Genetik:Ahnenforschung: Wie viel Prozent jüdisch bin ich?

Genetik: Die Bestimmung des eigenen "Urvolks" kostet 199 Euro. Für den doppelten Preis will die Firma ermitteln, "zu welchem Prozentsatz Sie jüdisch sind." Illustration: Veronique Stohrer

Die Bestimmung des eigenen "Urvolks" kostet 199 Euro. Für den doppelten Preis will die Firma ermitteln, "zu welchem Prozentsatz Sie jüdisch sind." Illustration: Veronique Stohrer

Die Ahnenforschung mittels Gentest boomt. Eine Firma in der Schweiz verkauft DNA-Analysen für jedermann. Kritiker werfen ihr vor, Rassentheorien zu unterstützen.

Von Jan Stremmel

Eines konnte sich Benjamin T. nie erklären: seine merkwürdige Liebe zum Mittelmeer. Nun hat er das Rätsel gelöst. Er stammt von den Phöniziern ab. Jenem Seefahrervolk, das im ersten Jahrtausend vor Christus an der Küste des heutigen Syrien lebte. Von dort, weiß Benjamin T., müssen seine Vorfahren irgendwann in die Schweiz gewandert sein. Und bis heute, glaubt er, ziehen ihn die Gene seiner seefahrenden Urahnen ans Meer. "Faszinierend", findet Benjamin T.

Faszinierend. Man kratzt mit einem Plastikbürstchen an der Innenseite der Wange und schickt die Probe per Post an eine Adresse in der Schweiz. Dann bekommt man ein Zertifikat, das die Abstammung von einem antiken Volk belegt. Benjamin T. ist einer der vielen zufriedenen Kunden, die auf der Website der Firma von ihren Erfahrungen schwärmen.

Ahnenforschung Premium oder Expert?

Man wählt dort zwischen vier Währungen, Euro, US-Dollar, Schweizer Franken und britischem Pfund. Das "Premium"-Paket, mit dem Benjamin T. seine rätselhafte Liebe fürs Meer entschlüsseln konnte, kostet 449 Euro. Das "Expert"-Paket, mit etwas aufwendigerem Test, kostet 1099 Euro, zahlbar mit Visa, Mastercard und Paypal. Die Firma heißt Igenea, ist nach eigenen Angaben Marktführer in Europa und bietet "wissenschaftlich fundierte" Tests an. Aber führende Wissenschaftler nennen das Angebot "irreführend", die Ergebnisse "esoterisch".

Die Ahnenforschung und das Geschäft mit ihr boomen. In unsicheren Zeiten legt der Mensch Wert auf Verankerung, das ist eine Erklärung. Vor allem ist die Erkundung der Familiengeschichte leichter denn je. Durchs Internet, klar, und neuerdings auch durch Gentests. Seit DNA-Analysen immer günstiger werden, muss man nicht mehr Kirchenbücher und Sterberegister wälzen, um etwas über die eigene Abstammung zu erfahren. Man bekommt spektakuläre Ergebnisse per E-Mail.

Zu welchem Prozentsatz sind Sie jüdisch?

Die Firma Igenea ist ein Gewinner dieses Trends. Wer einen Test bestellt, bekommt nach ein paar Wochen ein Zertifikat, das das "Urvolk der Antike" nennt, von dem man abstammt. Zum Beispiel von den Kelten, den Germanen, den Phöniziern. Außerdem ist dort die eigene "Ursprungsregion" vermerkt und, auf Wunsch, "zu welchem Prozentsatz Sie jüdisch sind". Igenea verkauft etwa 3000 DNA-Tests pro Jahr.

Roman Scholz ist der Geschäftsführer der Firma, er geht von seinem Büro rüber zum Asia-Restaurant, Mittagessen. Das kleine Büro liegt in einem Industriegebiet in der Nähe von Zürich, im Erdgeschoss sitzt ein Vertrieb für Kaffeemaschinen. Die Firma Igenea besteht aus drei Mitarbeitern: Aus Scholz, 32, ein schlaksiger bayerischer Jurist, und aus den zwei Gründern, ein Schweizer Ehepaar, das früher Vaterschaftstests verkauft hat.

Scholz spricht mehrere Stunden über das Geschäft mit den Gentests, aber als man ihm später seine Zitate zur Autorisierung vorlegt, will er keines davon freigeben. Die Firma ist nicht unumstritten, aber erklären will sie sich offenbar nicht.

Bewusst provokative Bildsprache mit Judenstern

Besucher der Website sehen gleich auf der Startseite das Bild einer dunkelhaarigen Frau, die mit Kerzenleuchter in der Hand vor einem Davidstern steht. Daneben die Frage: "Jüdische Wurzeln?" Dieses Angebot wird viel diskutiert, vor allem in Internetforen, die mit Reichskriegsflaggen geschmückt sind. Viele dort finden den "Judentest" toll. Nur der User "Ausgeschwitzt" wendet ein: "Die Ariernachweise meiner Großeltern genügen mir."

Roman Scholz erklärt, das Angebot und die Bildsprache seien bewusst provokativ gehalten. Aber die Ahnenforschung mittels DNA sei nun mal maßgeblich von amerikanischen Juden ausgegangen. In der Tat besteht ein großer Teil der amerikanischen Gen-Datenbanken aus gespendeter DNA von Juden. Die Genome verschiedener Gruppen von Juden, etwa der Aschkenasim, sind deshalb sehr weit analysiert und besonders gut zu identifizieren.

Drei Arten von Kunden

Scholz setzt sich hin, bestellt Hühnchen knusprig und einen Eistee und erklärt, es gebe drei Arten von Kunden. Einmal die typischen Hobby-Ahnenforscher, die ihren Familienstammbaum ergänzen wollen. Dann die "Lifestyle-Kunden", die den Test eher aus Spaß machen. Und dann gebe es noch Kunden, denen es wirklich ernst sei. Zum Beispiel Adoptivkinder auf der Suche nach ihren Eltern. Oder Auswanderer auf der Suche nach Verwandten. Immer mal wieder gibt es aber wohl auch jemanden, der den "Judentest" aus zweifelhafteren Motiven macht.

Scholz nimmt einen Schluck Eistee und erzählt. Es gibt wohl Kunden, die am Telefon einen Test bestellen und dabei zugeben, vor allem ausschließen zu wollen, jüdische Gene zu haben. Denen könne er auch nicht helfen, sagt Scholz. Er sieht sich als Dienstleister. Und die Gründerin von Igenea sei ja auch Jüdin. Sie bekämen ohnehin Kritik von links wie von rechts: von Antisemiten, aber auch von Antifaschisten, die der Firma vorwerfen, Rassentheorien zu unterstützen. Scholz beruft sich darauf, seine Firma mache nichts Illegales. Man nutze anerkannte Forschungsmethoden.

Entsetzte Nachfahren

Viele Kunden haben offenbar trotzdem klare Erwartungen an ihr Testergebnis. Zum Beispiel Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien seien oft entsetzt, wenn sie erfahren, dass ein Teil ihrer Gene aus dem Nachbarland komme. Oder wenn der Test bei Türken kurdische Gene, bei Mazedonen griechische Gene nachweist. Scholz mische sich da nicht ein, sagt er. Aber es muss ihm bewusst sein, dass seine Firma auch von ethnischen Konflikten lebt. Den Preis für den Einsteiger-Test hat Igenea vor ein paar Jahren auf 199 Euro verdoppelt.

Wissenschaftler sind skeptisch

Dabei ist die Firma nicht der einzige Anbieter von Gentests für den Hausgebrauch. Der weltweit größte ist 23andMe, ein Biotech-Unternehmen aus dem Silicon Valley. Dessen Angebot ist deutlich umfangreicher: Während die Schweizer nur die zwei Abschnitte der DNA analysieren, die väterlich oder mütterlich vererbt werden, testen die Amerikaner das komplette Genom, inklusive krankheitsrelevanten Genen, und gleichen es mit mehr als einer Million Probanden ab. Für 99 Dollar plus Versand.

Eine Milliarde Vorfahren

Die unverhältnismäßig hohen Preise von Igenea sind nicht alles, was Johannes Krause stutzig macht. Krause ist Archäogenetiker und Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. "Wenn wir nur 500 Jahre zurückgehen, also etwa 30 Generationen, hat jeder von uns rechnerisch zwei hoch dreißig Vorfahren", sagt er. "Also eine Milliarde."

Mit der Analyse der väterlichen oder der mütterlichen Linie, die Igenea verkauft, erfahre man keineswegs etwas über "die Vorfahren". "Sondern mathematisch über genau einen oder maximal zwei davon." Nämlich den Ur-mal-30-Großvater oder die Ur-mal-30-Großmutter, die dieses Gen weitergegeben haben. Über die 999 999 998 anderen Vorfahren erfährt man nichts.

Irreführend und esoterisch

Das Angebot, ein "Urvolk" ausfindig zu machen, hält Krause für genauso irreführend und esoterisch. "Natürlich sind wir mit den Kelten verwandt. Und mit den Phöniziern. Genau wie mit allen anderen Populationen in Europa und großen Teilen Asiens." Die Aussage, von welchem genau man abstamme, sei "völlig unmöglich".

"Klar, die DNA-Analyse ist der große Trend", sagt Dirk Weissleder. Aber auch er sieht ihn mit Skepsis. Weissleder ist Vorsitzender des DAGV, des Dachverbands der deutschen Ahnenforscher. "Wenn zwei Menschen mit so einem Test herausfinden wollen, ob sie Cousins sind, meinetwegen. Aber Jahrtausende zurückgucken, was bringt das? Es geht doch um die einzelnen Menschen und ihr Verhältnis zueinander. Und darüber sagen einem die Gene nichts."

Die Leute brauchen ein anschauliches Ergebnis

Zurück in seinem Büro klickt sich Roman Scholz am Computer durch sein eigenes Testergebnis, nur mal als Beispiel. Auf dem Bildschirm baut sich eine Weltkarte auf mit bunt wabernden Flächen über Frankreich, Deutschland und Polen. Seine eigene "Ursprungsregion". 39 Prozent Westmitteleuropa, 34 Prozent Südeuropa, 20 Prozent Osteuropa, sieben Prozent Kleinasien.

Dass sich die "Region" in Wahrheit gar nicht exakt ermitteln lässt, sage er den Kunden immer dazu. Schließlich basiere die Karte nur auf Treffern mit Menschen in der Datenbank, die aus ähnlichen Gegenden stammen. Aber er müsse den Leuten nun mal ein anschauliches Ergebnis zeigen, das sie verstehen. Wenn ein Kunde von den Kelten abstamme, also etwa jeder zweite, füge Scholz in seine Mail immer einen Link zum Wikipedia-Artikel über die Kelten ein. Bisher seien alle Kunden zufrieden gewesen.

Zu 70 Prozent jüdisch

Eine davon ist Anja Pfeiffer, 44, eine Krankenschwester aus Berlin, die in der Schweiz lebt. Ihre Mutter, sagt Pfeiffer am Telefon, sei im Krieg versteckt worden. Ihre Großmutter sei vor den Nazis geflohen, von ihrem Großvater wisse sie nichts. Allerdings habe ihre Mutter mehrmals von einer Berliner Brauerei Geld überwiesen bekommen. Die Brauerei hatte vor dem Krieg einem Juden gehört. War er Anja Pfeiffers Großvater? "Der Test bei Igenea hat ergeben: 70 Prozent Osteuropa, mehr als tausend Datenbank-Matches mit Juden." Ganz eindeutig, habe man ihr gesagt, sie sei zu 70 Prozent jüdisch.

Anja Pfeiffer glaubt, der jüdische Brauereibesitzer war ihr Großvater. Sie ist zu seinem Grab nach Zürich gefahren. Sie ist zufrieden. Allerdings, sagt sie dann, sei sie ein wenig unsicher. Schließlich stehe nun in irgendeiner Datenbank ein Vermerk, dass sie jüdische Gene habe. "Und es laufen ja heute wieder Leute mit T-Shirts rum, auf denen ,Anti-Jude' steht." Anja Pfeiffer, zu 70 Prozent jüdisch, überlegt nun, ihren Datensatz löschen zu lassen.

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