Geschmackssache: Rentier-Steak:Rudolph auf dem Teller

In England gibt es bei Lidl Rentierfleisch im Sonderangebot. Was bei Discount-Gourmets gut ankommt, entsetzt Tierschutzorganisationen. Warum nicht gleich Bambi braten?

Marten Rolff

Bei Tieren auf dem Teller ist ja immer ein gewisses Maß an Sensibilität angebracht. Viele Menschen beruhigt es einfach zu wissen, dass das Kälbchen, das da gerade als Gulasch an Serviettenknödeln auf den Tisch kommt, auch wirklich glücklich war, bevor man ihm den Bolzenschuss vor die Stirn knallte.

DEMONSTRATION FÜR RENTIERWEIDE

Tierschützer sind entsetzt: Einen Monat vor Weihnachten setzt Lidl in seinen englischen Märkten ein Rentiersteak auf die Sonderangebotsliste.

(Foto: DPA)

Beachtlich ist dabei das Maß an Verdrängungsmethoden, die ersonnen wurden, um diese Illusion wider besseren Wissens aufrecht zu erhalten. Ob knuddelige Mettigelchen, tanzende Schweine als Porzellandekor oder Klebeschinkenscheiben mit aufgedruckten Teddy-Gesichtern - wo geschlachtet wird, kann es anschließend auf unseren Tellern offenbar nicht niedlich und appetitlich genug zugehen.

Diese eigentlich gar nicht so hochkomplexe Technik der Ablenkung muss der Discounter Lidl wohl missverstanden haben. Anders ist es kaum zu erklären, dass er ausgerechnet einen Monat vor Weihnachten in seinen englischen Märkten ein Rentiersteak auf die Sonderangebotsliste setzt, das die Boulevardpresse nun ,,Rudolph-Steak'' getauft hat. Nach Rudolph, dem süßen, kleinen Rentier, das wegen seiner roten Nase von der Herde ausgegrenzt wird und - Ende gut, alles gut - schließlich das Schlittengespann des Weihnachtsmannes anführen darf, weil seine Nase so schön den Weg durch die heilige Nacht ausleuchtet. Kinder auf der ganzen Welt lieben diese Geschichte.

Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit für den Discounter, der wohl genauso gut hätte vorschlagen können, Bambi in den Ofen zu schieben, Nemo zu filetieren oder Tick, Trick und Track als Festtagsenten auf den Tisch zu bringen. ,,Lidl zerstört Weihnachten'', krakeelte die Tierschutzorganisation Viva! (Vegetarians International Voice for Animals) und zettelte sogleich eine Debatte an, nach der nun jedes halbwegs empfindsame Kind vermuten muss: In Sibirien werden die armen Rudolphs zu Tausenden von Schneemobilen und Hubschraubern zusammengetrieben und brutal getötet.

Ob das stimmt oder nicht, spielt für die öffentliche Wirkung des Discounters keine Rolle. Es interessiert ja heute auch niemanden mehr, dass Rudolph einmal die geniale Marketingidee einer US-Kaufhauskette und der Weihnachtsmann nur eine Erfindung von Coca-Cola war.

Lidl muss nun wohl Gras über die Sache wachsen lassen und beim nächsten Mal alles besser machen: Dann sollte Jamie Oliver (im Juni?) dafür werben, wie gesund fettarmes Rentier für Englands dicke Kinder ist, dem Fleischpaket sollten lustige, aber nicht näher definierte Rentierfiguren beiliegen, und drei Penny des Preises könnten an eine Stiftung für Eskimowaisen gehen. Dass ein 350-Gramm-Steak, das schlappe 5,99 Pfund kostet, gar nicht von glücklichen Tieren stammen kann, wird keinem auffallen.

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