Functional Food:Mettwurst als Medizin

"Functional Food" soll die Konsumenten satt und die Lebensmittelindustrie reich machen - die Wirkung vieler Produkte ist aber umstritten.

Titus Arnu

Bluthochdruck? Dagegen hilft Hühnchen in Senfsauce. Zu hohe Cholesterinwerte? Zweimal täglich Mettwurst auf Toast einnehmen. Herzinfarktgefahr? Viel Brot mit Omega3-Fettsäuren essen.

Mettwurst; iStockphotos
(Foto: Foto: iStockphotos)

Essen soll normalerweise sattmachen und möglicherweise auch noch gut schmecken. Ein Großteil der Menschheit wäre schon froh, wenn er ausreichend Lebensmittel hätte, die diese Minimalanforderungen erfüllen. In Europa und den USA sind die Erwartungen der Verbraucher längst höher - Essen soll nicht nur sattmachen, sondern auch gegen Krankheiten helfen.

Mit Zusätzen angereicherte Lebensmittel, sogenanntes Functional Food, entfalten im Körper angeblich heilende Wirkungen, versprechen die Hersteller. Beim Essen sollen Viren und Bakterien bekämpft, das Immunsystem gestärkt, der Blutdruck gesenkt und Fett abgebaut werden. Im Angebot sind "probiotische" Milchprodukte, "immunstärkender Olivenblättertee", Säfte, die mit den Vitaminen A,C,E angereichert sind und Suppen mit Folsäure für Schwangere.

Hautstraffende Marmelade

Der Ursprung des Functional Food liegt in Japan. Dort sind mit Heilmitteln angereicherte Lebensmittel seit 1993 auf dem Markt, unter der Bezeichnung Foshu (Food for specific health use; auf Deutsch: Essen für spezifischen Gesundheitsnutzen). Seit zehn Jahren wächst auch in Europa der Markt der funktionellen Lebensmittel. Schon heute wird mit mit solchen Produkten weltweit ein Jahresumsatz von mehr als 50 Milliarden Euro erzielt. 2010, so die Prognose des Nahrungsmittelkonzerns Unilever, werden Designer-Lebensmittel ein Viertel des weltweiten Marktes ausmachen. Konkurrent Nestlé rechnet hoch, dass 2050 jedes zweite Lebensmittel mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet sein wird.

In Deutschland sind die Verbraucher besonders scharf auf das Funktions-Essen. Sechs Milliarden Euro geben sie für ACE-Getränke und rechtsdrehenden Joghurt aus - so viel wie keine andere Nation in Europa. Die Konsumenten erwarten anscheinend viel Gutes von den funktionellen Nahrungsmitteln.

Die Nahrungsmittelindustrie erwartet vor allem weitere Gewinne in diesem Bereich, nicht ohne Grund investiert Nestlé pro Jahr eine Milliarde Euro in die Forschung und die Entwicklung neuer Lebensmittel. Bei vielen neuen Produkten dienen Naturheilprodukte aus traditionellen Küchen als Vorbilder. Fündig werden die Forscher in Afrika und in Asien, wo heilende Pflanzen seit Jahrtausenden ihren Platz in Alltagsgerichten haben. Die Wolfsbeere etwa wird in der chinesischen Medizin gegen Bluthochdruck und Augenerkrankungen verwendet. Nestlé arbeitet daran, Lebensmittel mit der Beere auf den Markt zu bringen. Zielgruppe der Forschung ist die Generation 50plus.

Wissenschaftler der Universität Kiel entwickeln in Zusammenarbeit mit dem Marmeladen-, Saft- und Müsliriegelhersteller Schwartau ein Getränk, das Obst- und Gemüsemuffeln eine gesunde Ernährung erleichtern soll. Es enthält einen hohen Anteil sogenannter sekundärer Pflanzenstoffe, dazu zählen Carotinoide, Polyphenole und Sterole, die angeblich das Immunsystem stärken und den Cholesterinspiegel senken sollen. Die Forscher suchen nach einer Kombination von Obst- und Gemüseextrakten, die nicht nach dem Haufen Gemüse schmeckt, der in ihm steckt.

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Mettwurst als Medizin

Funktioneller Apfel

In Frankreich ist bereits eine Hautstraffungs-Marmelade auf dem Markt, in Japan gibt es Kaugummis, die der Haut angeblich einen Duft von Rosen oder Vanille verleihen. In den USA sind Fruchtgummis im Verkauf, die gegen Akne helfen sollen.Lebensmitteltechniker arbeiten an Gummibärchen, die gegen Erkältungskrankheiten helfen sollen oder an Mettwürsten, die "probiotische Mikrokapseln" enthalten.

Bei einigen dieser Produkte scheinen Zweifel über die Wirksamkeit angebracht. Zum Teil entpuppt sich Functional Food als überteuertes, aufgepepptes Zeug. So enthalten Säfte, die mit der Vitaminkombination ACE versetzt sind, oft minderwertigen Fruchtnektar, der zur Hälfte aus Wasser und Zucker besteht. Was dürfen die Hersteller auf den Verpackungen alles behaupten, was ist verboten? Anfang Februar hat die Europäische Union die "Verordnung über Nährwert- und Gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel" eingeführt, und damit endete auch die Frist zur Einreichung beweisbarer Gesundheitsversprechen. Es geht um Formulierungen wie: "enthält Calcium und fördert den Knochenaufbau". In Zukunft will die EU eine Liste solcher Claims herausgeben, anhand derer die Konsumenten überprüfen können, ob hinter den Behauptungen auch Beweise stecken.

Bei einigen der funktionellen Lebensmittel scheint tatsächlich ein Teil der gewünschten Wirkung einzutreffen. Michael de Vrese von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BfEL) in Kiel konnte zumindest nachweisen, dass Menschen, die regelmäßig probiotische Joghurtprodukte verzehren, gesünder sind. Sie werden zwar nicht seltener krank, wenn sie aber eine Erkältung haben, dauert sie nicht so lange und fällt nicht so schwer aus.

Die Grundfrage, ob man Lebensmittel mit hohem technischen Aufwand verändern muss, um ihren gesundheitlichen Nutzen zu erhöhen, lässt sich nicht leicht beantworten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sieht die Sache skeptisch: Functional Food sei grundsätzlich "keine Garantie für eine bedarfsgerechte und ausgewogene Ernährung", so die DGE, Ernährungsfehler ließen sich durch den Verzehr von funktionellen Lebensmitteln nicht beseitigen. Ernährungsforscher gehen davon aus, dass gesundheitsfördernde Nahrungsmittel ihren Wert durch eine ausgewogene Mischung vieler Stoffe erlangen, nicht durch einzelne zugesetzte Substanzen. Zu hohe Konzentrationen von Vitaminen können unter Umständen sogar schaden. Durch eine zu hohe Dosierung von Beta-Carotin kann sich das Risiko von Rauchern, an Lungenkrebs zu erkranken, erhöhen, wie eine Studie in Finnland ergab.

Eine ganze Reihe von Lebensmittelinhaltsstoffen, denen mit großem Werbe-Trara eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wird, ist sowieso in vielen Gemüse- und Obstarten enthalten, die man im Supermarkt kaufen kann. Einige der gesundheitsfördernden ,,sekundären Pflanzenstoffe'' werden aber beim Verzehr von Rohkost größtenteils wieder ausgeschieden, ohne ihre positiven Wirkungen zu entfalten, weil der Körper sie nicht richtig verarbeiten kann. Viele dieser gesundheitsfördernden Substanzen sind so mit dem Zellgewebe des Gemüses oder des Obstes verbunden, dass Kauen nicht ausreicht, um sie zu lösen. Carotinoide etwa sind in Kristallen in das Zellgewebe eingelagert und lösen sich nur durch Fette und Öle.

Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BfEL) in Karlsruhe hat mit ausgiebigen Karotten-Versuchen gezeigt, dass schon einfache Zubereitungsmethoden ausreichen, um fast das Zehnfache des gesundheitsfördernden Carotinoids Lycopin aufzunehmen. Jeder Verbraucher kann ein funktionelles Gemüseprodukt in seiner eigenen Küche herstellen - indem er zum Beispiel Karotten und Äpfel reibt und dann einen Teelöffel Pflanzenöl sowie einen Spritzer Zitronensaft hinzugibt.

So gesehen ist jeder Apfel Functional Food - weil er über den Nährwert hinaus einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat.

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