Schweden:Trainieren für die Geburt im Auto

Geburt

Nur in Einzelfällen kommen in Deutschland Babys im Auto zur Welt.

(Foto: monkeycz/iStockphoto)

Was tun, wenn der Weg zur nächsten Klinik weit ist? Zwei schwedische Hebammen bieten Kurse für werdende Eltern an, die auf sich allein gestellt sind.

Von Anna Fischhaber

52 Zentimeter groß, 3330 Gramm schwer. Eigentlich ist Luna ein normales Baby. Ihre Geburt allerdings ist ein kleines Abenteuer: Das Kind kommt nicht im Kreißsaal zur Welt, sondern im Auto. An einer Tankstelle in Buschhoven bei Bonn. 13 Tage sind es noch bis zum errechneten Geburtstermin, als bei Mutter Yvonne Bartz leichte Wehen einsetzen. Sie misst ihnen zunächst keine Bedeutung zu.

Einige Stunden später entscheidet sie sich, doch in die Klinik zu fahren. Zu spät: Im Auto seien die Wehen plötzlich stärker geworden, hat Bartz nun dem General-Anzeiger erzählt. Schließlich platzt die Fruchtblase. Ihr Mann steuert daraufhin die Tankstelle an und bittet die Mitarbeiter, den Notruf zu wählen. Das Paar hat Glück: Es dauert nur wenige Minuten, bis die Ärzte da sind. Die Mutter hat bereits den Sitz nach hinten geklappt. Drei Minuten später ist Luna da. "Die Entbindung im Auto ging unproblematischer vor sich als vor zwei Jahren die Geburt unseres Sohnes", sagt Bartz hinterher. Angst habe sie keine gehabt - im Gegensatz zu ihrem Mann.

Die Angst, im Auto Eltern zu werden, kennen auch zwei Hebammen in Sollefteå, Schweden. Weil in der 9000-Einwohner-Gemeinde im wenig besiedelten Norden des Landes die Entbindungsstation Ende Januar schließt und Schwangere künftig ziemlich weit fahren müssen, bieten sie künftig Kurse für die Notfall-Entbindungen im Auto an. "Sie denken, sie sparen Millionen Kronen, wenn die Entbindungsstation schließt", kritisiert Hebamme Stina Näslund. "Für mich persönlich fühlt es sich an, als würden sie den Lebensnerv einer Gesellschaft zerschneiden."

Die Situation in der Region sei drastisch: "Stellen Sie sich vor, es wären zwischen 120 und 200 Kilometer bis zu nächsten Entbindungsstation, es ist Winter und dunkel, das Handynetz ist schlecht und alles kann auf dem Weg passieren", erklärt Näslund der schwedischen Nachrichtenseite The Local. In ihren Kursen will sie werdende Eltern auf solch lange und beschwerliche Reisen vorbereiten, damit sie sich sicherer fühlen - auch wenn die Geburt wirklich unterwegs beginnen sollte. Über das große Interesse ist Näslund selbst ein wenig überrascht: Ihr Telefon stehe seit der Kursankündigung nicht mehr still. Eine gute Idee also auch für Deutschland?

"Die Situation auf Sylt ist wie im Busch"

In ländlichen Gebieten - etwa in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern - müssen Hochschwangere auch in Deutschland bis zu 40 Kilometer zur nächsten Entbindungsstation fahren. Am schwierigsten haben es werdende Mütter wohl auf Sylt: Die Geburtsstation schloss 2014, nun müssen die Frauen ihre Kinder auf dem Festland in Husum oder Flensburg zur Welt bringen. Bei Hochwasser sind diese Kliniken nur mit dem Hubschrauber zu erreichen.

"Die Situation auf Sylt ist wie im Busch", sagt deshalb Hebamme Heidrun Hepper im NDR. Immerhin gibt es auf der Insel inzwischen eine 24-Stunden-Rufbereitschaft der Hebammen. Schwangeren wird dennoch geraten, die Insel bereits zwei Wochen vor dem Geburtstermin zu verlassen, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten. In der Praxis ist das aber nur schwer umsetzbar, vor allem wenn bereits Kinder da sind, die betreut werden müssen. Erst kürzlich kam ein Baby in einem Rettungswagen im Autozug von der Insel aufs Festland zur Welt.

Zahlen darüber, wie viele der zuletzt etwa 700 000 jährlichen Geburten in Deutschland wirklich im Auto stattfinden, gibt es nicht. Das seien aber extrem seltene Einzelfälle, erfährt man beim Berufsverband der Frauenärzte. "Wenn eine Frau sich frühzeitig bei Wehenbeginn ins Krankenhaus fahren lässt und nicht erst wartet, bis die Wehen im Drei-Minuten-Takt kommen, dann wird sie in den allermeisten Fällen das Krankenhaus gut erreichen", sagt Präsident Christian Albring auf Anfrage von SZ.de. Zudem gibt es hierzulande - anders als in Schweden, wo Babys fast ausschließlich in Kliniken zur Welt kommen - eine Vielzahl an Geburtshäusern.

Einen Kurs für Autogeburten hält man beim Berufsverband der Frauenärzte deshalb für nicht sinnvoll. Im Gegenteil: Er könnte bei Schwangeren und ihren Partnern auch das Gefühl erwecken, man könne bis zum letzten Moment warten und die Geburt dann selbst managen. Das wäre jedoch ein sehr großes Risiko für Mutter und Kind, warnt Präsident Albring: Zwei Minuten während der Geburt ohne Sauerstoff könnten bereits zu lebenslangen Schäden beim Kind führen.

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