Gebräuchliche Impfungen:Kinderlähmung (Polio)-Impfung

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Inge Smolek

Westeuropa wurde 2002 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Polio-freien Zone erklärt. Bei der Schluckimpfung besteht ein geringes Risiko von eins zu 2,4 Millionen, dass der friedliche Impf-Poliovirus zu einem aggressiven Poliovirus verwildert. Deshalb haben sich Deutschland und Österreich entschlossen, die Polio-Schluckimpfung nicht mehr zu verwenden, sondern nur noch die Stichimpfung ("Salk"Impfstoff).

Ziel der Schutzimpfungen gegen Kinderlähmung ist die weltweite Ausrottung dieser Viren. Da sie allerdings natürliche Rückzugsgebiete haben, wo sie lange Zeit überdauern können, scheint dies nicht so einfach zu sein wie bei den Pocken.

Erreger und Krankheitsbild

Die Kinderlähmung wird durch Infektion mit Polioviren hervorgerufen. Sie werden von Mensch zu Mensch übertragen. Entweder durch Kontakt mit Fäkalien oder durch Tröpfcheninfektion. In Infektionsgebieten lassen sich Polioviren auch in verschmutzten Gewässern und in Abwässern von Kanälen nachweisen.Endemiegebiete sind etwa Indien und Nigeria.

Wirkprinzip der Impfung

Schluckimpfung (OPV) Hier wird der Impfstoff aus vermehrungsfähigen abgeschwächten Polioviren oral als Schluckimpfung verabreicht. Durch beständige Auswahl der am wenigsten krankmachenden Polioviren gelang es dem US-amerikanischen Bakteriologen Albert Sabin schließlich, geeignet schwache Viren für die Impfung zu züchten. Sie werden entweder auf Affennieren-Zellkulturen vermehrt oder in Zellstämmen vom Menschen.

Die orale Impfung ahmt den natürlichen Infektionsweg nach. Durch die vom Impfling ausgeschiedene Nachkommenschaft der verabreichten Impfviren können auch Kontaktpersonen des Impflings "mitgeimpft" werden. In 1 : 2,4 Millionen Schluckimpfungen kommt es zur Verwilderung eines friedlichen Poliovirus zu einem aggressiven ("Impfpoliomyelitis"). Die gefürchtete Nebenwirkung wurde in Kauf genommen, solange die Kinderlähmung eine Volkskrankheit war. Heute ist sie inakzeptabel. Totimpfung (IPV)

Zur Herstellung der inaktivierten Polioviren nach der Methode des US-Amerikaners Jonathan Salk werden Wildviren in Zellkulturen vermehrt und nach verschiedenen Reinigungsschritten durch Einwirkung von Formaldehyd und Wärme abgetötet. Im Verdauungstrakt lösen die inaktiven Viren im Gegensatz zur Schluckimpfung jedoch keine Immunität aus. Deshalb ist die Schutzwirkung geringer. Auch ist es mit IPV nicht möglich, eine ganze Region von Polioviren zu befreien, da IPV-geschützte Personen sehr wohl noch als Träger der Viren fungieren und die Viren an die Umgebung weitergeben können.

Je nach Land wird entweder die Schluckimpfung beibehalten, ganz abgelöst oder es gibt ein kombiniertes Impfschema, das mit IPV-Impfungen beginnt und später mit OPV fortsetzt. In Deutschland wurde generell auf die IPV-Impfung umgestellt, auch in Österreich gibt es die Schluckimpfung seit März 2001 nicht mehr.

In Ländern, in denen schon viele Jahre nur noch IPV geimpft wird, kam es durch Einschleppung von Wildviren vereinzelt zu kleineren Polio-Epidemien. Dafür wurden in solchen Ländern aber keine Fälle von Impf-Poliomyelitis registriert.

In regelmäßigen Abständen wird die Immunität der Bevölkerung gegen Kinderlähmung gemessen. Sie liegt konstant bei etwa 70 Prozent, quer durch alle Altersgruppen. Die IPV wird in einer Impfserie in drei Teilen vorgenommen. Die Auffrischung erfolgt nach 10 Jahren. Seit einiger Zeit gibt es einen Kombinationsimpfstoff gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis (Keuchhusten) und Poliomyelitis (Kinderlähmung). In Österreich wurde aufgrund verstärkter Impfreaktionen beim Vierfach-Kombinationsimpfstoffes gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Poliomyelitis (dip-TET-PEA-IPV) bei Reihenimpfungen in Schulen (zu Schuleintritt) die Impfempfehlung für Schulkinder geändert: Alle Kinder sollen während des Schulalters 2 Teilimpfungen dip-TET und möglichst auch eine Teilimpfung Pertussis (PEA) und Poliomyelitis (IPV) erhalten.

Zur Umsetzung wird eine Dreifachimpfung dip-TET-IPV im 7. bis 9. Lebensjahr und eine Dreifachimpfung dip-TET-PEA im 13. bis 16. Lebensjahr empfohlen. In Deutschland wird davon ausgegangen, dass bei Vorliegen von zumindest vier Teilimpfungen eine weitere Immunisierung im Erwachsenenalter nicht mehr nötig ist.

Ausgenommen: Auffrischungen bei Reisen in Gebiete, in denen Polio vorkommt. In diesem Fall sollte nach 10 Jahren aufgefrischt werden. In Österreich wird eine Auffrischung mit dem Totimpfstoff alle 10 Jahre empfohlen.

Gegenanzeigen, Nebenwirkungen

Von der Schluckimpfung ausgehende Gefahr besteht nur, wenn sich durch Mutation die gezüchteten Impfviren wieder in krankmachende Wildviren zurück verwandeln.

Dadurch kann die Impf-Poliomyelitis ausgelöst werden. Sie ist zwar sehr selten, ihre Folgen sind aber ebenso schwerwiegend wie bei der echten Kinderlähmung. Die Wahrscheinlichkeit, mit der so ein schwerer Impfschaden auftritt, wird auf etwa 1 : 2,4 Millionen geschätzt. Da die echte Polio in Mitteleuropa aber seit nahezu zwei Jahrzehnten nicht mehr vorkommt, ist man aus diesem Grund auf die Totimpfung umgestiegen. Abgetötete Viren können sich nicht mehr rückentwickeln.

Gesundheitspolitische Ziele

Ziel der Schutzimpfungen gegen Kinderlähmung ist die weltweite Ausrottung dieser Viren. Da sie allerdings natürliche Rückzugsgebiete haben, wo sie lange Zeit überdauern können, scheint dies nicht so einfach zu sein wie bei den Pocken. Jedenfalls mussten bislang einige Termine der Weltgesundheitsorganisation (WHO) revidiert und um Jahre verschoben werden.

Experten: Univ. Prof. Dr. med. Herwig Kollaritsch (Tropenmedizin, Reisemedizin, Impfwesen),Dr. med. Gert Vetter (Allgemeinmedizin)

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