Gen-Doping:Hauptsache, die Chemie stimmt

Weil Manipulationen nur schwer entlarvt werden können, sind viele Athleten vom Gendoping fasziniert - der Leistungssteigerung der Zukunft.

Christina Berndt

Der kleine Mann ließ sie alle hinter sich. Mit seinen nicht einmal 1,70 Meter fiel der Finne Eero Mäntyranta unter den anderen Skilangläufern auf - und auch wegen seiner spektakulären Erfolge, die ihm zwischen 1960 und 1972 zahlreiche Medaillen einbrachten.

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Hartnäckig stritt Mäntyranta ab, jemals unerlaubte Substanzen genommen zu haben. Was das Geheimnis des kleinen Mannes war, sollten Wissenschaftler erst 20 Jahre später herausfinden. Sie untersuchten Mäntyrantas Erbgut und das von 200 seiner Verwandten und stellten erstaunt fest: Der schnelle Finne war auf natürliche Art gedopt.

Er besaß von Geburt an eine Gen-Mutation - ausgerechnet in jenem Gen, mit dem der Körper auf das Hormon Erythropoetin reagiert, das besser bekannt ist als Dopinghormon Epo. Dadurch bildete Mäntyranta mehr rote Blutkörperchen als andere Menschen, und sein Blut konnte mehr Sauerstoff transportieren. Das war es also, was Mäntyranta so leistungsfähig machte. Der Mann aus den Siebzigern besaß bereits das Doping der Zukunft.

Atemraubende Erfolge

Die Mutation des kleinen Finnen hätten wohl viele Sportler gerne. Und Doping-Spezialisten sind überzeugt, dass sich manche diesen Wunsch in nicht allzu ferner Zukunft mit Hilfe der Gentechnik erfüllen können. Genetische Fitmacher werden das Doping des 21. Jahrhunderts, warnen unisono die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und das IOC. Und manch einer ist überzeugt, dass einzelne Sportler bereits bei den Olympischen Spielen in Peking mit gedopten Genen in den Wettkampf ziehen. "Früher oder später wird es geschehen", ist Theodore Friedmann überzeugt, der Leiter des Gendoping-Ausschusses der Wada.

Tatsächlich könnten Wissenschaftler das Erbgut schon heute so verändern, dass Sportler ihre Dopingmittel gleich selbst herstellen. Nur wenige Eingriffe sind nötig, um Sauerstofftransport, Ausdauer, Sprintvermögen oder Nährstoffversorgung zu verbessern.

Die Tür zu der neuen Ära in der Leistungsmanipulation ist bereits geöffnet. Denn die wichtigsten biochemischen Mechanismen des Körpers sind bekannt. Grundsätzlich können damit alle wichtigen Eigenschaften eines Siegertypen hervorgehoben werden - womöglich eines Tages auch Siegeswillen und Schmerztoleranz. "In der Biochemie steckt großes Potential", sagt Mario Thevis, Professor am Zentrum für präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. "Da gibt es viele Hebel, an denen man ansetzen kann."

Bei Mäusen und zum Teil auch bei kranken Menschen funktioniert die Technik schon. Ärzte versuchen seit einigen Jahren, Krankheiten zu heilen, indem sie Patienten Gene einsetzen, die ihnen fehlen. Solche Manipulationen sind allerdings ausgesprochen gefährlich und auch kaum wieder rückgängig zu machen.

Hauptsache, die Chemie stimmt

Tod durch Gentherapie

Ein junger Mann ist vor einigen Jahren an einer Gentherapie gestorben. Und noch heute riskiert jeder, der an solch einem Experiment teilnimmt, den Tod. Die Erfolge bei Mäusen sind dagegen bereits atemberaubend. So wurden faule Labormäuse durch ein einziges zusätzliches Gen zu muskelprotzenden "Schwarzenegger-Mäusen".

Der Forschritt geht mit hohem Tempo weiter. Neuerdings müssen Forscher beim Gendoping nicht einmal mehr das Erbgut verändern. Gene lassen sich auch einfach durch Tabletten beeinflussen. Erst vor wenigen Tagen meldeten Wissenschaftler aus Kalifornien, dass sie aus faulen Mäusen ausdauernde Langstreckenläufer gemacht haben - und das ganz ohne Training. Sie gaben ihnen einfach zwei Substanzen zu fressen, die in den Muskelstoffwechsel der Tiere eingriffen.

Zu Recht fasst die Wada daher unter den Begriff Gendoping nicht mehr nur die direkte Genmanipulation, sondern alles, was den Körper dazu bringt, die vorhandenen Erbanlagen besser zu nutzen.

Die neuen Verfahren beim Gendoping mögen sanfter sein - ungefährlich sind auch sie nicht. Trotzdem gibt es Sportler, die bereits danach lechzen. Als Lee Sweeney von der Pennsylvania School of Medicine seine Forschungsergebnisse über eine Muskel-Maus veröffentlichte, ging es ihm um eine Therapie für Muskelschwäche. Doch seither bekommt der Professor ständig E-Mails von Bodybuildern und Kraftsportlern, die sich statt der Mäuse als Versuchsobjekte anbieten. Sweeney ist fassungslos.

Der Ehrgeiz der Sportler und die Möglichkeiten der Genetik mögen vielen Menschen als Horrorszenario erscheinen. Den Tübinger Anti-Doping-Forscher Perikles Simon lassen sie trotzdem relativ kalt. Mit den neuen Erkenntnissen gebe es "lediglich mehr Möglichkeiten, die Leistung noch einmal zu steigern", sagt er. Sie seien auch nicht schlimmer als die alten. Allerdings sind die Kontrollen bei den genetischen Fitmachern bisher noch besonders schwierig.

Solange die Wissenschaft dem Ideenreichtum der Gendoper hinterherhinkt, könnte neben den Körpern der Sportler vor allem eines leiden: die Freude der zweifelnden Zuschauer über die Rekorde.

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