Geschmackssache Innereien:"Hirn geht gar nicht"

Lungen-Herz-Milz-Ragout und Kutteln in Kapernsauce: Bei Stefan Hartmann stehen täglich Innereien auf der Speisekarte. Im Gespräch erzählt der Berliner Sternekoch, worauf es bei der Zubereitung ankommt - und welches Organ Frauen am häufigsten bestellen.

Antje Wewer

Stefan Hartmann, 35, wurde 2010 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. In seinem Restaurant, dem "Hartmanns" in Berlin-Kreuzberg, stehen immer Innereien auf der Speisekarte.

cervelle d'agneau poêlée aux pleurotes

So sehr Stefan Hartmann Innereien liebt - ein Organ kommt auch dem Sternekoch nicht auf den Teller: Hirn (im Bild von einem Lamm).

(Foto: FOOD-micro - Fotolia)

SZ: Warum verschwanden Innereien hierzulande mehr und mehr von den Menüs?

Stefan Hartmann: Weil viele sie barbarisch fanden! Gutes Fleisch konnte man auch lange nur im Ausland kaufen, das hat sich inzwischen aber geändert. Und die Gäste haben wieder Appetit auf Delikatessen wie Herz, Nierchen oder Kutteln.

SZ: Sind Organe nicht dazu da, einen Körper zu reinigen?

Hartmann: Richtig, da läuft alles durch.

SZ: Vielleicht kommt es einem deshalb irgendwie schädlich vor, sie zu essen. Ist es das denn nicht?

Hartmann: Man muss extrem auf die Qualität achten. Es ist entscheidend, womit die Tiere gefüttert wurden, damit sie nicht von Schadstoffen belastet sind. Also nur Bio, vom Metzger Ihres Vertrauens und am besten vorbestellen. Außerdem müssen Innereien vor dem Verzehr mit größter Sorgfalt gereinigt werden, dazu braucht es Handwerk. Sonst schmecken die edelsten Organe tatsächlich fürchterlich. Macht man es richtig, werden sie phantastisch. Generell kann ich nicht verstehen, warum jemand Filet isst, Innereien aber eklig findet. Filet steht doch genauso für Leben wie ein Rinderherz.

SZ: Ein Organ erinnert einfach mehr an das Tier, an den Organismus, nicht?

Hartmann: Da bin ich nicht so sentimental. Die Tiere werden doch eh geschlachtet, die Innereien sind also da. Warum sollten sie im Müll landen? Wenn schon getötet wird, dann doch bitte alles benutzen. Als Koch fordert es mich heraus, Innereien zu verarbeiten. Sie sind anspruchsvoll. Kutteln beispielsweise muss man wässern, drei Stunden lang abkochen, ich wechsle dabei dreimal das Kochwasser, damit sie besonders mild werden. Dann muss man sie weiter säubern und verarbeiten. Ich koche sie in Kalbsfond ein, mit Gewürzgurken, Kapern, Schalotten.

SZ: Klingt ja sehr aufwendig.

Hartmann: Nun, das ist Kochen!

SZ: Welche ist Ihre Lieblingsinnerei?

Hartmann: Kalbsbries. Ich liebe seine fest-zarte Konsistenz, die meisten Frauen übrigens auch. Es nimmt Röstaromen auf, ist vom Geruch her wunderschön, hat eine leichte Süße. Man kann es mit karamellisierten Äpfeln und Sellerie servieren, aber auch in klassische Gerichte wie Knödel oder dem Lungen-Herz-Milz-Ragout, auch Beuschel genannt, verarbeiten.

SZ: Und welche geht - Trend hin oder her - überhaupt nicht?

Hartmann: Hirn. Die meisten ekeln sich vor glibberigen Konsistenz, ich persönlich mag den Geschmack von milchigem Eiweiß nicht.

SZ: Sind frische Innereien de facto gesund?

Hartmann: Nährstoffdichte ist dabei für mich eher Nebensache, es geht um Geschmack. Man muss außerdem differenzieren: Sie sind ungesund, wenn man sie aus Massentierhaltung kauft. Aber die Eskimos essen nicht umsonst so viel rohe Leber. Zunge und Kutteln sind fettarm, leicht verdaulich und enthalten viel Eiweiß. Na, bekommen Sie Appetit?

SZ: Was würden Sie einem Einsteiger denn servieren?

Hartmann: Erst mal würde ich ihm raten, alle möglichen vorgefassten Bilder im Kopf beiseitezuschieben. Dann würde ich ihm geschmorte Nierchen in Balsamico-Jus auf den Teller legen. Ohne ihm zu sagen, was es ist. Die meisten essen es dann mit großem Genuss!

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