Gefängnis-Mode:Gangsterhafter Glamour

Von Drogenhändlern, Mördern und Bankräubern genäht, in Beverly Hills teuer verkauft: In Amerika boomt Mode aus dem Gefängnis.

Jonathan Fischer

Made on the inside to be worn on the outside." Drinnen hergestellt, um draußen getragen zu werden. Das verkünden die Etiketten der Jeans, Mäntel und perlenbestickten Hemden, die von Gefängnisinsassen in Oregon für 45 Cent die Stunde gefertigt werden und in den feinen Boutiquen von Beverly Hills für bis zu 350 Dollar über den Ladentisch gehen. Blanker Zynismus oder die perfekte Werbestrategie?

Gefängnis-Mode: Diese Jeans kommt aus dem Gefängnis und trifft den Nervenkitzel auf dem Modemarkt.

Diese Jeans kommt aus dem Gefängnis und trifft den Nervenkitzel auf dem Modemarkt.

(Foto: Foto: OH)

"Prison Blues" nennt sich die dazugehörige Marke. Warum auch eine Herkunft verschweigen, die so offensichtlich den letzten Nervenkitzel auf einem saturierten Modemarkt darstellt? Von Drogenhändlern, Mördern und Bankräubern genäht: Das verspricht ein Quäntchen mehr Härte und Authentizität. Ganz abgesehen von dem Distinktionsgewinn, den man aus der gefühlten Nähe zu den schweren Jungs und Mädels in der Gefängnisfabrik zieht.

"Prison Blues" wurde 1989 von den Justizbehörden des Bundesstaates Oregon als Label eingeführt. Das Startkapital lieferten konfiszierte Drogengelder, der Plan dahinter zielte auf eine Reduzierung der Unterhaltskosten für die Gefangenen. In einer Textilfabrik nahe dem Gefängnis von Pendleton, Oregon, arbeiten seitdem etwa 50 Insassen neun Stunden am Tag an Schnittmustern und Nähmaschinen.

Dabei ist die Gefängnisfabrik in Oregon längst nicht die einzige: Hunderte von Justizvollzugsanstalten in Amerika lassen ihre Insassen zu Cent-Tarifen und Arbeitskonditionen wie in der Dritten Welt Produkte herstellen, die dann unter dem Banner trendiger Marken wie No Fear, Lee Jeans oder Trinidad Tees auf den Markt kommen.

Das passt in eine Zeit, in der Teile der Gefängniserfahrung via Hip-Hop und Straßenkultur "Pop" werden, Gitterstäbe und Häftlingsanzüge Plattencover schmücken und die Hierarchien in den Ghettos sich über die Knastjahre definieren.

Mehr als 2,2 Millionen Gefangene zählen die Vereinigten Staaten: Die Ziffer wirkt noch beeindruckender, wenn man weiß, dass auf dieses Land mit nur fünf Prozent der globalen Population ein ganzes Viertel der Gefangenen dieser Welt entfallen. Und wenn jeder zweite Insasse ein Afroamerikaner ist, dann verwundert es kaum, dass die Knasterfahrung wesentlich auf den schwarzen Alltag abfärbt. Beziehungsweise über die von Haft-erfahrenen Hip-Hop-Stars wie Akon, Lil' Kim, Slick Rick oder Shyne lancierten Reime einen Touch des gangsterhaft Glamourösen erhält: Prison Chic.

Die Verklärung der Gefängnisstrafe hat über die Hip-Hop-Mode längst auch die weißen Vorstädte erreicht. Ironie der Geschichte, wenn immer mehr Mittelstands-Kids schnürsenkellose Sneakers, Bandanas genannte Kopftücher und tiefhängende Baggy Pants tragen - ohne vom kriminellen Ursprung dieser Straßenmode zu wissen.

Ein Großteil dieser Kleiderriten stammt aus den Gang-geplagten Latino- und Schwarzenvierteln von Los Angeles. Von dort aus haben sie sich über Gangsterrap-Videos in den Rest der Welt verbreitet. Zum Beispiel Baggy Pants: Diese oft weit über die Pobacken hängenden und die Unterwäschemarke freigebenden Hosen gelten als Nonplusultra der proletarischen Straßen-Couture. Selbst Edeldesigner haben sie inzwischen ins Programm genommen - schließlich wird, was Rapper tragen, spätestens nach dem zweiten Video auch laufstegfähig.

Was aber haben Baggy Pants mit dem Knast zu tun? CNN dokumentierte jüngst den Gefängnisbesuch einer Schulklasse. Ein Ex-Gangster spricht da in pädagogischer Absicht zu den Jugendlichen und erzählt von den täglichen Leibesvisitationen - inklusive den erniedrigenden Durchsuchungen der Afterhöhle. Dann zeigt er auf seine weitgeschnittenen Hosen: "Ihr haltet das hier wohl für schick? Möchtet auch gerne solche Baggy Pants haben? Aber hier geht es nicht um Mode, sondern um einfachen Zugang."

Einer anderen Legende nach geht das Tragen hängender Hosen ohne Gürtel auf die Einlieferungsprozedur im Gefängnis zurück, wo den Inhaftierten als erstes die Gürtel abgenommen werden, bevor sie ihre Uniform erhalten. Auch Schnürsenkel werden dort als potentielle Strangulierungswerkzeuge konfisziert.

Haftentlassene Gangmitglieder tragen diesen Stil und Teile ihrer Gefängniskleidung oft wie ein Ehrenzeichen auf der Straße: Gangster, und stolz darauf! Wer seine Sneakers ungeschnürt auf dem Asphalt schleifen, sein Hinterteil ungeniert aus der Hose schauen lässt, zeigt an, dass ihn kein Gefängnis schrecken kann.

Manche Rapper wie Beanie Sigel haben dabei ihre Haftstrafe auch noch zum Geschäftsvorteil umgemünzt: Nachdem der Hip-Hop-Star wegen einer Schießerei in den Knast wanderte, lancierte er sein eigenes Label. "State Property" heißt es und wirbt für Hosen mit geheimen Taschen und Pistolenholstern.

"Der Knast ist eine Steigerung der Straße", erklärt Cadi Agueros, Stylist beim amerikanischen Magazin Vibe, die Faszination des Prison Chic, "deshalb ist das stärkste Mode-Statement eine Uniform mit passenden Hemden und Hosen, wie eine Gefängnisuniform." Kulturkritiker sehen in diesem Stil auch einen Versuch, die Straßenenergie des Hip-Hop zu restaurieren - als Gegenbewegung zur Haute Couture, die Mainstream-Stars wie P. Diddy mit Pelzmantel und Designerbrillen propagieren.

Wenn dessen Label Sean John die Jeans für 75 Dollar verkauft, dann sind Gefängnis-Baggys, oder Doo-Rag genannte Ein-Dollar-Kopftücher ein trotziges Statement. Schon sind die großen Marken auf den Zug aufgesprungen: PNB Nation, ein Ableger von Perry Ellis, produziert Laufstegware im Prison-Look, inklusive T-Shirts mit aufgedruckten Identifikationsnummern.

Inzwischen dient der Kriminellen- Chic aber nicht nur einer zweifelhaften Glorifizierung. Er hält auch potentielle Gangster vom Gefängnis fern: So steht hinter der Marke "Homeboy Industries" aus Los Angeles ein Selbsthilfe-Projekt von ehemaligen Gangmitgliedern. "Nothing stops a bullet like a job" - nichts hält eine Kugel besser ab als ein Job, lautet ihr Wahlspruch.

Die von einem Jesuitenpater 1992 gegründeten Werkstätten dienen jährlich mehreren hundert Ex-Kriminellen mit Bandenhintergrund als Wiedereingliederungshilfe: Tatsächlich haben sich die T-Shirts und Baseballkäppis mit dem "Homeboy"-Logo zu einem Renner auf den Straßen entwickelt, mit zweistelligen Zuwachsraten und einem nicht bezifferbaren sozialen Gewinn.

Schließlich lernen junge Männer hier auch, ihren Ärger zu kontrollieren, Frauen respektvoll zu behandeln und pünktlich zu sein. Damit sie unter den neuen Kleidern zu neuen Menschen werden, werden ihre Gang-Tattoos entfernt. Die sind nämlich nicht modisch, sondern für Aussteiger schlicht lebensgefährlich.

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