Geschichte:Im flimmernden Licht von Palmyra

Die syrische Ruinenstätte war eine der Metropolen der römischen Antike. Archäologen zaubern mit moderner Technik Bilder davon, wie sie einmal aussah.

Von Johan Schloemann

Wie viele Städte sind in Syrien, wie viele in Makedonien vom Erdboden verschwunden? (. . .) Häufig ist uns der Untergang ganzer Städte gemeldet worden, und wir, zu denen derartige Kunde gelangt, ein wie kleiner Teil von allem sind wir?"

So sinnierte vor zweitausend Jahren Seneca, der römische Philosoph, über historische Größe und Vergänglichkeit. Auch wenn die großartigen Ruinen der antiken Handelsmetropole Palmyra in der syrischen Wüste noch stehen, auch wenn die Horden des "Islamischen Staates" sie noch nicht verwüstet haben sollten - wovon bisher noch keine genaue Kunde zu uns gelangt ist -, so sind diese großartigen Ruinen doch nur die Reste einer noch viel gewaltigeren antiken Großstadt.

Palmyra, die Palmenstadt, Oase zwischen Mittelmeer und Euphrat, war unter der Herrschaft der römischen Kaiser ein riesiger Umschlagplatz: für Gewürze und Elfenbein aus Indien, Seide aus China, Wein aus Rhodos, Olivenöl aus Spanien, Sklaven von überallher. Unzählige Karawanen mit beladenen Kamelen zogen hier durch; eine örtliche Schicht von Kaufleuten wurde durch den Handel und die Zollgebühren sehr reich. Und das schlug sich in den Bauten der Stadt nieder, oder besser: Es wuchs empor. Die zentrale, beidseitig überdachte Säulenstraße, die im heißen Klima Schatten spendete, war mit 1,2 Kilometern die längste Shopping-Mall der Antike. Im Theater, das sich gut erhalten hat, boten Komödien und Wrestling-Shows mit Raubtieren Unterhaltung. Es gab prächtige Tempel zum Opfern und Thermen zum Baden.

Reisenden wurde immer empfohlen, die Ruinen von Palmyra zum ersten Mal kurz vor Sonnenuntergang in Augenschein zu nehmen. Wenn man am Abend oben auf der arabischen Zitadelle steht, um einen Überblick über das Gelände zu gewinnen - was im Moment leider kein einziger Tourist mehr tut -, dann weiß man, warum. Ein sanftes, nur noch leicht flimmerndes Licht senkt sich über die sandige Ebene, die Luft wird seidenweich, die Konturen der Hügel und der alten Säulen werden rasiermesserscharf, und kaum, nur von fern, hört man den Muezzin des angrenzenden Städtchens durch die Stille rufen. Bei so viel Wüstenmagie, bei so viel Ruinengefühl fällt es dann gar nicht leicht, sich die antike Stadt als eine vollständige, quirlige Siedlung vorzustellen.

Damit man sich dem antiken Ort und seinem Alltagsleben annähern kann, gibt es aber verschiedene Versuche der Rekonstruktion. Ein Weg ist die traditionelle Methode der Zeichnung, wie sie der Archäologe und Architekt Jean-Claude Golvin beherrscht. Der Franzose hat diverse Stätten des Altertums auf diese Weise nachempfunden, so auch das Palmyra der römischen Kaiserzeit auf dem großen Bild auf dieser Seite. Der andere Weg sind die immer aufwendigeren virtuellen Rekonstruktionen, durch die man sich wie per Google Streetview bewegen kann.

Palmyra - Entdeckung aus dem Weltall

Kolonnadenstraße.

(Foto: Guido Leuck)

So kann die Pracht des antiken Palmyra anschaulich werden, deren steinernen Überbleibsel jetzt auch noch bedroht sind. Weil es hier die einzigen Wasserquellen weit und breit gab, war der Ort sehr früh besiedelt worden, und schon vor Ankunft der Römer gab es hier einiges an Bautätigkeit. Im Jahr 64 vor Christus aber annektierte der Feldherr Pompeius Syrien als römische Provinz. Als sich Roms Herrschaft dann im Kaiserreich von Tunesien bis Südengland, von Spanien bis zu Rhein und Donau, von der Normandie bis zum Nil erstreckte, wurde Palmyra ausgebaut, vor allem im zweiten und frühen dritten nachchristlichen Jahrhundert.

Die Länge der Kolonnadenstraße scheint selbst ausdrücken zu wollen, wie unfassbar weit sich diese Herrschaft ausgedehnt hatte, die einmal auf dem Kapitol im fernen Rom begonnen hatte. Auf Palmyras Straßen sprach man nicht Lateinisch, sondern Aramäisch, weitere orientalische Sprachen und offiziell Griechisch. Und die Palmyrener beteten nicht Zeus oder Jupiter an, sondern den Gott Baal, mit dem man aber den römischen oder griechischen Göttervater praktischerweise identifizieren konnte. So unterschied sich die religiöse Situation radikal von der heutigen: Fremde Götzen wurden nicht bekämpft, sondern munter im Rahmen polytheistischer Toleranz eingemeindet. In Palmyra stand auch ein Tempel für Nabo, einen mesopotamischen Orakel- und Schriftgott - und den setzte man mit Apollo gleich.

Syria: Limestone funerary bust of a woman known to posterity as 'The Beauty of Palmyra', c. 190—210 CE

Frauenbüste, um 200 n. Chr.

(Foto: picture alliance / CPA Media Co.)

Mitte des dritten Jahrhunderts allerdings, zur Zeit der sogenannten Soldatenkaiser, wurde die römische Kontrolle des Ostens wackelig. Das Neupersische Reich der Sassaniden rückte vor, und im Jahr 260 demütigten und töteten ihre Truppen sogar Kaiser Valerian. Daraufhin wurden Palmyras lokale Herrscher selbstbewusster, und im Jahr 268 übernahm die legendäre Königin Zenobia für fünf Jahre die Herrschaft, die bis nach Ägypten ausgriff.

Als Zenobia, die als schön, polyglott und durchtrieben galt, sich "Augusta" und ihren Sohn "Augustus" nannte, da wurde es dem eigentlichen Träger dieses Titels, Kaiser Aurelian, zu bunt. Er nahm Palmyra in einem sehr robusten Einsatz ein (272/273 n. Chr.) und führte die stolze Zenobia auf einem Triumphzug in Rom als Gefangene vor. Vom folgenden Niedergang erholte sich die Handelsstadt nicht mehr. Einmal kamen noch die islamischen Eroberer vorbei, zerstört wurde sie erst 1400 von den Mongolen. Fortan lag Palmyra - auf Arabisch Tadmor genannt - jahrhundertelang verlassen in der Wüste.

Zwei englische Gentlemen, Robert Wood und James Dawkins, zeichneten dann im Jahr 1751 "The Ruins of Palmyra" und brachten ihren gleichnamigen Prachtband 1753 heraus - ein entscheidendes Datum für den europäischen Klassizismus, denn neben den pompeianischen Altertümern waren es die palmyrenischen, die die Antikenbegeisterung weckten. Die Ornamente aus der Wüste schlugen sich sehr bald in der Gestaltung englischer Herrenhäuser des 18. Jahrhunderts nieder.

Palmyra - Entdeckung aus dem Weltall

Baal-Tempel (virtuelle Ansichten aus der ZDF-Sendung "Palmyra").

(Foto: Guido Leuck)

Es sind die kulturellen Mischungen, welche die Kunst und das urbane Leben des antiken Palmyra so faszinierend machen. Persische, ägyptische, babylonische und phönizische Bau- und Schmuckformen trafen auf hellenistische und römische Architektur und Skulptur. Von der Antikenverwaltung des Assad-Regimes wahrscheinlich noch geborgen wurden alte Grabbüsten aus dem Museum von Palmyra: Sie zeigen markante Persönlichkeiten, mit aufwendigen Frisuren und feinem Schmuck. Und Textilien mit wunderschönen Mustern.

Mit dem Begriff "Zivilisation" muss man natürlich vorsichtig umgehen - und in der Antike war sicher nicht alles zivil. Aber man will doch hoffen, dass in Palmyra die Kultur nicht ganz versiegt - so wie die letzte der natürlichen Wasserquellen dort bereits vor einigen Jahren vertrocknet ist, was das Überleben der einst so strahlenden Oase Palmyra in den nächsten Jahren schwieriger machen wird, auch schon ohne das Zutun von Terroristen.

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