafgesetzbuch.

Es geht nicht allein um das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen

Zudem bleibt in der Diskussion um die Sterbehilfe häufig ein wichtiger Punkt außer Acht: Wann immer es um die Erlaubnis geht, anderen Menschen straffrei beizustehen, gar zu helfen oder auch nur anwesend zu sein, wenn ihrem Leben ein Ende bereitet wird, geht es nicht allein um das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, sondern auch um die Hilflosigkeit einer hyperaktiven Gesellschaft, für die körperliche Lähmung und geistiger Stillstand gleichbedeutend sind mit Sinnlosigkeit und womöglich sogar mit dem Tod.

Es ist anmaßend, als Gesunder die wahre Befindlichkeit der Todkranken beurteilen zu wollen, ihr Leid und Unglück zu verharmlosen wie zu übertreiben. Aber vielleicht hilft es, wenn ein an allen vier Gliedmaßen gelähmter Mensch, der nur noch den Kopf - und auch das lediglich eingeschränkt - bewegen kann, den Unversehrten den Spiegel vorhält.

Philippe Pozzo di Borgo, dessen Schicksal Vorbild für den Film "Ziemlich beste Freunde" gewesen ist, hat betont, dass Jugend, Sportlichkeit und Dynamik gesellschaftlich sehr hoch rangieren. "Deshalb ist es für viele Menschen schwer zu ertragen, dass wir so verlangsamt sind, dass wir so wenig reagieren können", sagte er im Spiegel. "Die Leute haben Angst vor uns. Das Einzige, was uns bleibt, ist, sie zu verführen, mit dem Lächeln, das wir haben, mit unserem Humor. Wenn der Kontakt einmal hergestellt ist, dann ist der Weg frei. Berührt uns!"

Er hat nicht gesagt: "Bringt uns um!"

© SZ vom 02.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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