Genom-Forschung:Macken in der DNS

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Die Unterschiede im Erbgut verschiedener Menschen und Ethnien sind nicht nur überraschend groß - sie beeinflussen auch die Anfälligkeit für Krankheiten.

Sascha Karberg

Oft genug wird das menschliche Erbgut als Buch des Lebens beschrieben. Wäre es allerdings wirklich ein Buch, würden es viele Käufer wahrscheinlich entrüstet zum Händler zurücktragen:

(Foto: Foto: Photodisc)

Es enthält nicht nur vereinzelt ein paar Tippfehler, sondern immer wieder fehlen ganze Seiten oder Kapitel doppeln sich.

Das Ausmaß der Schlamperei ist viel größer als bislang vermutet. Diese Entdeckung beschreiben Forschergruppen des International Structural Genomic Variation Consortiums in den aktuellen Ausgaben der Fachmagazine Nature, Nature Genetics und Genome Research.

Daraus eröffnet sich auch ein neuer Blick auf erblich bedingte Erkrankungen.

Die Wissenschaftler haben das Erbgut von 90 Amerikanern europäischen Ursprungs, 90 nigerianischen Yoruba, 45 Japanern und 45 Chinesen miteinander verglichen.

Dabei suchten sie im Erbgut jedes Individuums nach DNS-Abschnitten, die bei anderen Testpersonen doppelt oder gar nicht vorkommen. Solche Duplikationen oder Streichungen gibt es in unterschiedlichen Ausmaßen, mal fehlen wenige Dutzend, mal sind Millionen von Erbgutbausteinen doppelt oder dreifach vorhanden.

Von so genannten "Copy Number Variations", CNV (Variationen in der Zahl der Genkopien), sprechen die Forscher, wenn mindestens 1000 DNS-Bausteine betroffen sind.

1447 solcher CNV entdeckte das internationale Forscherkonsortium. Das bedeutet, dass rund 12 Prozent des Erbguts der 270 Individuen in vielfachen Kopien vorliegen oder im Lauf der eigenen Familiengeschichte gelöscht wurden.

Außerdem entdeckten die Forscher DNS-Abschnitte, die in den Zellen der Personen, die vor einigen Jahren für das Humangenomprojekt sequenziert wurden, zufällig gefehlt haben, obwohl sie bei vielen anderen Menschen zum normalen Genom gehören.

Vermutlich sei das nur die "Spitze des Eisbergs", kommentieren die Genomforscher Kevin Shianna und Huntington Wilard von der Duke University in North Carolina die Arbeit der Kollegen. Je mehr Individuen in Zukunft untersucht würden, umso mehr Unterschiede dürften offenbar werden.

Doppelte oder fehlende Stücke

Es ist zwar keine besonders große Überraschung, dass auch das menschliche Erbgut ständig im Umbau begriffen ist, hier mal ein Stück verdoppelt wird und dort mal ein Stück fehlt.

Bei Modellorganismen, wie der Fliege, registrieren Forscher seit Jahrzehnten solche Kapriolen im Erbgut und lernen, welche Variationen etwa mit Fehlentwicklungen beim Insekt zusammenhängen.

Erstaunlich ist aber vor allem das Ausmaß dieser Unterschiede bei verschiedenen Menschen. Noch vor zwei Jahren, als die ersten Hinweise auf CNV gesammelt wurden, kalkulierten die Forscher, dass sich zwei Menschen in etwa einem Dutzend CNV, insgesamt rund fünf Millionen der drei Milliarden DNS-Bausteinen, unterscheiden. Jetzt schätzen die Forscher die Unterschiede auf mindestens 300 Millionen DNS-Bausteine.

Einige abweichende DNS-Abschnitte betreffen Regionen, in denen krankheitsauslösende Gene liegen, stellten die Forscher in einer ersten groben Analyse fest.

CNV stehen demnach mit der Entstehung von Erkrankungen in direktem Zusammenhang. 3000 Gene scheinen von den 1447 CNV betroffen zu sein, 285 davon haben die Forscher bereits mit Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter die Alzheimer-Demenz, die Parkinsonsche Schüttellähmung, entzündliche Darmerkrankungen, Gefäßerkrankungen und Schizophrenie.

Da bestimmte CNV in einigen Populationen häufiger vorkommen, könnten sie die Erklärung liefern, warum einige Leiden offenbar von der ethnischen Abstammung des Patienten abhängen.

So ist das Prostatakrebsrisiko bei afrikanischen Männern erhöht - wahrscheinlich aufgrund des Verlusts des Gens UGT2B17. Die Widerstandsfähigkeit gegen das Aids-Virus HIV wird hingegen durch die Kopienzahl des Gens CCL3L1 bestimmt. Die untersuchten Yoruba-Genome wiesen eine höhere Kopienzahl dieses Gens auf als europäischstämmige Genome.

Spuren der frühen Evolution

Offenbar reflektieren die CNV die Entwicklung der Menschheit. Wegen des gemeinsamen Ursprungs in Afrika kommen 89 Prozent der entdeckten CNV bei Afrikanern, Asiaten und Europäern gleichermaßen vor.

Sogar die frühe menschliche Evolution hat ihre Spuren im Genom in Form von CNV hinterlassen: Sie finden sich vor allem in den Erbgutregionen, wo die Gene für die Steuerung des Immunsystems und die Hirnentwicklung liegen - eben jene Gene, die in der Evolution des Menschen eine wichtige Rolle gespielt haben.

In jenen Genregionen, die die grundlegenden Prozesse der frühen Embryonalentwicklung steuern, schlägt das Erbgut hingegen weitaus weniger Kapriolen.

Solche Ergebnisse "verändern die Humangenetik für immer", sagt James Lupski vom Baylor College of Medicine in Houston, Texas.

Es müsse jetzt "Standard werden", schreiben die Forscher, nicht nur wie bislang einzelne, individuell unterschiedliche DNS-Bausteine, sondern auch die Zahl der Genkopien als Ursache von Krankheiten in Betracht zu ziehen.

© SZ vom 23.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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