Frühförderung:"Es ist eine Illusion, dass Kinder von allein üben"

Spaßmacher

"Celina ist sehr sorgfältig vorgegangen, nicht so expressiv wie ich": Künstlerin Eleonora De Saavedra mit ihrer Tochter

(Foto: Andreas Lux)

Wie bringt man sie also dazu - mit Schokolade? Wir haben bei Künstler-, Sportler- und Musiker-Eltern nachgefragt.

Von Emilia Smechowski

"Ich zeige schon Begeisterung, wenn ich begeistert bin. Aber vor allem stelle ich Fragen"

Eleonora De Saavedra, 36, ist freie Künstlerin und lebt mit ihrer Tochter Celina, 10, in Berlin.

"Es gibt ja viele Eltern, die hohe Erwartungen auf ihre Kinder projizieren. Das versuche ich in jedem Falle zu vermeiden. In ihrer künstlerischen Entwicklung sollte man Kinder eher in Ruhe lassen, finde ich.

Meine Mutter hat es jedenfalls so gemacht. Sie war das Gegenteil einer Helikoptermutter, sie hat mich und meinen Bruder einfach sein lassen. Das gibt es heute viel zu wenig. Mein Eindruck ist, dass unsere Leistungsgesellschaft immer mehr von den Kindern erwartet, sie aber in einem Punkt unterfordert: ihrer Kreativität. Weil Kreativität nicht durch Förderprogramme entsteht, sondern vor allem durch Zeit. Und sogar Langeweile.

Als meine Tochter Celina ein Baby war, lag sie auf dem Rücken und hat die Welt betrachtet, und das ist ja der erste Schritt des Künstlers, bevor er zur Tat schreitet: beobachten. Ich habe dann sehr früh versucht, ihr all das Handwerkszeug, mit dem ich arbeite, zugänglich zu machen.

Wir hatten große Farbbottiche im Atelier und in der Uni, Kohlestifte, sie hatte sogar eine kleine Staffelei und eine Palette, auf der sie selbst mischen konnte. Sie durfte die teuren Farben benutzen, wenn sie wollte. Aber ich hatte auch nichts gegen Filzstifte, ich halte sie nicht für Teufelszeug. Celina ist sehr sorgfältig vorgegangen, nicht so expressiv wie ich. Hat sie eine Linie gezogen, sah man die Konzentration in ihrem Gesicht.

Wenn sie mich fragt, wie ich etwas finde, versuche ich, Wörter wie 'schön' und 'niedlich' zu vermeiden. Ich zeige schon Begeisterung, wenn ich begeistert bin. Aber vor allem stelle ich Fragen. Warum hast du das so gemacht? Auch wenn das lustig klingt: Das sind schon richtige Arbeitsgespräche.

Ich lasse meiner Tochter ihre Zeit und dränge sie zu nichts. Streng war ich nur mit dem iPad. Sie verwendet das als vielseitiges Instrument und hat von selbst gelernt, ihre Zeit damit einzuteilen. Neue Medien werden schnell zu Kreativitätsräubern.

Seit einem Jahr macht Celina Kindertanz an der Staatlichen Ballettschule und liebt es. Sie hat entschieden, den Test und die Aufnahmeprüfung zu machen. Im ersten Moment dachte ich: Ich möchte mein Kind vor Leistungs- und Konkurrenzdruck schützen. Es ist eine hohe Anforderung, sich schon so früh für eine Karriere entscheiden zu müssen. Aber so viele Berufe sind heute hart. Und lohnt es sich dann nicht erst recht, den Leidenschaften nachzugehen?"

Die Sportler-Familie

"Ich vertraue meinem Gefühl. Ich sehe ja, ob etwas meinem Kind guttut oder nicht"

Sonja Dittbrenner, 37, war zwölf Jahre lang Hockey-Nationalspielerin. Von Beruf ist sie Ärztin. Bastian Dittbrenner, 36, ist Softwareentwickler. Sie haben drei Kinder: Lea, 7, Jonah, 3, und Nele, 1.

"Wir mussten uns nicht lange fragen, wie viel Sport für unsere Kinder gut ist - weil wir gleich merkten, dass sie viel Bewegung brauchen, vor allem Lea, unsere Älteste. Als sie zwei war, haben wir mit Eltern-Kind-Turnen angefangen. Und wir wollten, dass die Kinder irgendwann auch unseren Sport ausprobieren, das Hockey, weil wir es als etwas sehr Schönes in Erinnerung haben - mein Mann und ich spielen beide. In der Nationalmannschaft habe ich meine besten Freundinnen kennengelernt. Nach Olympia in Athen habe ich zwar mit dem Profisport aufgehört, aber ich spiele weiter im Verein.

Familie Dittbrenner

Familie Dittbrenner

(Foto: Andreas Lux)

Mit vier Jahren habe ich angefangen, weil auch mein Vater Hockey spielte. Aber meine Eltern haben mich nicht angetrieben, ich war selbst der Motor. Heute kann man mit drei starten, aber als Lea das erste Mal auf dem Feld stand, hat sie sich nicht getraut. Wir haben wieder aufgehört und es alle halbe Jahre neu versucht. Erst mit fünf hat es ihr Spaß gemacht. Jonah, der jetzt drei ist, hat auch gerade angefangen.

Nachmittags hatte ich als Kind mehr Programm als meine Kinder heute. Ich höre immer wieder, dass Kinder zu früh zu viel leisten müssen, aber ich vertraue da meinem Gefühl. Ich sehe ja, ob etwas meinem Kind guttut oder nicht. Der Sport soll sie nicht stressen. Sie sollen noch Zeit haben, runterzukommen und sich mit Freunden zu verabreden. Und gleichzeitig glaube ich eben schon, dass man auch dranbleiben muss. Manchmal haben die Kinder keine Lust aufs Training. Ich sage dann: 'Rafft euch auf!' Nach dem Sport sind sie fröhlicher und ausgeglichener. Nur andere Hobbys, wie zum Beispiel die Musik, kommen bei uns immer etwas zu kurz.

Wir wünschen uns nicht, dass unsere Kinder Leistungssportler werden. Wenn sie es mal wollen, wäre mir Hockey auch deshalb sympathisch, weil ich weiß, dass beim Schwimmen oder in der Leichtathletik noch intensiver trainiert wird. Ich habe viel vom Leistungssport gelernt: mit Druck umgehen, ein Ziel vor Augen haben. Aber ich weiß: In der Pubertät wird es schwer, vor allem für Mädchen. Der Körper verändert sich, man hat Komplexe, viele Trainer sind da nicht sensibel genug, finde ich. Deshalb müssen wir Eltern umso mehr aufpassen."

Die Musiker-Familie

"Es ist eine Illusion, dass Kinder einfach von allein zum Instrument greifen"

Bertram Hartling, 50, ist Geiger, Lorna Marie Hartling, 52, Bratschistin im Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Ihre Töchter heißen Clara, 21, und Valerie, 17, ihr Sohn Timothy, 10.

"Als Musikereltern standen wir vor der Frage: Wie werden wir unseren drei Kindern gerecht, wenn sie unterschiedlich musikalisch sind? Valerie, die Mittlere, ist die Begabteste. Wir haben sie entsprechend gefördert, sie auf Wettbewerbe geschickt und so weiter. Seit diesem Schuljahr besucht sie das Musikinternat in Weimar, sie will tatsächlich Geigerin werden. Sie ist jetzt 17, ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.

Die Spaßmacher

Familie Hartling

(Foto: Andreas Lux)

In den ersten Jahren haben wir unsere Kinder auch selbst unterrichtet, auf diesen chinesischen Geigen, die mit Koffer, Bogen und Saiten nur 130 Euro kosten. Klingen furchtbar, aber die Kinder konnten ihre fünf Minuten am Tag auf den Instrumenten kratzen. Meine Geduld hatte dann aber bald Grenzen, und wir engagierten Lehrer.

Das Üben war immer ein Thema! Es dauert, bis Kinder das freiwillig machen, das ist wie Zähneputzen. Wir haben mit Belohnungen gearbeitet: Schokolade fürs Üben. Ich weiß schon, dass das für Außenstehende nach großen Ambitionen klingt. Aber es ist eine Illusion, dass Kinder einfach von allein üben. Selbst wenn ihnen das Spielen Spaß macht, muss man nachhelfen.

Ich glaube, vor allem für Valerie ist es ein Vorteil, Musikereltern zu haben. Sie fragt uns oft um Rat. Neulich gab ich ihr den Tipp mit der Streichholzschachtel: Jedes Mal, wenn man eine schwierige Stelle geschafft hat, legt man ein Streichholz raus. Macht man einen Fehler, müssen alle wieder zurück in die Schachtel, und der Spaß geht von vorn los.

Bin ich zu streng? Meine Frau sagt das manchmal. Aber wir wissen beide, wie hoch die Ansprüche sind. Wer Musiker werden will, hat leider keine Wahl. Wir leben als Musiker in dieser Welt und finden sie selbstverständlich. Im Nachhinein denke ich, wir hätten unseren Kindern nicht die Instrumente geben sollen, die wir selbst spielen.

Timmy, unser Jüngster, hat mit Cello angefangen, aber er spielt auch Fußball. Wenn ich ehrlich bin, mag er den Fußball lieber. Gerade fragt er ständig, ob er wirklich Cello üben muss. Clara ist jetzt 21 und Mutter, sie spielt Bratsche im Laienorchester und organisiert alles so, dass sie zu den Proben kann. Ich glaube fest daran, dass es sich lohnt, Zeit und Energie in die Musik zu investieren. Man bekommt dafür etwas zurück!"

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